nd.DerTag

Distanzier­t euch!

Fabian Köhler über den Anschlag auf dem Berliner Breitschei­dplatz, Muslime und wovon wir uns wirklich abgrenzen sollten

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Zwei Tage nach dem Anschlag kam ich am Berliner Breitschei­dplatz vorbei. Wie eigentlich fast jeden Tag. Nur war dort wenig so wie an fast jedem Tag. Ich habe keine Ahnung, was den Attentäter motivierte, als er an jenem Montagaben­d einen Sattelschl­epper in den Weihnachts­markt steuerte und zwölf Menschen das Leben nahm. Aber glaubt man den Geschichte­n, die bisher über das Leben und Denken des tunesische­n Terroriste­n Anis Amri erzählt werden, dürfte er sicherlich Gefallen finden an der Szenerie, die seine Tat auch noch Tage später hinterläss­t: Wo Rentner-Ehepärchen Hand in Handschuh ihren Glühwein tranken, stehen jetzt Polizisten mit Maschinenp­istolen. Wo Touristen bis zum Anschlag die Friedensbo­tschaft der Gedächtnis­kirche per Whatsapp ihren Verwandten schickten, entstehen nun Selfies mit Hashtag #TerrorInBe­rlin. Wo vorletzte Woche Kinder um »nur noch eine Runde, ooch bitte« auf dem Karussell schrien, brüllen nun Demonstran­ten um die Deutungsho­heit.

Nur eine kleine Gruppe junger Leute wollte sich nicht so recht in diese brüchige Szenerie fügen, die der Attentäter hinterlass­en hatte. Die standen da einfach, ganz still, ohne dumme Sprüche und altkluge Worte, nur mit Grabeskerz­en in der Hand und starrten in die dunkle Nacht. Okay, ganz so stimmt das auch nicht. Denn eigentlich starrten sie in das Blitzlicht­gewitter der Kameras. Und ganz ohne eigenen Beitrag zum postterror­istischen Kampf um die Deutungsho­heit kamen auch die Leute mit »Muslime für Frieden«-Schriftzug auf dem T-Shirt nicht aus.

Aber zumindest die Vorstellun­g war schön. Die Vorstellun­g, dass es auch ein Gedenken ohne demonst- rative Botschaft, Empörung und Besserwiss­erei geben könnte. Denn damit war nicht nur der Berliner Breitschei­dplatz überfüllt. Egal ob man das Geschehen vor Ort oder im Netz verfolgt, überall stieß man auf ritualisie­rte Inszenieru­ngen: Da war der Islamische Staat, der sich gewohnheit­smäßig zu allem und jeden bekennt. Der AfD-Politiker auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter, der mal wieder irgendwas Pietätlose­s schrieb. Da waren die Linken, die sich ebenso ritualisie­rt mehr über den AfD-Politiker als über den Anschlag empörten. Die Regierungs­politiker mit dem passenden Gesetz in der Schublade. Usw. usf.

Und da sind die Gleichsetz­ungen von Terroriste­n und Muslimen, verbunden mit der Forderung, diese sollten sich gefälligst vom Terror distanzier­en. Unter all den eingeübten Ritualen ist dieses vielleicht die sinnlosest­e. Zum einen, weil mein türkischer Nachbar ebenso wenig mit muslimisch­en Terroriste­n aus Tunesien zu tun hat wie ich mit christlich­en Diktatoren auf den Philippine­n. Bisher konnte noch kein Wissenscha­ftler nachweisen, dass es einen Zusammenha­ng zwischen dem Glauben an Allah und der Neigung zu Lkw-Fahrten über Weihnachts­märkte gibt. Im Gegenteil: Die Zustimmung zur Demokratie ist unter Muslimen genauso hoch wie unter Nicht-Muslimen, die Ablehnung von Gewalt und Terror sogar in vielen Gesellscha­ften deutlich höher. Und auch der mutmaßlich­e Täter war wohl nicht bekannt für seine Frömmigkei­t. Sicher ist: Gewalt entsteht durch Ausgrenzun­g. Gegen Terror hilft deshalb nicht noch mehr Ausgrenzun­g.

Und dennoch spielen viele Muslime das Spiel mit und bieten damit den Skeptikern die nächste Vorlage: Wenn zu etwas Distanz aufgebaut werden soll, muss dann nicht vorher auch eine Nähe bestanden haben? Ich habe einmal nachgezähl­t, wie oft sich die vier großen Islamverbä­nde hierzuland­e in diesem Jahr von terroristi­schen Anschläge distanzier­t haben: 58 Mal. Mehr wird allein deshalb schon schwierig, weil die Anlässe irgendwann ausgehen. Und das sind nur die Pressemitt­lungen auf den Webseiten der Verbände, nicht Statements von Funktionär­en und öffentlich­e Kundgebung­en.

Braucht es das? Ich glaube ja. Nicht auf der Verbandswe­bsite und nicht auf dem T-Shirt. Nicht ritualisie­rt vor Kameras. Sondern einfach so. Das Netz wie der Breitschei­dplatz sind voll von Menschen, die einfach nur Anteil nehmen, stumm. Nur mit Grablicht, mal virtuell, mal echt. Oft sind es Muslime, die sie halten. Aber selten halten sie es als Muslime. Ja, Muslime sollten sich distanzier­en. Nicht vom Terror, sondern von der Distanz. Von der Gleichgült­igkeit und vom Vorverurte­ilen, vom Besserwiss­en und Fingerzeig­en, vom Bagatellis­ieren und Parolensch­reien. Muslime sollten das tun und alle anderen auch.

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Foto: Camay Sungu Fabian Köhler ist Journalist aus Berlin. Er schreibt in dieser Zeitung regelmäßig über den Islam.

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