Die folgenreiche Flucht der Nonne Katharina von Bora nach Wittenberg.
Der Mönch Martinus aus dem Augustinerkloster in Erfurt hat wohl nicht geahnt, wie begierig auch die Wittenberger Bürger auf konstruktive Veränderung hofften. Seine – wie in akademischen Disputationen üblich – in Latein verfassten 95 Thesen gegen den Ablasshandel waren über Nacht übersetzt und alsbald in aller Munde. Die Botschaft: Rechtsruck in Rom! Der Papst verführt zur Gotteslästerung. Denn mit Geld kann man nicht unmoralische Vergehen wieder gut machen. Auch dass er drei Jahre darauf die Bibel ins Deutsche übersetzte, ist nicht hoch genug zu bewerten. Es ist aber zugleich wichtig zu wissen, dass andere dies schon vor ihm in ihrer jeweiligen Landessprache taten und als »Ketzer« mit dem Leben bezahlten, so der Kaufmann und Wanderprediger Petrus Waldus, gestorben 1218 in Italien, der Engländer John Wyclif (1328-1384) und der Tscheche Jan Hus (1370-1415).
Jahrhundertelang im Schatten Luthers stand auch dessen Frau Käthe. Wenn sie Erwähnung fand, so als Urbild einer treu sorgenden evangelischen Pfarrfrau, die sich um Kirche, Küche und Kinder kümmerte. Gewiss, sie hat nach ihrer erfolgreichen Flucht in der Osternacht 1523 aus dem Zisterzienserinnenkloster Marienthron in Nimbschen bei Grimma mit acht weiteren Nonnen viel Wissen über Haushaltsführung, Handarbeit und Gesundheitspflege als Lerngut mitgenommen. Doch wer sie darauf beschränkt, tut Katharina von Bora, der am 29. Januar 1499 geborenen Tochter aus sächsischem Landadel, Unrecht. Lange hielt sich gar das Bild der »Mönchshure«.
Die Flucht der Katharina von Bora, die das Gelübde erst zwei Jahre vor Luthers Thesenanschlag abgelegt und dessen frühe Schriften sie möglicherweise studiert hatte, war mit Hilfe des Wittenberger Reformators gelungen. Er brachte auch die Nonnen bei Freunden in Wittenberg unter. Katharina wurde wohl zwei Jahre lang von Lucas Cranach d. Ä. beherbergt, der mit seiner Frau auch Katharina am Hochzeitstag, dem 13. Juni 1525, zu Luther ins Schwarze Kloster geleitete. Luther hat lange gezögert, weil für ihn das Gelübde der Ehelosigkeit, das er im Erfurter Augustinerkloster geschworen hatte, schier unauflöslich erschien. Auch Katharina hatte ein solches abgelegt. Aber sie war schon als Sechsjährige ins Kloster gebracht worden, in einem Alter, in dem sie die Konsequenzen einer Einsegnung zur Ordensfrau noch nicht überblicken konnte. Es war zu jener Zeit üblich, dass begüterte und hochrangige Familien eine Tochter und, wenn es sein muss, auch einen Sohn wie eine Versicherungspolice der Kirche übergaben, damit sie im permanenten Gebet und Lobgesang Gott auch um das Wohlergehen der eigenen Familie bitten konnten. Hinsichtlich der ins Kloster gegebenen Töchter ergab sich als nützliche Zutat, dass man für deren Erziehung kein Geld auszugeben brauchte, auch eine Aussteuer und teure Hochzeit entfielen.
Außer Lesen und Schreiben sowie Hauswirtschaft hat Katharina durch aufmerksame Beobachtung der Maurer und Zimmerer im Kloster auch praktische Handarbeiten gelernt. Ständig wurde im Kloster um- und angebaut. Ihr Wissen konnte sie im Luther-Haus, dem Schwarzen Kloster, gut gebrauchen. Das Gebäude war heruntergewirtschaftet und bedurfte dringend einer gründlichen Instandsetzung und Sanierung. Von Luther ist überliefert: »Alle meine besten Freunde schrien: Nicht diese, sondern eine andere. Aber ich habe meine Käthe lieb.«
In den folgenden Jahren wurden in Cranachs Werkstatt Doppelbilder von Katharina und Luther angefertigt, die große Verbreitung fanden und zweifellos die hitzige öffentliche Diskussion um die – sogar bei Luthers engsten Freunden – umstrittene Eheschließung abzukühlen. Dass ein Mönch oder ein Priester heiratete, wurde als ein Akt des Bekenntnisses gewertet. Auch Philipp Melanchthon äußerte sich kritisch zur Heirat von Luther und Katharina. Dies lag allerdings am gewählten Termin. Der Philosoph und Humanist konnte nicht verstehen, dass sein Freund Martin ausgerechnet in der Zeit, wo Bauernaufstände das Land erschütterten, Hochzeit feierte.
Katharina hatte es nicht leicht. Luther kränkelte, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Er litt unter dem selbst verordneten Umfang seiner Arbeit. Katharina verzagte oft wegen seiner Ausbrüche, die nicht nur auf sein cholerisches Temperament zurückzuführen waren, sondern ebenso eine Erschöpfung des Körpers signalisierten. Immer wieder fuhr Luther übers Land, um mit zerstrittenen Fürsten zu reden und Konflikte in den neuen Gemeinden zu schlichten. Katharina wurde stark beansprucht vom wachsenden Haushalt, den sie zu führen hatte. Ständig waren Gäste im Haus, die bewirtet und unterhalten werden wollten. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass Studenten am Mittagstisch saßen. Hinzu kam die Betreuung und Erziehung der Kinder, die von den seinerzeit grassierenden Krankheiten nicht verschont wurden. Katharina gebar sechs, anfangs im Jahresrhythmus. Drei Töchter und ein Sohn starben im Kindesalter. Außerdem kümmerte sie sich um alle finanziellen Angelegenheiten im Hause Luther. Das zehrte auch an ihrer Gesundheit. Doch sie hielt tapfer stand, agierte resolut und klug, weshalb ihr Mann sie respektvoll »mein lieber Herr Käthe« nannte.
Der Tod Luthers am 18. Februar 1546 traf sie zutiefst. Martin Luther starb in seiner Geburtsstadt Eisleben, wo er gerade mal wieder in einem Streit vermittelte, diesmal zwischen den Mansfelder Grafen. Die »Lutherin« bekannte: »Denn wer sollte nicht billig betrübt und bekümmert sein wegen eines solchen teuren Mannes, wie es mein lieber Herr gewesen ist, der nicht allein einer Stadt oder nur einem Land, sondern der ganzen Welt viel gedient hat. Deswegen bin ich wahrhaftig so sehr betrübt.«
Luthers Leichnam wurde nach Wittenberg überführt, am 22. Februar wurde der Reformator in der Schlosskirche beigesetzt. Sein Wegbegleiter Johannes Bugenhagen hielt auf Deutsch die Trauerpredigt und Melanchthon auf Lateinisch eine ehrende Gedenkrede. Beide Redner erwähnten die Witwe mit keinem Wort.
Katharina war mit dem Tod ihres Mannes um keine Sorge ärmer, im Gegenteil. Die nächsten Wochen und Monate waren von einem erbitterten Kampf um die Weiterführung des Lutherschen Haushaltes ausgefüllt. Keinesfalls wollte Katharina das Schwarze Kloster verlassen und die für sie sinnvolle Arbeit der Betreuung und Verpflegung von Studenten aufgeben (s. Martin Treu, »Katharina von Bora«). Luthers Testament, das sie als Alleinerbin bestimmte, wurde zunächst nicht anerkannt, erst ein Machtwort des Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen sicherte Katharina die Erbschaft. Und auch das war typisch für jene Zeit, in der sie lebte: Vormund ihrer Kinder wurde Luthers Freund, der Arzt Matthäus Ratzenberger. Einer Frau wurde diese Verantwortung nicht zugetraut.
Noch im Todesjahr ihres Mannes floh Katharina nach Magdeburg, um sich und ihre Kinder vor dem Schmalkaldischen Krieg in Sicherheit zu bringen. Im Folgejahr nach Wittenberg zurückgekehrt, musste sie erst einmal Aufbauarbeit leisten; Söldner hatten das Haus verwüstet. 1552 verließ sie Wittenberg erneut – wegen der Pest. Vor den Toren Torgaus brach ihre Kutsche zusammen, Katharina brach sich die Hüfte. An den Folgen dieser, heute eher harmlosen Verletzung, starb sie drei Wochen später, am 20. Dezember 1552.
Erst zum 100. Jahrestag der Reformation wurde ihr die Ehre zuteil, die ihr längst gebührte. 1617 ließ der gelehrte Wittenberger Professor Balthasar Mencius eine in Knittelversen gereimte Grabinschrift für sie drucken, die ihren Lebensweg würdigt: »Cathrin von Bora bin ich genannt/ gebohren in dem Meißner Landt/ aus einem alten Edlen Stamm/ wie solchs mein Ahnherrn zeigen an/ die GOtt und dem Römischen Reich/ mit Ehr und Ruhm gedienet gleich./ Als ich erwuchs/ zu Jahren kam/ der Tugend mich that nehmen an/ und jedermann bethöret war/ vom Papst und seiner Münche. Lahr/ auch hoch erhabn der Nonnen-Stand/ ward ich ins Kloster von Niemetzsch gesand/ Mein Ehr und Amt hätt ich in acht/ rief zu GOtt, gebethet Tag und Nacht/ für die Wohlfahrth der Christenheit/ GOtt mich erhört und auch erfreut. Doctor Luther/ den kühnen Held/ mir zum Ehmann außerwehlt/ dem ich im keuschen Ehstand mein/ gebahr drey Söhn und Töchterlein./ Im Wittwenstand lebt sieben Jahr/ nachdem mein Herr gestorben war./ Zu Torgau in der schönen Stadt/ man meinen Leib begraben hat;/ biß GOttes Posaun that ergehn/ und alle Menschen heißt auferstehn/ alsdenn will ich mit meinem Herrn/ GOtt ewig loben/ rühmen/ ehrn/ und mit der Auserwehlten Schaar/ in Freuden leben immerdar.«
Am 22. Februar wurde der Reformator in der Schlosskirche beigesetzt. Sein Wegbegleiter Johannes Bugenhagen hielt auf Deutsch die Trauerpredigt und Melanchthon auf Lateinisch eine ehrende Gedenkrede. Beide Redner erwähnten die Witwe mit keinem Wort.