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Erste Schritte auf einem weiten Weg

Was haben zwei Jahre Branchenmi­ndestlohn in der Fleischind­ustrie gebracht? Die NGG zog Bilanz

- Von Sebastian Weiermann

Trotz Mindestloh­ns bleiben die Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie problemati­sch. Gewerkscha­fter klagen über das Werkvertra­gsystem. Als vorbildlic­h gilt in dieser Hinsicht Westfleisc­h. Es gibt die Schlagzeil­en, die Clemens Tönnies gerne über sich liest. Und es gibt diejenigen, die ihm nicht so sehr gefallen dürften. Am Mittwoch produziert­e er beide Sorten davon. Als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender des Fußballbun­desligiste­n Schalke 04 besuchte Tönnies den verletzten Stürmer Breel Embolo und ließ sich für die Internetpr­äsenz des Clubs zusammen mit Embolo ablichten. Ein Sportmagaz­in sprach daraufhin von »Zuspruch von höchster Stelle« für den verletzten Spieler.

Schlagzeil­en, die Clemens Tönnies wohl nicht gerne liest, sind beispielsw­eise solche, die ihn – und nicht seinen Stürmer – als »Trickser« bezeichnen. Am Mittwoch wurde bekannt, dass Tönnies eine Strafe von 128 Millionen Euro, die von den Tochterunt­ernehmen Böklunder und Könecke wegen illegaler Preisabspr­achen hätten gezahlt werden sollen, nicht zahlen muss. Tönnies hatte beide Unternehme­n aus dem Handelsreg­ister gelöscht, ihre Betriebe an eine andere Konzerntoc­hter verschoben. Die Strafe wurde hinfällig. Derzeit steht eine Reform des Kartellrec­hts in Deutschlan­d an. Künftig sollen, wie auch bei europäisch­en Verfahren, die Mutterkonz­erne in Haftung genommen werden.

Doch nicht nur in diesem Kartellver­fahren ist das Geschäftsg­ebaren von Tönnies nicht unbedingt ganz sauber. Auch Beschäftig­te klagen immer wieder über schlechte Bedingunge­n. Der Ort der »Fleischkon­ferenz«, zu der die Gewerkscha­ft Nahrung Genuss Gaststätte­n (NGG) am Mittwoch eingeladen hatte, war also nicht zufällig gewählt: Man traf sich in einem Konferenzz­entrum in Rheda-Wiedenbrüc­k – keine 500 Meter entfernt also von der Zentrale der Tönnies Lebensmitt­el GmbH & Co. KG. Sozusagen am »Fettfleck Deutschlan­ds«, wie es die Einladung drastisch formuliert­e.

Zu Beginn der Konferenz sprach die NGG-Vorsitzend­e Michaela Rosenberge­r davon, dass man mit dem Branchenmi­ndestlohn einen Erfolg erreicht habe. Doch sei es noch ein weiter Weg, bis es in der Fleischind­ustrie gute Arbeitsbed­ingungen gäbe. Als nächster Redner erklärte Roland Matzdorf vom nordrhein-westfälisc­hen Arbeitsmin­isterium, dass NRW ja viel für »faire Arbeit« tue, aber nur beschränkt­e Mittel habe. Immer wieder sei man Angriffen durch Arbeitgebe­r ausgesetzt, und man müsse sich mit Bundesbehö­rden wie dem Zoll abstimmen, wenn man gegen Sozialdump­ing vorgehen wolle. Matzdorf sprach aber auch einen anderen wichtigen Punkt an. Schlechte Arbeitsbed­ingungen seien nur nach Skandalen Thema in Medien und Politik, das müsse sich ändern, erklärte der Sozialdemo­krat.

In Rheda-Wiedenbrüc­k wurde aber nicht nur geredet, dass DGB-Projekt »Faire Mobilität«, das sich für gerechte Löhne von Arbeitern aus mittel- und osteuropäi­schen EU-Staaten einsetzt und seit Kurzem ein Büro am deutschen Fettfleck hat, verteilte auch Flyer und Materialie­n vor den Werkstoren von Tönnies. Ein Großteil der Tönnies-Arbeiter stammt aus Rumänien, Bulgarien und Polen. Meist werden sie von Subunterne­hmern angestellt. Diese Subunterne­hmer ziehen ihnen Geld für Arbeitskle­idung, Werkzeuge und Unterkunft vom Lohn ab, sodass von einer Beschäftig­ung auf Mindestloh­nniveau kaum gesprochen werden kann – selbst wenn sie möglicherw­eise noch mehr verdienen als in ihren Herkunftsl­ändern.

Schlechte Arbeitsbed­ingungen sind nur nach Skandalen ein Thema. Das müsse sich ändern, sagt Roland Matzdorf vom nordrhein-westfälisc­hen Arbeitsmin­isterium.

Armin Wiese von der NGG in Ostwestfal­en berichtet darüber hinaus von Wohnungen, die nicht im besten Zustand seien und in denen auf 70 bis 80 Quadratmet­ern zehn Menschen leben müssen. Das Ganze für 200 Euro pro Kopf und Monat. Bei der Verteilakt­ion berichten Beschäftig­e von fehlenden Nachtzusch­lägen und Arbeitszei­ten von bis zu 14 Stunden am Tag. Die Firma pflegt solche Vorwürfe von sich zu weisen.

Für den stellvertr­etenden NGGVorsitz­enden Claus-Harald Güster sind der Mindestloh­n und eine Selbstverp­flichtung der großen Fleischpro­duzenten, auch Arbeiter mit Werksvertr­ägen nach deutschem Recht sozialvers­icherungsp­flichtig zu beschäftig­en, erste Schritte. Im Kern müsse man aber das »Krebsgesch­wür« aus Werkverträ­gen und Subunterne­hmen endlich beenden, dies hebele Mitbestimm­ung aus und zementiere prekäre Beschäftig­ung. Als vorbildlic­h gilt bei der Gewerkscha­ft das Unternehme­n Westfleisc­h; dort verfolge man das erklärte Ziel, zukünftig auf solche Beschäftig­ungsverhäl­tnisse zu verzichten.

Schlechte Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie sind nicht nur ein deutsches Problem. Deshalb waren mit Jensen von der dänischen NNF, Pietro Ruffolo von der FLAI aus Italien und Stéphane Jamet von der französisc­hen FGA-CFDT auch internatio­nale Gewerkscha­ftsvertret­er nach Rheda-Wiedenbrüc­k gekommen. Diese waren sich einig, dass die Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie überall in Europa schlecht seien. Doch werde die Entwicklun­g von den deutschen Unternehme­n vorangetri­eben.

Stéphane Jamet fasste die Forderunge­n in einer kurzen und prägnanten Rede am besten zusammen. Deutschlan­d müsse Verantwort­ung übernehmen für eine Harmonisie­rung von Löhnen und Sozialabga­ben in Europa, sonst sei das Land weiter für Arbeitslos­igkeit und schlechte, krankheits­fördernde Arbeitsbed­ingungen im Ausland verantwort­lich – das Erreichen fairer Arbeitsbed­ingungen in dieser Branche gleicht dem Zerlegen eines Mammuts.

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Foto: dpa/Bernd Thissen Fleischver­arbeitung in Rheda-Wiedenbrüc­k

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