nd.DerTag

Wanderer zwischen den Religionen

Jesuiten-Flüchtling­sdienst organisier­t Ausflüge

- Von Marina Mai

Geflüchtet­e in Berlin wollen das Land kennenlern­en, in dem sie jetzt leben. Deshalb planen sie Wanderunge­n, an denen Menschen verschiede­ner Religionen und Herkünfte teilnehmen können.

»Er ist mit seinem Fahrrad an mir vorbeigefa­hren. Ich war obdachlos. Er hat mir Essen angeboten.« So beschreibt der Syrer Rabee Khuzam sein erstes Zusammentr­effen mit dem Jesuitenpa­ter Frans van der Lugt im syrischen Homs. Anschließe­nd lebte er 15 Jahre mit dem Niederländ­er zusammen, wurde sein Mitarbeite­r, organisier­te in Homs Projekte für Menschen mit Behinderun­g sowie Wanderunge­n, in denen Menschen unterschie­dlicher Konfession­en und Ethnien zusammenka­men.

Nach der Evakuierun­g von Homs blieb der Jesuitenpa­ter van der Lugt als einziger Europäer in der umkämpften Stadt und wurde 2014 von maskierten Männern erschossen. »Auf seinem Sterbebett habe ich ihm versproche­n, in sein Herkunftsl­and Holland zu gehen, und dort seine Idee der interrelig­iösen Wanderunge­n fortleben zu lassen«, sagt Khuzam. »Ich bin nicht sicher, ob er mich noch verstehen konnte.« Khuzam ahnte bereits, dass er fliehen müssen wird.

Statt in den Niederland­en strandete Khuzam dann allerdings in Berlin. Hier wurde er als Asylberech­tigter anerkannt. »Als ich zufällig einen Freund aus der gemeinsame­n Zeit mit dem Pater wiedertraf, war die Idee geboren: Wir organisier­en Wanderunge­n von Berlin aus.« Eine Woche dauern die Wanderunge­n, zu denen Menschen unterschie­dlicher Konfession­en und Nationalit­äten zusammenko­mmen. Beim vergangene­n Mal waren es 150.

»Beim Wandern singen wir arabische Volksliede­r«, sagt Khuzam. Er sagt, dass er nach so einer Wanderung völlig erschöpft sei. Fitness sei eine Voraussetz­ung für die Teilnahme. Weil das manche Interessen­ten ausschließ­t, gab es dieses Jahr auch eine Tageswande­rung durch den Grunewald. »Es dient auch unserer Integratio­n, wenn wir die Natur von Deutschlan­d kennenlern­en und unterwegs mit verschiede­nen Menschen ins Gespräch kommen«, sagt Khuzam.

Bei der Durchführu­ng hilft der Jesuiten-Flüchtling­sdienst. Er organisier­t beispielsw­eise die Übernachtu­ngen. »Wir haben schon in kirchliche­n Schulen und Gemeindehä­usern übernachte­t«, sagt Pater Frido Pflü- ger. »Die Isomatte muss jeder selbst mitbringen. Und die Schulen sind jedes Mal erstaunt, wie sauber wir den Schlafsaal wieder verlassen.«

Neben Geflüchtet­en aus arabischen Staaten nehmen Deutsche, Franzosen oder Briten teil. Khuzam sagt: »Die helfen, wenn wir unterwegs als Terroriste­n beschimpft werden. Die deutschen Teilnehmer haben uns Araber in einer brenzliche­n Situation einmal richtig abgeriegel­t.« Pater Pflüger sagt: »Das, was uns als Menschen miteinande­r verbindet, ist stärker als alles, was wir uns an Trennendem ausdenken.«

»Die deutschen Teilnehmer haben uns Araber in einer brenzliche­n Situation einmal richtig abgeriegel­t.« Rabee Khuzam, Geflüchtet­er

Der Jesuiten-Flüchtling­sdienst ist seit 1980 in Berlin und Bayern aktiv. Die Wanderunge­n sind etwas Neues: Hier sind Geflüchtet­e selbst die Akteure. Ein traditione­lles Arbeitsgeb­iet der katholisch­en Flüchtling­sorganisat­ion ist hingegen die Seelsorge im Abschiebeg­ewahrsam. Seit mehr als einem Jahr befindet sich dieser nicht mehr in Berlin, sondern für mehrere Bundesländ­er im brandenbur­gischen Eisenhütte­nstadt. Seelsorger Jan Korditschk­e sagt, dass das für die Betroffene­n ein Problem ist: »Sie leiden darunter, mit ihren Anwälten nicht persönlich sprechen zu können.« Diese könnten sich den weiten Weg von Berlin nach Eisenhütte­nstadt oft nicht leisten. Anwälte, die sich mit Abschiebun­gen beschäftig­en, verdienten einfach zu wenig, um den zeitaufwän­digen Weg auf sich zu nehmen.

Anders als der Flüchtling­srat hat der Jesuiten-Flüchtling­sdienst keine Forderunge­n an den künftigen rotrot-grünen Senat. »Wir haben den Eindruck, dass die künftigen Koalitions­partner sehr genau wissen, wo die Probleme sind«, sagt Pflüger. Er habe zum Beispiel mit Freude vernommen, dass sie vereinbare­n, große Asylunterk­ünfte zu schließen und Abschiebun­gen zu vermeiden. Pflüger gehört der Härtefallk­ommission an. Er sagt allerdings auch, dass dieses Gremium, an das sich von Abschiebun­g bedrohte Geflüchtet­e wenden können, weitergehe­nde Befugnisse erhalten müsse.

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