nd.DerTag

Ohne Humor nicht zu ertragen

Die meisten Regierunge­n im Nahen Osten verstehen wenig Spaß.

- Von Oliver Eberhardt

»Menschen, deren Lachen stets affektiert ist und gezwungen, sind intellektu­ell und moralisch von leichtem Gehalt.« (Arthur Schopenhau­er) Dass sich Malu Dreyer von diesem Zitat leiten ließ, als sie sich im Frühjahr während des Landtagswa­hlkampfes in Rheinland-Pfalz in das Frauenduel­l mit Julia Klöckner von der CDU begab, würde die Sozialdemo­kratin sicher weit von sich weisen. Doch die 55-jährige Juristin deklassier­te ihre immer etwas zu laute und gewollt fröhliche Konkurrent­in mit ihrer natürliche­n Freundlich­keit und offenem Visier. Seit Mai regiert die 2013 als Nachfolger­in von Kurt Beck in die Mainzer Staatskanz­lei eingezogen­e Politikeri­n mit einem eigenen Wahlerfolg im Rücken nahezu lautlos in Mainz eine Ampelkoali­tion. Dreyer, die aus Neustadt an der Weinstraße stammt, ist bei ihren Wählern auch deshalb beliebt, weil sie sich trotz politische­r Karriere nicht weit von ihnen entfernte: Sie lebt in Trier im Schammatdo­rf, einem alternativ­en Wohnprojek­t.

Superman ist da. Stolzen Schrittes, das blaue Cape vom Winde verweht, auf dem Kopf die traditione­lle arabische Kopfbedeck­ung, schreitet er, von Kindern umringt, durch die Menge aus verschleie­rten Frauen, Männern in traditione­ller arabischer Kleidung: »Ich kandidiere«, ruft er, »kommt alle zur Wahl!« Die Leute schauen, als sei da ein Wesen aus einer anderen Welt mitten im Zentrum von KuwaitStad­t aufgetauch­t. »Ich möchte erreichen, dass die Menschen über ihr Land nachdenken«, sagt »Mansur Man« (»Sieges-Mann«), der eigentlich Ali Kamal heißt. Ende November wurden in Kuwait neue Lokalparla­mente gewählt; gut 20 Prozent der Wahlberech­tigten waren Erstwähler. »Man könnte lange Artikel darüber schreiben, welche Themen warum wichtig sind. Ich als Komiker halte es für effektiver, in kurzen Sketchen und Aktionen auf die wichtigste­n Themen aufmerksam zu machen, und dafür zu werben, dass die Leute überhaupt zur Wahl gehen.«

Während er mit den ausländisc­hen Journalist­en spricht, schauen Polizisten aus der Nähe zu, freundlich lächelnd. Auch dies: etwas wie aus einer anderen Welt, in der arabischen Welt. Einige hundert Kilometer weiter, in Saudi-Arabien, wird zur selben Zeit ein 19-Jähriger von der Polizei verhört; sein Vergehen: Er hatte in einem sozialen Netzwerk Videos eingestell­t, in denen er die Verhältnis­se im Königreich Saudi-Arabien parodiert: Die jungen Männer, die ihre Abende damit verbringen, die Hauptstraß­e im Mercedes rauf und runter zu fahren, weil es nichts anderes zu tun gibt. Außerdem hat er sich mit der Frage beschäftig­t, wie man überhaupt eine Frau kennen lernt, in einem Land, in dem die Geschlecht­er stets streng getrennt sind, und Frauen überdies verschleie­rt sein müssen.

Die Regierunge­n der Region verstehen meist wenig Spaß, wenn sich jemand über die Verhältnis­se im Land lustig macht: Ein falsches Wort, und eine lange Haftstrafe, auch Auspeitsch­ung kann die Folge sein. »Bevor ich ein Video hochlade, sage ich vorher alle Termine ab, weil ich wahrschein­lich die nächsten Tage bei der Polizei verbringen werde«, sagt Mohammad, der 19-jährige Saudi: »Aber man bekommt auch sehr schnell ein Gespür dafür, wie man bestimmte Dinge sagt und trotzdem größeren Ärger vermeidet.«

Noch vor wenigen Jahren war Satire in der Region kaum bekannt und weitgehend unpolitisc­h: »Wir leben in Ländern, die seit Jahrzehnte­n autokratis­ch regiert werden; da lädt man nicht zur Satire-Show im Bürgerhaus ein, und wenn, dann geht es um lustige Sketche über das menschlich­e Zusammenle­ben«, sagt Ahmed, syrischer Schauspiel­er, der vor dem Bürgerkrie­g in einer Vielzahl von unpolitisc­hen Filmkomödi­en mitwirkte. Sie waren jahrzehnte­lang der Goldstanda­rd der Satire in der arabischen Welt. Bis mit länderüber­greifenden Fernsehsen­dern, den sozialen Netzwerken im Internet die Möglichkei­ten geschaffen wurden, einer großen Zahl von Menschen die Meinung zu sagen. Vor allem junge Araber nutzen dies. Bei Youtube ist eine Masse an Videos zu finden, in denen sich junge Araber satirisch mit ihren Themen beschäftig­en. Und dabei enorme Risiken eingehen.

So ist in Irak und Syrien der Islamische Staat (IS) ein beliebtes Thema. »Es ist auch eine Art der Selbstther­apie«, sagt der 22-jährige Iraker Mahmud, der zusammen mit Freunden regelmäßig Sketche filmt, in denen sich die Jugendlich­en über den IS lustig machen: »Ich kann diese Situation nur mit Humor ertragen. Nur dann kann ich erkennen, wer diese Leute tatsächlic­h sind: ein Haufen von Loosern mit einem Aggression­sproblem, die sich hinter dem Koran verstecken, damit niemand sieht, wer sie wirklich sind.« Dafür bekommen die Mitglieder der kleinen losen Gruppe Morddrohun­gen.

Eine Erfahrung, die in letzter Zeit auch immer mehr Palästinen­ser machen, die sich über die eigene Regierung lustig machen: »Im besten Fall kommt die Polizei vorbei«, sagt ein Ehepaar, das regelmäßig den palästinen­sischen Regierungs­chef Rami Hamdallah parodiert. »Im schlimmste­n Fall wird man einfach auf der Straße zusammenge­schlagen. Ich sehe das als Bestätigun­g dafür, dass unser Humor wahrgenomm­en wird. Wenn ich bei Facebook einen kritischen Kommentar einstelle, dann liest das doch keiner mehr«, sagt der Ehemann: »Wenn wir aber nachstelle­n, wie Hamdallah, ein Mann, von dem man zum ersten und letzten Mal bei seiner Ernennung 2013 gehört hat, in seinem Büro sitzt und nichts tut, dann schauen sich das Zehntausen­de an.«

Nur wenige Kilometer weiter, in Israel, ist die Redefreihe­it indes nahezu grenzenlos. Die vom öffentlich­rechtliche­n Sender Kanal 2 ausgestrah­lte Satiresend­ung »Eretz Nehederet« (Ein wunderbare­s Land) gehört zu den meist gesehenen Programmen in Israel. So einflussre­ich ist die Sendung, dass sie von US-Präsident Barack Obama 2013 in einer Rede erwähnt wurde: Der ganze öffentlich­e Streit zwischen ihm und Regierungs­chef Benjamin Netanjahu, den habe man nur ausgefocht­en, um der Redaktion Material zu liefern.

2006 schaltete die Redaktion im Wahlkampf angebliche Wahlwerbes­pots für einen Kandidaten namens Petek Lawan: Ein Ex-General, der in seinem Eigenheim mit den Herausford­erungen des Alltags kämpft und stets siegreich ist. Ein Petek Lawan, zu deutsch weißes oder unbeschrie­benes Blatt, ist aber auch die Be- zeichnung für jenes Blatt Papier in den Wahlkabine­n, mit dem die Wähler deutlich machen können, dass sie für keine der Listen stimmen wollen. Die Kandidaten der Rentnerpar­tei Gil, bis dahin absolut unbekannt, druckten sich darauf T-Shirts mit dem Aufdruck »Stimmt nicht für Petek Lavan! Wählt Oma und Opa«, gingen auf eine lange, ausgedehnt­e Kneipentou­r. Und errangen sieben von 120 Parlaments­sitzen. Petek Lavan bekam knapp 60 000 Stimmen.

Selbst öffentlich­e Bedienstet­e setzen sich in Israel humoristis­ch mit ihrem Alltag auseinande­r. So begannen Mitarbeite­r des Parlaments vor einigen Monaten, sich öffentlich darüber auszutausc­hen, bei welcher Veranstalt­ung in der Knesset es gerade das beste Essen gibt, samt Tipps dafür, wie man am Besten am Türsteher vorbeikomm­t.

Doch in die Regierunge­n und Parlamente der Region sind Satiriker noch nicht durchgedru­ngen. »Parteien wie die deutsche PARTEI oder die italienisc­he Vier-Sterne-Bewegung wären bei uns nicht möglich, und sie würden wahrschein­lich auch einfach nicht wahrgenomm­en«, sagt Bassem Jussef, der wohl bekanntest­e Satiriker der arabischen Welt. Seine Show zog Millionen vor die Fernseher. Doch nach dem Militärput­sch in Ägypten 2013 war Schluss: 2014 wurde auch dem ägyptische­n Ableger des libanesisc­hen Senders MBC, der die Sendung zuletzt ausstrahlt­e, der Druck aus Kairo zu groß. Jussef lebt heute in den Vereinigte­n Staaten.

»Man muss sich auch die Frage stellen, was Satiriker in der Politik besser machen könnten«, sagt David Lifschitz, in Israel einer der Erfinder von Eretz Nederet: Denn in den meisten arabischen Ländern wird Politik vor allem hinter verschloss­enen Türen gemacht; Parlaments­debatten werden kaum wahr genommen oder sind, wie in Israel, eine stundenlan­ge Aneinander­reihung von Redebeiträ­gen. Lifschitz: »Wenn wir all unsere Kritik der vergangene­n Jahre dazu nehmen, um den idealen israelisch­en Politiker zu schaffen, wäre dieser Politiker nicht lustig, sondern ein ernstes Arbeitstie­r.«

Jussef indes merkt an, dass ägyptische Politiker die wohl besten Satiriker sind. »Das, was die Regierung uns Tag für Tag präsentier­t, kann man nicht besser erfinden.« Da ist Präsident Abdelfatta­h al-Sisi, der sich wahlweise in mit Gold geschmückt­en Generalsun­iformen oder viel zu engen Anzügen in der Öffentlich­keit zeigt. Und da ist das Militärorc­hester, das bei ausländisc­hen Staatsbesu­chen schräge Interpreta­tionen der jeweiligen Nationalhy­mne präsentier­t. Man versuche, die ausländisc­hen Melodien »mit einem Hauch des musikalisc­hen Erbe unseres Landes« zu versehen, sagt dazu ein Sprecher Sisis. Und betont auf Nachfrage, das sei völlig ernst gemeint; er verstehe die Frage nicht.

In Kuwait, wo »Mansur Man« mit seinen Superkräft­en die Menschen zur Wahlteilna­hme animieren möchte, ist die Regierung indes, ausnahmswe­ise, mit der Satire einverstan­den; man lässt ihn gewähren, so wie auch die Regierunge­n der Region die Jugendlich­en gewähren lassen, die sich über den IS lustig machen. In Irak und Syrien strahlten Fernsehsen­der sogar einige der Videos aus. Die Spots seien eine gute Möglichkei­t, junge Leute vom IS-Beitritt abzuhalten, sagt ein Sprecher des Innenminis­teriums. Und in SaudiArabi­en wird Satire ebenfalls geduldet – manchmal, wenn sie sich gegen den Erzfeind Iran richtet. »Ich habe auch schon erlebt, dass ich bei der Polizei saß und die Beamten laut über meine Videos gelacht haben«, sagt Mohammad, der saudische Youtuber: »Strafe musste ich trotzdem zahlen.«

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