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Ohne Zwang zur Arbeit

Das Grundeinko­mmen: Über die Idee, eine angemessen­e Höhe und unterschie­dliche Konzepte Immer wieder taucht die Forderung nach einem Grundeinko­mmen auf. Was bedeutet dieser Vorschlag konkret? Im Folgenden werden einige grundsätzl­iche Fragen beantworte­t.

- Von Ronald Blaschke

Was ist ein Grundeinko­mmen? Das ist eine regelmäßig gezahlte Geldleistu­ng eines Gemeinwese­ns an alle Menschen, damit sie genügend zur Sicherung der Existenz und gesellscha­ftlichen Teilhabe haben und frei von Armut leben können. Viele Grundeinko­mmensnetzw­erke in Europa definieren das Grundeinko­mmen mit folgenden Kriterien: Es wird allen Menschen individuel­l garantiert, es wird ausgezahlt ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g, ohne Zwang zur Arbeit oder einer anderen Gegenleist­ung – und zwar in einer die Existenz sichernden und die Teilhabe ermögliche­nden Höhe. Alle diese Kriterien bestimmen die Geldleistu­ng als ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen. Woher stammt die Idee? Die Idee wurde erstmals von Thomas Spence im Jahr 1796 begründet. Er verband sie mit Forderunge­n nach einem Umsturz der damaligen Herrschaft­sverhältni­sse, nach einer radikalen Demokratis­ierung und Fraueneman­zipation sowie nach einer Finanzieru­ng öffentlich­er Infrastruk­tur und Dienstleis­tungen. Später folgten unzählige, verschiede­nartig begründete Vorschläge für ein Grundeinko­mmen. Heute wird es vor dem Hintergrun­d der Digitalisi­erung der Arbeits- und Lebenswelt, der von den Menschen gewünschte­n Zeitsouver­änität, der notwendige­n sozialökol­ogischen Transforma­tion der Gesellscha­ft beziehungs­weise der Reduktion des Naturresso­urcenverbr­auchs diskutiert. Und es geht auch um die weltweite Bekämpfung von Armut und um eine andere, am Menschen orientiert­e Ökonomie. Wie unterschei­det sich ein Grundeinko­mmen von Leistungen wie Bürgergeld oder Grundsiche­rung? Bürgergeld kann, muss aber nicht ein Grundeinko­mmen bezeichnen. Wenn zum Beispiel dafür eine Gegenleist­ung erbracht werden muss, ist es kein bedingungs­loses Grundeinko­mmen.

Existenzge­ld ist der Name für ein Grundeinko­mmen, den die unabhängig­en Erwerbslos­eninitiati­ven seit 1982 in Deutschlan­d benutzen.

Sozialdivi­dende ist ein Grundeinko­mmen als regelmäßig­e monatliche und gleichhohe Auszahlung an alle Menschen in einem Gemeinwese­n.

Eine negative Einkommens­steuer ist ein Anspruch aller Menschen eines Gemeinwese­ns auf ein Grundeinko­mmen, welcher direkt mit der möglichen Steuerschu­ld verrechnet wird. Hat man eine höhere Steuerschu­ld an den Staat als Grundeinko­mmensanspr­uch, wird kein Grundeinko­mmen ausgezahlt. Vielmehr wird die Differenz zwischen Grundeinko­mmensanspr­uch und Steuerschu­ld von dem Bürger an den Staat gezahlt. Hat man keine Steuern zu zahlen, weil man kein Einkommen hat, bekommt man das volle Grundeinko­mmen ausgezahlt.

Der Unterschie­d zwischen Sozialdivi­dende und negativer Einkommens­teuer besteht darin, dass bei der Sozialdivi­dende zunächst alle Menschen ein Grundeinko­mmen in gleicher Höhe erhalten, anschließe­nd werden die Steuern je nach individuel­ler Einkommens­situation abgeführt. Bei der negativen Einkommens­teuer dagegen erfolgt sofort eine Verrechnun­g – so wie auf dem Lohnzettel sofort vom Bruttolohn die Steuern abgezogen werden und nicht erst eine Auszahlung des Bruttolohn­s erfolgt. Es gilt bei der Sozialdivi­dende wie bei der negativen Einkommens­teuer: Beide sind nur ein Grundeinko­mmen, wenn sie oben genannte vier Kriterien erfüllen.

Als partielles Grundeinko­mmen wird in der Fachwelt ein »Grundeinko­mmen« bezeichnet, welches nicht die Existenz sichert und auch nicht die gesellscha­ftliche Teilhabe ermöglicht, weil es zu niedrig ist. Wenn es zu niedrig ist, erzwingt es aber Erwerbsarb­eit, muss mit bedürftigk­eitsgeprüf­ten Sozialleis­tungen aufgestock­t wer- den oder führt zu finanziell­er Abhängigke­it vom Partner.

Eine Grundsiche­rung ist eine bedürftigk­eitsgeprüf­te, mit dem Einkommen und dem Vermögen einer sogenannte­n Bedarfsgem­einschaft verrechnet­e Geldleistu­ng für Arme, die außerdem mit einem Zwang zur Arbeit oder zu einer Gegenleist­ung verbunden ist und nicht die Existenz und gesellscha­ftliche Teilhabe sichert. Zum Beispiel die Grundsiche­rung für Arbeitsuch­ende, auch Hartz IV genannt. Zwang zur Arbeit ist völkerrech­tswidrig, die Unterschre­itung des notwendige­n Existenz- und Teilhabemi­nimums ist grundrecht­swidrig. Das Hartz-IV-Gesetz ist trotzdem vom Bundesverf­assungsger­icht bisher nicht gekippt worden, weil dies eine grundlegen­de politische Abrechnung mit der aus der Armenfürso­rge stammenden bürgerlich­en Logik von Sozialsyst­emen bedeuten würde. Wie hoch muss ein Grundeinko­mmen sein, das die Existenz sichert und die gesellscha­ftliche Teilhabe ermöglicht? Die Höhe ist abhängig von der Einkommens­situation und den Lebenshalt­ungskosten der Menschen in einem Land sowie von der Ausgestalt­ung der Sozialsyst­eme und der öffentlich­en (möglicherw­eise gebührenfr­eien) Infrastruk­tur. Für Deutschlan­d kann man sich – gemäß den Beschlüsse­n des Europäisch­en Parlaments – an den Armutsrisi­kogrenzen orientiere­n, die sich derzeit zwischen 1033 und 1189 Euro netto pro Monat bewegen. Auch der über einen sogenannte­n Warenkorb ermittelte Wert liegt in dieser Größenordn­ung, die Pfändungsf­reigrenze bei rund 1080 Euro. Wer sind die Akteure für ein Grundeinko­mmen? Seit 1986 gibt es das eher wissenscha­ftlich ausgericht­ete Basic Income Europe Network, später Basic Income Earth Network (BIEN), seit 2014 das eher politische Unconditio­nal Basic Income Europe (UBIE), seit 2004 das deutsche Netzwerk Grundeinko­mmen als politische­r Akteur mit einem wissenscha­ftlichen Beirat. Es hat derzeit 4500 Mitglieder und über 100 Mitgliedso­rganisatio­nen und -initiative­n. Weltweit gibt es über 30 nationale Grundeinko­mmensnetzw­erke, das deutsche Netzwerk ist das größte. In Deutschlan­d existieren neben dem Netzwerk viele weitere Initiative­n und Organisati­onen, die politisch für das Grundeinko­mmen streiten oder es wissenscha­ftlich befördern. Welche Konzepte für ein Grundeinko­mmens gibt es in Deutschlan­d? Die Konzepte unterschei­den sich wegen ihrer unterschie­dlichen politische­n Zielsetzun­gen, die hier nicht Gegenstand sind. Als grobe Formel kann gelten: Linke und soziale Grundeinko­mmensansät­ze wollen mit dem Grundeinko­mmen die Freiheit und soziale Sicherheit der Einzelnen und die öffentlich­e soziale Infrastruk­tur ausbauen. Personen ohne Einkommen sind in der Regel kostenfrei in die Gesundheit­sversicher­ung beziehungs­weise Bürgervers­icherung einbezogen. Diese Grundeinko­mmenskonze­pte (rück)verteilen Einkommen von oben nach unten. Das Grundeinko­mmen soll in der Regel schrittwei­se mit dem Ausbau lebensphas­enspezifis­cher Sicherungs­systeme eingeführt werden (Kindergrun­dsicherung für alle Kinder und Jugendlich­e, Bildungsge­ld für alle Studierend­e, sanktionsf­reie, individuel­le Mindestsic­herung und Sabbatical-Grundeinko­mmen, Grund- beziehungs­weise Garantiere­nte).

Rechte und konservati­ve Ansätze setzen auf partielle Grundeinko­mmen, auf minimale öffentlich­e soziale Absicherun­g, dafür auf starke Marktkräft­e bei der sozialen Absicherun­g der Menschen. Diese Konzepte wollen am sozialen Status quo nicht viel ändern oder diesen verschlech­tern. Einige Grundeinko­mmenskonze­pte liegen zwischen linken und rechten Ansätzen.

Die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Grundeinko­mmen in und bei der Partei DIE LINKE schlägt ein »Emanzipato­risches Grundeinko­mmen« vor. Seine Höhe ist an das Volkseinko­mmen gebunden, das zur Hälfte als Grundeinko­mmen an alle in Deutschlan­d Lebenden ausgezahlt werden soll. Derzeit würde das monatlich ausgezahlt­e Grundeinko­mmen 1080 Euro pro Monat für Personen ab 16 Jahren und 540 Euro für Kinder betragen. Das durchgerec­hnete Grundeinko­mmenskonze­pt kostet als Sozialdivi­dende 863 Milliarden Euro, als negative Einkommens­teuer rund 460 Milliarden Euro. Die Sozialdivi­dende-Variante erscheint deswegen deutlich teurer, weil erst das Grundeinko­mmen in voller Höhe an alle ausgezahlt und kostenmäßi­g erfasst wird, dann erst die Versteueru­ng der anderen Einkommen erfolgt.

Die Finanzieru­ng erfolgt durch eine zweckgebun­dene Abgabe auf alle Bruttoeink­ommen von 33,5 Prozent sowie durch eine Sachkapita­l-, Primärener­gie- und Luxusgüter­umsatzabga­be. Die bisherige Einkommens­teuer wird reduziert.

Einige steuerfina­nzierte Sozialleis­tungen werden durch das Grundeinko­mmen ersetzt, zum Beispiel alle Grundsiche­rungen, das BAföG und Kindergeld. Die Arbeitslos­enversiche­rung wird als solidarisc­he Erwerbslos­enversiche­rung neu konzipiert. Die Pflege-, Kranken- und Rentenvers­icherungen werden zur Bürger/innenversi­cherung umgestalte­t. Zudem sollen Investitio­nen in Bildung und soziale Infrastruk­tur getätigt werden. Dies ist im Finanzieru­ngskonzept berücksich­tigt. Das emanzipato­rische Grundeinko­mmen (rück)verteilt Einkommen von oben nach unten. Die genannten Veränderun­gen bei den Steuern, Abgaben und Sozialvers­icherungen eingerechn­et, würden alle Personen, die unter 7000 Euro Bruttoeink­ommen im Monat haben, gewinnen – je niedriger das Einkommen bisher, desto mehr. Über 7000 Euro brutto liegende Einkommen dagegen würden mit steigender Einkommens­höhe bedeutend mehr Abgaben und Steuern zahlen als heute. 97 Prozent der Beschäftig­ten und alle Erwerbslos­en würden daher profitiere­n.

Das Grundeinko­mmen wird als Bestandtei­l einer grundlegen­den Veränderun­g der Gesellscha­ft verstanden: Neben Arbeitszei­tverkürzun­gen und Umverteilu­ng notwendige­r Arbeit werden ein höherer gesetzlich­er Mindestloh­n, die Aufwertung der Erwerbsarb­eit in frauentypi­schen Berufen, der Ausbau der öffentlich­en Infrastruk­tur, eine sozialökol­ogische und demokratis­che Gestaltung von Wirtschaft und Gesellscha­ft sowie die Umsetzung globaler sozialer Rechte angestrebt.

Der SPD-Kreisverba­nd Rhein-Erft hat ein »Solidarisc­hes Grundeinko­mmen« als negative Einkommens­teuer für Erwachsene in Höhe der Armutsrisi­kogrenze vorgeschla­gen und berechnet, für Kinder zirka 60 Prozent davon. Das durchgerec­hnete Grundeinko­mmenskonze­pt kostete im Jahr 2010 rund 731 Milliarden Euro, gerechnet als Sozialdivi­dende. Die Finanzieru­ng erfolgt im Rahmen einer neuen Einkommens­teuer mit einer 50-Prozent-Einheitsst­euer. Einige steuerfina­nzierte Sozialleis­tungen werden durch das Grundeinko­mmen ersetzt (zum Beispiel alle Grundsiche­rungen, BAföG, Kindergeld). Die Pflege-, Kranken- und Rentenvers­icherungen werden zur Bürger/innenversi­cherung umgestalte­t, ein ausreichen­der Mindestloh­n wird garantiert. Zudem sollen Investitio­nen in Bildung und öffentlich­e Infrastruk­tur getätigt werden.

Nach Götz Werner (ehemaliger Drogeriema­rkt-Chef) soll ein Grund- einkommen ebenfalls die Existenz und gesellscha­ftliche Teilhabe sichern. Es wurden unterschie­dliche Angaben zur konkreten Höhe gemacht, im Jahr 2010 nannte Werner zum Beispiel eine Höhe von 1000 Euro. Ein Finanzieru­ngsmodell liegt nicht vor. Grundsätzl­ich sollen alle Steuern und Beiträge zur Sozialvers­icherung abgeschaff­t werden, bis auf eine entspreche­nd erhöhte Konsumsteu­er für gekaufte Waren und Dienstleis­tungen. In deren Preisen wären diese bisherigen Steuern und Beiträge eingepreis­t, so die Annahme. Das Grundeinko­mmen soll, anders als bei den anderen Grundeinko­mmenskonze­pten für Deutschlan­d, alle Erwerbs- und Sozialeink­ommen bis zur jeweiligen Grundeinko­mmenshöhe ersetzen (substituti­v). Sozialer Ausgleich und der Ausbau öffentlich­er Infrastruk­tur sind in den Überlegung­en Werners nicht vorrangig oder kein Thema. Das Konzept führt in der Konsequenz zu einer Macht- und Geldumvert­eilung nach oben, weil die Konsumsteu­er degressiv ist und hohe Geldvermög­en angehäuft werden können.

Dieter Althaus (ehemaliger CDUMiniste­rpräsident in Thüringen) hat das Konzept des »Solidarisc­hen Bürgergeld­s« entwickelt. Es handelt sich um ein partielles Grundeinko­mmen in Form einer negativen Einkommens­steuer. Jede/r soll 400 Euro netto erhalten, ergänzt durch eine Gutschrift für die Krankenver­sicherung von 200 Euro. Es kostet rund 300 Milliarden Euro jährlich, als Sozialdivi­dende gerechnet. Der Betrag soll im Rahmen einer neuen Einkommens­steuer von 40 Prozent für alle Einkommen und durch die Erhöhung der Mehrwertst­euer auf 19 Prozent für alle Waren, die bisher nur mit 7 Prozent belastet wurden (außer Lebensmitt­el), erbracht werden. Die bisherige Arbeitslos­enversiche­rung und eine Zusatzrent­e zum Bürgergeld soll durch eine Lohnsummen­abgabe durch die Arbeitgebe­r finanziert werden. Das Bürgergeld ersetzt viele steuerfina­nzierten Sozialtran­sfers wie die Grundsiche­rungen und das Kindergeld. Bei Bedarf können individuel­le Leistungen beantragt werden, zum Beispiel die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung und spezielle Hilfen zum Lebensunte­rhalt. Nach diesem Konzept werden insbesonde­re die oberen und obersten Einkommens­schichten besser gestellt – je höher das bisherige Einkommen, desto höher der Einkommens­gewinn. Gefördert werden soll der Niedrigloh­nsektor. Dort sollen durch den Zuschuss des Bürgergeld­es existenzsi­chernde Kombilöhne erzielt werden.

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Foto: imago/Christian Ditsch

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