Die Memme ist maskulin
Sprachregelung macht noch keine Gleichberechtigung
Mark Twain war äußerst erbittert über die deutsche Grammatik. Jahrelang hatte er versucht, diese vertrackte Sprache zu erlernen; im Unterschied zu seiner Frau gelang es ihm nicht. »Jedes Substantiv hat ein Geschlecht [gender], und die Zuweisung erfolgt ohne Sinn und System ...«, klagte er. Man brauche ein Gedächtnis wie ein Elefant, um bei jedem Wort zu wissen, ob der, die oder das richtig ist.
Der, die und das – diese Zeichen für drei verschiedene Kästchen, worin unsere Hauptwörter einsortiert sind – haben es in sich. Sachen, z. B. die Rübe, liegen im femininen Kästchen, Bezeichnungen für Frauen können »sächlich« sein: das Mädchen, das Weib. »Im Deutschen hat eine junge Dame kein Geschlecht [no sex im Original], eine weiße Rübe hingegen schon«, konstatierte Twain. »Man beachte, welch überspannte Hochachtung vor der Rübe darin zum Ausdruck kommt und welch schnöde Respektlosigkeit gegenüber dem Mädchen.« (siehe »Die schreckliche deutsche Sprache«, 1880.) Männer finden sich in jedem der Kästchen: der Boss, das Oberhaupt, die Führungskraft. Der Fehler steckt in den gängigen Bezeichnungen männ- lich/weiblich/sächlich, die wir einem klassisch-griechischen Wissenschaftler namens Protagoras verdanken.
Nun wird in öffentlichen Texten und Ansprachen seit längerem mit Eifer versucht, niemanden zu verletzen und insbesondere nicht die weibli- chen Wähler, wobei alle Personenwörter verdoppelt werden. »Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer ...« Damit würde, so hört man, der Benachteiligung von Frauen begegnet. Aber wenn Politiker im Bundestag die »Menschen draußen im Lande« apostrophieren, versagt die Doppelung. Denn der Mensch ist nun einmal übergeschlechtlich. Und sogar das schlichte Wörtchen »man« musste sich schon gefallen lassen, zu »man/frau« erweitert zu werden. Welch Unfug, mit Verlaub gesagt. Kein Mensch spricht so, aber geschrieben sieht’s ganz anspruchsvoll aus. Doch jede Person zuerst aus dem geschlechtlichen Blickwinkel zu betrachten, führt auf Abwege. Darum lehnen es Frauen aus dem angelsächsischen Bereich zunehmend ab, zu ihrem Beruf ein weibliches Zeichen zu bekommen. Und in den USA lassen sich weibliche Vorgesetzte gar extra mit »Sir« anreden, statt mit »Ma’am«, der Kurzform von Madam.
Wie das Mitglied ist auch das Wort Fußgänger neutral. Ebenso der Gast; es gibt keine Gästin. Muss man wirklich den Fußgänger – wie schon ernstlich vorgeschlagen – durch die Form Zu-Fuß-Gehende ersetzen, um dem weiblichen Geschlecht gerecht zu werden? Unser Sprachgefühl sagt ganz natürlich: »Sie war Gast bei der Premiere.« Oder: »Er ist eine Geistesgröße.« »Anna und Max sind Fußgänger.«
Freilich, die Sprache unterliegt einer Evolution wie die gesamte menschliche Gesellschaft. Im Lauf der Geschichte erhielten Berufe feminine Ableitungen: die Bäckerin, die Lehrerin. Und unsere Sprache ist zudem gar nicht so maskulin und patriar- chalisch wie oft vermutet, denkt man an die Geisel, die Drohne, die Koryphäe, die Memme ... Es gibt nicht den Memmerich. Aber es gibt männliche Memmen. Mit diesem Wissen im Kopf kann und sollte man einfach und unverkrampft seinem natürlichen Sprachgefühl folgen.
Es ist ein Trugschluss, dass die Grammatik uns mental beeinflussen würde. Die türkische Sprache z. B. kennt keine geschlechtliche Wortunterscheidung, kein maskulin/feminin. Hat das die Stellung der Frauen in der dortigen Gesellschaft positiv beeinflusst? Eher nicht. Die Vorschläge der hiesigen Gender-Ideolog*innen führen nicht zur Emanzipation, sondern sexualisieren die Sprache unnötig. Der Eifer sollte sich besser auf gerechte Entlohnung richten.
Das Thema hat auch eine heitere Komponente. Wollte man das Ganze auf die Spitze treiben, dann wäre das Gegenstück zum Hanswurst die Hanna-Wurst. Oder – wie ein Spaßvogel einmal vorschlug: Falls in hundert Jahren eine Frau im Vatikan das Sagen hat, dann säße statt dem Papst eine Mamst im Muttikan.
Die Vorschläge der Gender-Ideolog*innen führen nicht zur Emanzipation, sondern sexualisieren Sprache unnötig. Der Eifer sollte sich besser auf eine gerechte Entlohnung richten.
Unser Autor, Doktor der Theologie, hat mit Frank-Rainer Schurich 2016 das Buch »Expeditionen in die deutsche Sprachlandschaft« veröffentlicht.