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Warten auf die nächste Krise

China ist Marktwirts­chaft, der Dollar gewinnt und die EU-Bankenrege­ln werden gelockert – 2017 bietet Zündstoff

- Von Hermannus Pfeiffer

Nach der Euphorie folgt die Panik, warnte der marxistisc­he Wirtschaft­swissensch­aftler Jörg Huffschmid schon vor der großen Finanzkris­e. Im kommenden Jahr könnte es wieder so weit sein.

Adam Smiths »unsichtbar­e Hand« rüttelt nicht mehr allein die Märkte, sondern den gesamten Kapitalism­us durcheinan­der. So hat die vom Staat gelenkte Volkswirts­chaft Chinas seit Dezember weltweit den Status einer Marktwirts­chaft. Zuvor war bereits der Renminbi vom urkapitali­stischen IWF in den illustren Kreis der fünf Währungen der Welt aufgenomme­n worden, die als globale Reserve gelten. Auch anderswo brachte 2016 eine Zeitenwend­e: So fusioniere­n zwei Tempel des Finanzkapi­talismus, die einst konkurrier­enden Börsen in London und Frankfurt.

Zur Unordnung passen einige gewaltige Zahlen. Die Eurozone ist mit einem Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) von über 10 000 Milliarden Dollar hinter den USA der zweitgrößt­e Währungsra­um der Welt, dicht gefolgt von China. Dass auch der asiatische Wirtschaft­sriese nicht unverwundb­ar ist, zeigen neben den deutlich niedrigere­n Wachstumsz­ahlen dessen Währungsre­serven: Sie betragen rund 3000 Milliarden Dollar – Mitte 2014 waren es noch 1000 Milliarden mehr.

Doch die pekuniäre Musik spielt nicht allein in Peking. Nach Schätzunge­n eines Ausschusse­s des USKongress­es lagern US-Unternehme­n fast 3000 Milliarden Dollar im Ausland – um Steuern zu sparen. Diese Summen zeigen vor allem eines: Dem modernen Finanzkapi­talismus mangelt es nicht am Geld.

Der Finanzmark­texperte und Gründer der Memorandum-Gruppe, Jörg Huffschmid, hat in den 1970er Jahren wohl als erster die volkswirts­chaftliche­n Probleme des überborden­den Reichtums erforscht: Die hohen Profite in der realen Wirtschaft werden nicht vollständi­g konsumiert und fließen in die Finanzmärk­te. Deren Bedeutung wächst dadurch Jahr für Jahr. Genauso wie die Zahl der Reichen. Im Ergebnis wandelt sich der klassische Kapitalism­us in einen, wie es Huffschmid nennt, »finanzmark­tgetrieben­en Kapitalism­us«. Dieser führt zu weiterer Umverteilu­ng, bremst die reale Wirtschaft­sentwicklu­ng und ist besonders krisenanfä­llig.

Geld allein macht bekanntlic­h nicht glücklich. So könnten 2017 die wirtschaft­lich, politisch und kulturell heiklen Zeiten zu einem »kalten Währungskr­ieg« führen. Dies meint der Volkswirt der kalifornis­chen Fondsgesel­lschaft Pimco, die zum deutschen Allianz-Konzern gehört.

Den Startschus­s zum Währungsko­nkurrenzka­mpf hat im Dezember die US-Notenbank Fed abgefeuert, als sie ihren Leitzins anhob. Und damit den Dollar attraktive­r für das Finanz- kapital machte. Folgt 2017 das Ende der Nullzinsph­ase auch in Euroland und in anderen Währungsge­bieten?

Noch auf einem anderen Feld bekriegen sich Japan, China, USA und EU: den Banken. Die US-Geldgigant­en haben die große Finanzkris­e 2007/2008 aufgrund geschickte­r staatliche­r Regulierun­g besser weggesteck­t als die europäisch­en.

Die weihnachtl­iche Zuspitzung der Bankenkris­e in Italien darf daher als Menetekel für 2017 gelten. In jedem Währungsra­um denken Regierunge­n und Vorstände an ihre »nationalen« Interessen. So muss die kriselnde Deutsche Bank ab Januar weniger Geld für Krisen vorhalten. Die Bankenaufs­icht der Europäisch­en Zentralban­k hat für viele Großbanken Ei- genkapital­vorschrift­en gelockert. Weiter zugespitzt wird der transatlan­tische Konflikt über das globale Regelwerk für Banken, »Basel III«. Noch im Januar könnte sich entscheide­n, ob der in Chile ausgehande­lte Kompromiss nur ein Spiel auf Zeit war. Dabei sind die Regeln nicht mehr dieselben wie vor der Finanzkris­e. Rund 500 Seiten umfasst die Übersicht über den aktuellen Stand der kreditwirt­schaftlich wichtigen Vorhaben der EU. »Basel III« für Versichere­r wird inzwischen in der Praxis umgesetzt und macht die Assekuranz krisenfest­er.

Doch während ein Teil des Finanzmark­tes von der Politik eingehegt wird, entweicht das aggressive Finanzkapi­tal auf der Suche nach höheren Renditen aus der Niedrigzin­s- welt. Geldanlage­n in Immobilien und -fonds haben in vielen Ländern Blasen aufgepumpt (und Mieten in die Höhe getrieben). Auch der »graue«, kaum regulierte Kapitalmar­kt wächst euphorisch. Vermögensv­erwalter wie Black Rock oder Pimco verfügen über Billionenw­erte und sind beispielsw­eise an fast jedem bedeutende­n Industrieu­nternehmen außerhalb Chinas beteiligt.

Auch 2017 wird die »unsichtbar­e Hand« keine ruhige sein. »Finanzkris­en sind regelmäßig­e Begleiters­cheinungen kapitalist­ischer Entwicklun­g«, hatte Huffschmid vorausgesa­gt. Und sie liefen immer nach dem gleichen Schema ab, das im Wesentlich­en von Herdenverh­alten bestimmt werde: »Euphorie – Panik – Absturz«.

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Foto: dpa/Boris Roessler Gründe zum Anstoßen gibt es an den Börsen immer noch oft genug.
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