Ohne Humor nicht zu ertragen
Die meisten Regierungen im Nahen Osten verstehen wenig Spaß.
»Menschen, deren Lachen stets affektiert ist und gezwungen, sind intellektuell und moralisch von leichtem Gehalt.« (Arthur Schopenhauer) Dass sich Malu Dreyer von diesem Zitat leiten ließ, als sie sich im Frühjahr während des Landtagswahlkampfes in Rheinland-Pfalz in das Frauenduell mit Julia Klöckner von der CDU begab, würde die Sozialdemokratin sicher weit von sich weisen. Doch die 55-jährige Juristin deklassierte ihre immer etwas zu laute und gewollt fröhliche Konkurrentin mit ihrer natürlichen Freundlichkeit und offenem Visier. Seit Mai regiert die 2013 als Nachfolgerin von Kurt Beck in die Mainzer Staatskanzlei eingezogene Politikerin mit einem eigenen Wahlerfolg im Rücken nahezu lautlos in Mainz eine Ampelkoalition. Dreyer, die aus Neustadt an der Weinstraße stammt, ist bei ihren Wählern auch deshalb beliebt, weil sie sich trotz politischer Karriere nicht weit von ihnen entfernte: Sie lebt in Trier im Schammatdorf, einem alternativen Wohnprojekt.
Superman ist da. Stolzen Schrittes, das blaue Cape vom Winde verweht, auf dem Kopf die traditionelle arabische Kopfbedeckung, schreitet er, von Kindern umringt, durch die Menge aus verschleierten Frauen, Männern in traditioneller arabischer Kleidung: »Ich kandidiere«, ruft er, »kommt alle zur Wahl!« Die Leute schauen, als sei da ein Wesen aus einer anderen Welt mitten im Zentrum von KuwaitStadt aufgetaucht. »Ich möchte erreichen, dass die Menschen über ihr Land nachdenken«, sagt »Mansur Man« (»Sieges-Mann«), der eigentlich Ali Kamal heißt. Ende November wurden in Kuwait neue Lokalparlamente gewählt; gut 20 Prozent der Wahlberechtigten waren Erstwähler. »Man könnte lange Artikel darüber schreiben, welche Themen warum wichtig sind. Ich als Komiker halte es für effektiver, in kurzen Sketchen und Aktionen auf die wichtigsten Themen aufmerksam zu machen, und dafür zu werben, dass die Leute überhaupt zur Wahl gehen.«
Während er mit den ausländischen Journalisten spricht, schauen Polizisten aus der Nähe zu, freundlich lächelnd. Auch dies: etwas wie aus einer anderen Welt, in der arabischen Welt. Einige hundert Kilometer weiter, in Saudi-Arabien, wird zur selben Zeit ein 19-Jähriger von der Polizei verhört; sein Vergehen: Er hatte in einem sozialen Netzwerk Videos eingestellt, in denen er die Verhältnisse im Königreich Saudi-Arabien parodiert: Die jungen Männer, die ihre Abende damit verbringen, die Hauptstraße im Mercedes rauf und runter zu fahren, weil es nichts anderes zu tun gibt. Außerdem hat er sich mit der Frage beschäftigt, wie man überhaupt eine Frau kennen lernt, in einem Land, in dem die Geschlechter stets streng getrennt sind, und Frauen überdies verschleiert sein müssen.
Die Regierungen der Region verstehen meist wenig Spaß, wenn sich jemand über die Verhältnisse im Land lustig macht: Ein falsches Wort, und eine lange Haftstrafe, auch Auspeitschung kann die Folge sein. »Bevor ich ein Video hochlade, sage ich vorher alle Termine ab, weil ich wahrscheinlich die nächsten Tage bei der Polizei verbringen werde«, sagt Mohammad, der 19-jährige Saudi: »Aber man bekommt auch sehr schnell ein Gespür dafür, wie man bestimmte Dinge sagt und trotzdem größeren Ärger vermeidet.«
Noch vor wenigen Jahren war Satire in der Region kaum bekannt und weitgehend unpolitisch: »Wir leben in Ländern, die seit Jahrzehnten autokratisch regiert werden; da lädt man nicht zur Satire-Show im Bürgerhaus ein, und wenn, dann geht es um lustige Sketche über das menschliche Zusammenleben«, sagt Ahmed, syrischer Schauspieler, der vor dem Bürgerkrieg in einer Vielzahl von unpolitischen Filmkomödien mitwirkte. Sie waren jahrzehntelang der Goldstandard der Satire in der arabischen Welt. Bis mit länderübergreifenden Fernsehsendern, den sozialen Netzwerken im Internet die Möglichkeiten geschaffen wurden, einer großen Zahl von Menschen die Meinung zu sagen. Vor allem junge Araber nutzen dies. Bei Youtube ist eine Masse an Videos zu finden, in denen sich junge Araber satirisch mit ihren Themen beschäftigen. Und dabei enorme Risiken eingehen.
So ist in Irak und Syrien der Islamische Staat (IS) ein beliebtes Thema. »Es ist auch eine Art der Selbsttherapie«, sagt der 22-jährige Iraker Mahmud, der zusammen mit Freunden regelmäßig Sketche filmt, in denen sich die Jugendlichen über den IS lustig machen: »Ich kann diese Situation nur mit Humor ertragen. Nur dann kann ich erkennen, wer diese Leute tatsächlich sind: ein Haufen von Loosern mit einem Aggressionsproblem, die sich hinter dem Koran verstecken, damit niemand sieht, wer sie wirklich sind.« Dafür bekommen die Mitglieder der kleinen losen Gruppe Morddrohungen.
Eine Erfahrung, die in letzter Zeit auch immer mehr Palästinenser machen, die sich über die eigene Regierung lustig machen: »Im besten Fall kommt die Polizei vorbei«, sagt ein Ehepaar, das regelmäßig den palästinensischen Regierungschef Rami Hamdallah parodiert. »Im schlimmsten Fall wird man einfach auf der Straße zusammengeschlagen. Ich sehe das als Bestätigung dafür, dass unser Humor wahrgenommen wird. Wenn ich bei Facebook einen kritischen Kommentar einstelle, dann liest das doch keiner mehr«, sagt der Ehemann: »Wenn wir aber nachstellen, wie Hamdallah, ein Mann, von dem man zum ersten und letzten Mal bei seiner Ernennung 2013 gehört hat, in seinem Büro sitzt und nichts tut, dann schauen sich das Zehntausende an.«
Nur wenige Kilometer weiter, in Israel, ist die Redefreiheit indes nahezu grenzenlos. Die vom öffentlichrechtlichen Sender Kanal 2 ausgestrahlte Satiresendung »Eretz Nehederet« (Ein wunderbares Land) gehört zu den meist gesehenen Programmen in Israel. So einflussreich ist die Sendung, dass sie von US-Präsident Barack Obama 2013 in einer Rede erwähnt wurde: Der ganze öffentliche Streit zwischen ihm und Regierungschef Benjamin Netanjahu, den habe man nur ausgefochten, um der Redaktion Material zu liefern.
2006 schaltete die Redaktion im Wahlkampf angebliche Wahlwerbespots für einen Kandidaten namens Petek Lawan: Ein Ex-General, der in seinem Eigenheim mit den Herausforderungen des Alltags kämpft und stets siegreich ist. Ein Petek Lawan, zu deutsch weißes oder unbeschriebenes Blatt, ist aber auch die Be- zeichnung für jenes Blatt Papier in den Wahlkabinen, mit dem die Wähler deutlich machen können, dass sie für keine der Listen stimmen wollen. Die Kandidaten der Rentnerpartei Gil, bis dahin absolut unbekannt, druckten sich darauf T-Shirts mit dem Aufdruck »Stimmt nicht für Petek Lavan! Wählt Oma und Opa«, gingen auf eine lange, ausgedehnte Kneipentour. Und errangen sieben von 120 Parlamentssitzen. Petek Lavan bekam knapp 60 000 Stimmen.
Selbst öffentliche Bedienstete setzen sich in Israel humoristisch mit ihrem Alltag auseinander. So begannen Mitarbeiter des Parlaments vor einigen Monaten, sich öffentlich darüber auszutauschen, bei welcher Veranstaltung in der Knesset es gerade das beste Essen gibt, samt Tipps dafür, wie man am Besten am Türsteher vorbeikommt.
Doch in die Regierungen und Parlamente der Region sind Satiriker noch nicht durchgedrungen. »Parteien wie die deutsche PARTEI oder die italienische Vier-Sterne-Bewegung wären bei uns nicht möglich, und sie würden wahrscheinlich auch einfach nicht wahrgenommen«, sagt Bassem Jussef, der wohl bekannteste Satiriker der arabischen Welt. Seine Show zog Millionen vor die Fernseher. Doch nach dem Militärputsch in Ägypten 2013 war Schluss: 2014 wurde auch dem ägyptischen Ableger des libanesischen Senders MBC, der die Sendung zuletzt ausstrahlte, der Druck aus Kairo zu groß. Jussef lebt heute in den Vereinigten Staaten.
»Man muss sich auch die Frage stellen, was Satiriker in der Politik besser machen könnten«, sagt David Lifschitz, in Israel einer der Erfinder von Eretz Nederet: Denn in den meisten arabischen Ländern wird Politik vor allem hinter verschlossenen Türen gemacht; Parlamentsdebatten werden kaum wahr genommen oder sind, wie in Israel, eine stundenlange Aneinanderreihung von Redebeiträgen. Lifschitz: »Wenn wir all unsere Kritik der vergangenen Jahre dazu nehmen, um den idealen israelischen Politiker zu schaffen, wäre dieser Politiker nicht lustig, sondern ein ernstes Arbeitstier.«
Jussef indes merkt an, dass ägyptische Politiker die wohl besten Satiriker sind. »Das, was die Regierung uns Tag für Tag präsentiert, kann man nicht besser erfinden.« Da ist Präsident Abdelfattah al-Sisi, der sich wahlweise in mit Gold geschmückten Generalsuniformen oder viel zu engen Anzügen in der Öffentlichkeit zeigt. Und da ist das Militärorchester, das bei ausländischen Staatsbesuchen schräge Interpretationen der jeweiligen Nationalhymne präsentiert. Man versuche, die ausländischen Melodien »mit einem Hauch des musikalischen Erbe unseres Landes« zu versehen, sagt dazu ein Sprecher Sisis. Und betont auf Nachfrage, das sei völlig ernst gemeint; er verstehe die Frage nicht.
In Kuwait, wo »Mansur Man« mit seinen Superkräften die Menschen zur Wahlteilnahme animieren möchte, ist die Regierung indes, ausnahmsweise, mit der Satire einverstanden; man lässt ihn gewähren, so wie auch die Regierungen der Region die Jugendlichen gewähren lassen, die sich über den IS lustig machen. In Irak und Syrien strahlten Fernsehsender sogar einige der Videos aus. Die Spots seien eine gute Möglichkeit, junge Leute vom IS-Beitritt abzuhalten, sagt ein Sprecher des Innenministeriums. Und in SaudiArabien wird Satire ebenfalls geduldet – manchmal, wenn sie sich gegen den Erzfeind Iran richtet. »Ich habe auch schon erlebt, dass ich bei der Polizei saß und die Beamten laut über meine Videos gelacht haben«, sagt Mohammad, der saudische Youtuber: »Strafe musste ich trotzdem zahlen.«