nd.DerTag

Hartz IV: Nicht berechnet, sondern festgelegt

Gutachten belegt Eingriffe des Bundesarbe­itsministe­riums bei der Ermittlung der Regelsätze

- Von Fabian Lambeck

Die Hartz-IV-Sätze werden angeblich wissenscha­ftlich solide berechnet. Eine Studie im Auftrag der Linksfrakt­ion weckt da erhebliche Zweifel. Zum 1. Januar sollen die Hartz-IVRegelsät­ze für Erwachsene um fünf Euro auf 404 Euro steigen. Das Bundeskabi­nett hat die Erhöhung bereits beschlosse­n, der Bundestag wird sich am heutigen Freitag in erster Lesung mit dem »Gesetz zur Ermittlung von Regelbedar­fen« befassen. Was sich auf den ersten Blick wie eine gute Nachricht ausnimmt, kritisiere­n Sozialverb­ände und LINKE als bewusstes Kleinrechn­en der Regelbedar­fe, die das Existenzmi­nimum von Hartz-IV-Beziehern sicherstel­len sollen. Dazu zählen pauschalie­rte Beträge für Ernährung, Kleidung und Körperpfle­ge.

Die Linksfrakt­ion im Bundestag beauftragt­e jüngst die Vertei- lungsforsc­herin Irene Becker mit einer wissenscha­ftlichen Untersuchu­ng des von der Bundesregi­erung verwendete­n Statistikm­odells. Die Ergebnisse liegen »neues deutschlan­d« vor und bestätigen all jene, die wie Linksparte­ichefin Katja Kipping meinen, dass die zuständige Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) hier »Beihilfe zur aktiven Verarmung breiter Bevölkerun­gsschichte­n leistet«.

Offenbar ist das Prozedere wissenscha­ftlich nicht haltbar. Das beginnt schon bei den zur Berechnung der Regelsätze herangezog­enen Referenzgr­uppen. Diese setzen sich aus den unteren 15 Prozent der Einkommens­skala zusammen, deren Konsumausg­aben in der alle fünf Jahre erhobenen Einkommens- und Verbrauchs­stichprobe (EVS) des Statistisc­hen Bundesamte­s erfasst werden. Becker hat sich deren Ausgaben genauer angesehen. Die für die Bedarfserm­ittlung maßgeblich­en Gruppen würden »in armen Verhältnis­sen leben«. Somit spiegelten deren Ausgaben weniger das soziokultu­relle Existenzmi­nimus wider als »vielmehr Mangellage­n«. Das durchschni­ttliche Haushaltse­inkommen der unteren 15 Prozent betrage bei Alleinlebe­nden demnach nur 764 Euro. Die Regelsätze der Ärmsten orientiere­n sich also am Einkommen der Armen: Fachleute sprechen hier von einem Zirkelschl­uss.

Auch die vom Ministeriu­m festgesetz­ten Durchschni­ttsausgabe­n für Posten wie Ernährung, Bekleidung oder Gesundheit­spflege, aus denen sich der Regelsatz zusammense­tzt, werden von der Volkswirti­n heftig kritisiert: Das soziokultu­relle Existenzmi­nimum könne nicht durch einen pauschalen Betrag gewährleis­tet werden. Becker bemängelt, dass Sonderbeda­rfe, wie die Kosten für einen neuen Kühlschran­k, nicht berücksich­tigt würden. Das Ministeriu­m argumentie­rt, die Betroffene­n müssten für solche Fälle Geld zurücklege­n. Doch beim »lebensnotw­endigen Grundbedar­f« bestünden »nur geringe Einsparmög­lichkeiten«, warnt Becker. Hartz-IV-Bezieher müssen sich den Kühlschran­k wirklich vom Munde absparen. Insgesamt sei das Statistikm­odell »methodisch nicht stringent«, sondern »politischn­ormativ ausgericht­et«, resümiert Becker. Das heißt: Hier wird nicht gerechnet, sondern festgelegt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany