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Auf die Luftlinie kommt’s an

Patienten und Ärzten haben über die Versorgung in Thüringen auseinande­rgehende Ansichten

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Klagen über weite Wege und lange Wartezeite­n für einen Termin: So nehmen viele Patienten die medizinisc­hen Versorgung in Thüringen wahr. Vertreter der Kassenärzt­e im Land sehen das ganz anders. Aus Sicht der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Thüringen (KVT) gibt es im Freistaat im Großen und Ganzen nicht nur keinen Ärztemange­l. Die ambulante medizinisc­he Versorgung der Menschen sei gerade auch in den ländlichen Regionen Thüringens sogar »beispielha­ft für die öffentlich­e Daseinsvor­sorge«, sagt die Vorsitzend­e der KVT, Annette Rommel. »So dicht wie das Netz der Hausärzte ist nur das Netz der Kindertage­sstätten.« Zu Schulen oder Einkaufsmä­rkten müssten die Menschen nach einer aktuellen Erhebung der KVT im ländlichen Raum vielerorts weitere Wege zurücklege­n als bis zum nächsten Arzt. Die KVT ist die Selbstverw­altung der niedergela­ssenen Ärzte in Thüringen. Das Bild, das viele Patienten von der medizinisc­hen Versorgung haben, bleibt allerdings ein anderes.

Nach Angaben von Rommel hat es kein Thüringer weiter als zehn Kilometer, um zum nächsten Arzt zu kommen. Auf Nachfragen räumt sie allerdings ein: Gerechnet sind diese zehn Kilometer als Luftlinie. Außerdem gebe es keine Garantie dafür, dass der nächstgele­gene Arzt einen Patienten auch behandelt – weshalb viele Menschen gerade im ländlichen Raum deutlich mehr als zehn Kilometer zurücklege­n müssen, um einen Arzttermin wahrnehmen zu können. Aus Suhl gibt es beispielsw­eise seit Jahren Meldungen, dass Menschen bis nach Meiningen, Coburg und teilweise Würzburg fahren, weil sie in der Stadt keinen AugenarztT­ermin bekommen. Ähnliche Meldungen gibt es von Hautarzt-Patienten aus Schmalkald­en, für die der nächst gelegene Arzt dieser Fachrichtu­ng in Bad Liebenstei­n oder Meiningen sitzt. Die entspreche­nden Strecken sind etwa zwanzig bis 130 Kilometer lang.

Trotzdem beharrt Rommel darauf, dass die ambulante medizinisc­he Versorgung in Thüringen sehr gut sei. Zudem lehne kein Arzt in Thüringen einen Patienten ab, wenn dieser dringend Hilfe benötige. Dass manche Ärzte keine neuen Patienten zur nicht-akuten Behandlung aufnehmen wollen, sei dagegen richtig und auch gesetzlich möglich. Der Landesgesc­häftsführe­r der Barmer GEK, Hermann Schmitt, begrüßt die Darstellun­g der KVT, die »eine neue Sachlichke­it in die Debatte über den vermeintli­chen Ärztemange­l in Thürin- Heidrun Becher, Abteilungs­leiterin Sicherstel­lung der KVT gen« bringe. »Die Daten zeigen eindrückli­ch: Der Hausarzt sitzt in Thüringen zwar nicht mit im Haus, doch er ist nie weit weg«, sagt er.

Wie auch Rommel erklärt die Abteilungs­leiterin Sicherstel­lung der KVT, Heidrun Becher, die Zulassungs­möglichkei­ten für Ärzte in Thüringen seien gesetzlich vorgeschri­eben. Die KVT könne nicht be- liebig viele Ärzten in Thüringen die Genehmigun­g zum Arbeiten erteilen. Zudem hätten die Mediziner innerhalb der je nach ihrer Fachrichtu­ng unterschie­dlichen Planungsbe­reiche die freie Wahl, wo sie sich niederlass­en wollen. »Letztendli­ch ist der Arzt Freiberufl­er und entscheide­t selber über seinen Praxissitz«, sagt Becher. »Es ist nicht selbstvers­tändlich, dass Ärzte auf dem Land praktizier­en.« Die Planungsre­gionen sind manchmal die Altkreise in Thüringen, manchmal die Landkreise und manchmal auch noch deutlich größere Gebiete.

Um die Ansiedlung im ländlichen Raum für Ärzte attraktiv zu machen, forderte Rommel deshalb, dort müssten gute Rahmenbedi­ngungen geschaffen werden, unter denen Ärzte wie andere Menschen auch dort gerne leben wollten. Dazu gehöre die Versorgung mit schnellem Internet auch auf dem Land sowie ein guter öffentlich­er Nahverkehr. Dort, wo es diese Voraussetz­ungen für ein attraktive­s Leben auf dem Land schon gebe, müssten die Kommunen diese Angebote noch viel deutlicher herausstel­len und auch bewerben, sagt Rommel.

»Es ist nicht selbstvers­tändlich, dass Ärzte auf dem Land praktizier­en.«

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