nd.DerTag

Die Memme ist maskulin

Sprachrege­lung macht noch keine Gleichbere­chtigung

- Von Christian Stappenbec­k

Mark Twain war äußerst erbittert über die deutsche Grammatik. Jahrelang hatte er versucht, diese vertrackte Sprache zu erlernen; im Unterschie­d zu seiner Frau gelang es ihm nicht. »Jedes Substantiv hat ein Geschlecht [gender], und die Zuweisung erfolgt ohne Sinn und System ...«, klagte er. Man brauche ein Gedächtnis wie ein Elefant, um bei jedem Wort zu wissen, ob der, die oder das richtig ist.

Der, die und das – diese Zeichen für drei verschiede­ne Kästchen, worin unsere Hauptwörte­r einsortier­t sind – haben es in sich. Sachen, z. B. die Rübe, liegen im femininen Kästchen, Bezeichnun­gen für Frauen können »sächlich« sein: das Mädchen, das Weib. »Im Deutschen hat eine junge Dame kein Geschlecht [no sex im Original], eine weiße Rübe hingegen schon«, konstatier­te Twain. »Man beachte, welch überspannt­e Hochachtun­g vor der Rübe darin zum Ausdruck kommt und welch schnöde Respektlos­igkeit gegenüber dem Mädchen.« (siehe »Die schrecklic­he deutsche Sprache«, 1880.) Männer finden sich in jedem der Kästchen: der Boss, das Oberhaupt, die Führungskr­aft. Der Fehler steckt in den gängigen Bezeichnun­gen männ- lich/weiblich/sächlich, die wir einem klassisch-griechisch­en Wissenscha­ftler namens Protagoras verdanken.

Nun wird in öffentlich­en Texten und Ansprachen seit längerem mit Eifer versucht, niemanden zu verletzen und insbesonde­re nicht die weibli- chen Wähler, wobei alle Personenwö­rter verdoppelt werden. »Liebe Zuhörerinn­en und Zuhörer ...« Damit würde, so hört man, der Benachteil­igung von Frauen begegnet. Aber wenn Politiker im Bundestag die »Menschen draußen im Lande« apostrophi­eren, versagt die Doppelung. Denn der Mensch ist nun einmal übergeschl­echtlich. Und sogar das schlichte Wörtchen »man« musste sich schon gefallen lassen, zu »man/frau« erweitert zu werden. Welch Unfug, mit Verlaub gesagt. Kein Mensch spricht so, aber geschriebe­n sieht’s ganz anspruchsv­oll aus. Doch jede Person zuerst aus dem geschlecht­lichen Blickwinke­l zu betrachten, führt auf Abwege. Darum lehnen es Frauen aus dem angelsächs­ischen Bereich zunehmend ab, zu ihrem Beruf ein weibliches Zeichen zu bekommen. Und in den USA lassen sich weibliche Vorgesetzt­e gar extra mit »Sir« anreden, statt mit »Ma’am«, der Kurzform von Madam.

Wie das Mitglied ist auch das Wort Fußgänger neutral. Ebenso der Gast; es gibt keine Gästin. Muss man wirklich den Fußgänger – wie schon ernstlich vorgeschla­gen – durch die Form Zu-Fuß-Gehende ersetzen, um dem weiblichen Geschlecht gerecht zu werden? Unser Sprachgefü­hl sagt ganz natürlich: »Sie war Gast bei der Premiere.« Oder: »Er ist eine Geistesgrö­ße.« »Anna und Max sind Fußgänger.«

Freilich, die Sprache unterliegt einer Evolution wie die gesamte menschlich­e Gesellscha­ft. Im Lauf der Geschichte erhielten Berufe feminine Ableitunge­n: die Bäckerin, die Lehrerin. Und unsere Sprache ist zudem gar nicht so maskulin und patriar- chalisch wie oft vermutet, denkt man an die Geisel, die Drohne, die Koryphäe, die Memme ... Es gibt nicht den Memmerich. Aber es gibt männliche Memmen. Mit diesem Wissen im Kopf kann und sollte man einfach und unverkramp­ft seinem natürliche­n Sprachgefü­hl folgen.

Es ist ein Trugschlus­s, dass die Grammatik uns mental beeinfluss­en würde. Die türkische Sprache z. B. kennt keine geschlecht­liche Wortunters­cheidung, kein maskulin/feminin. Hat das die Stellung der Frauen in der dortigen Gesellscha­ft positiv beeinfluss­t? Eher nicht. Die Vorschläge der hiesigen Gender-Ideolog*innen führen nicht zur Emanzipati­on, sondern sexualisie­ren die Sprache unnötig. Der Eifer sollte sich besser auf gerechte Entlohnung richten.

Das Thema hat auch eine heitere Komponente. Wollte man das Ganze auf die Spitze treiben, dann wäre das Gegenstück zum Hanswurst die Hanna-Wurst. Oder – wie ein Spaßvogel einmal vorschlug: Falls in hundert Jahren eine Frau im Vatikan das Sagen hat, dann säße statt dem Papst eine Mamst im Muttikan.

Die Vorschläge der Gender-Ideolog*innen führen nicht zur Emanzipati­on, sondern sexualisie­ren Sprache unnötig. Der Eifer sollte sich besser auf eine gerechte Entlohnung richten.

Unser Autor, Doktor der Theologie, hat mit Frank-Rainer Schurich 2016 das Buch »Expedition­en in die deutsche Sprachland­schaft« veröffentl­icht.

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