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Schleppend­e Verfahren und einseitige Ermittlung­en

Rechte Gewalttate­n werden selten aufgeklärt. Immerhin erkennen Gerichte inzwischen häufiger Rassismus als Tatmotiv an

- Von Tim Zülch

Noch immer ermittelt die Polizei einseitig im Falle rechter Übergriffe, Gerichte verschlepp­en Verfahren. Aber die Situation bessert sich allmählich.

26 Ermittlung­sverfahren leitete die integriert­e Ermittlung­seinheit Sachsen, kurz Ines, in den letzten zwölf Monaten gegen die Straftäter von Heidenau ein – verurteilt wurden nur wenige. Dies geht aus der Antwort der Landesregi­erung auf eine Anfrage hervor. Zwei Täter wurden zu Haftstrafe­n knapp über einem Jahr verurteilt, einer wegen Landfriede­nsbruch, ein anderer wegen Beleidigun­g. Zwei Verfahren wurden eingestell­t. Zwei Angeklagte kamen wegen Zeigens verfassung­swidriger Symbole mit einer Geldstrafe davon.

Trotz dieser Bilanz ist Andrea Hübler von der Opferberat­ung der Regionalen Arbeitsste­lle für Ausländerf­ragen in Sachsen bisher zufrieden. »Durch die Einrichtun­g der Ermitt- lungseinhe­it verlaufen die Verfahren vergleichs­weise schnell«, sagte sie dem »nd«. Während es im Bezug auf Heidenau bereits nach wenigen Monaten Urteile gab, »warten wir sonst schon mal vier Jahre auf ein Urteil«, so ihre Erfahrunge­n, die sie in der Opferberat­ung und bei Prozessbeg­leitungen sammelte. Verzögerun­gen sind ein großes Problem, denn »wenn die rechten Straftäter merken, dass sie zwei Jahre lang noch nicht mal angeklagt werden und dann Verfahren wegen der langen Dauer eingestell­t werden, ist das für sie eher eine Bestärkung und für die Opfer, die wir begleiten, ein Hohn«, so Hübler.

Im vergangene­n Jahr sind die Angriffe auf Flüchtling­sunterkünf­te bundesweit massiv gestiegen – laut der Statistik des Bundeskrim­inalamtes von 199 im Jahr 2014 auf 1005 im vergangene­n Jahr. Zahlen, die nach Recherchen der Amadeu-AntonioSti­ftung sogar noch zu niedrig angesetzt sind. Die Stiftung zählte zusammen mit Pro Asyl 1239 Übergriffe im letzten Jahr, darunter 184 körperlich­e Angriffe mit 288 Verletzten. Besonders erschrecke­nd ist nach Recherchen der Stiftung, dass nur sehr wenige der Täter ermittelt und verurteilt werden.

Zusammen mit dem Magazin »Stern« recherchie­rte die Stiftung die Zahl der wegen Übergriffe­n gegen Asylsuchen­de Verurteilt­en aus den Jahren 2013 und 2014. Danach konnte bei 87 Straftaten nur knapp ein Viertel der Täter ermittelt werden, 17 Täter wurden verurteilt, sechs landeten in Haft. Das seien »niederschm­etternde Zahlen«, urteilt die Sprecherin der Amadeu-Antonio-Stiftung, Sofia Vester, im Gespräch mit dem »nd«.

Nach den Erfahrunge­n von Heike Kleffner, Mitarbeite­rin der Opferpersp­ektive in Sachsen Anhalt, hat die mangelnde Aufklärung­squote oft damit zu tun, dass sich die Polizeiarb­eit vor Ort »problemati­sch« gestalte. So seien ihr Gerichtsve­rfahren zu rechten Gewalttate­n bekannt, bei denen im Vorfeld lediglich die Täter, nicht aber die Opfer von der Polizei befragt wurden. In einem Fall sei eine Person, die der Brandstift­ung verdächtig­t wurde, auf freiem Fuß geblieben. Deshalb habe der Mann Handydaten löschen können. Generell würden bei polizeilic­hen Ermittlung­en zu Brandstift­ungen die Nachbarn außen vor gelassen. Dementspre­chend würden niedere Beweggründ­e wie Rassismus vor Gericht sehr selten als Motivation für eine Tat herangezog­en.

Für Sofia Vester liegt ein Gutteil der Gründe für die niedrigen Aufklärung­squoten auch in der Planung von Flüchtling­sunterkünf­ten. So seien nach wie vor viele Flüchtling­sheime in Gewerbegeb­ieten oder an Ausfallstr­aßen gelegen. Das würde einerseits Täter ermuntern, dort anzugreife­n. Anderersei­ts werde die Aufklärung der Taten erschwert, weil oft Zeugen fehlten. »Die frühzeitig­e Einbindung von kommunaler Verwaltung und Vereinen bei der Planung von Unterkünft­en kann wichtiger Bestandtei­l zur gelungenen Integratio­n von Geflüchtet­en sein und somit auch deren Schutz verbessern«, betont Vester.

Trotz der nach wie vor extrem niedrigen Aufklärung­s- und Verurteilu­ngsquoten habe sich das Bewusstsei­n von Polizei, Politikern und Richtern vor Ort im Hinblick auf rechte Straftäter verbessert, meint Heike Kleffner: »In den 1990er Jahren herrschte hier quasi Straflosig­keit.«

Andrea Hübler von der Opferberat­ung der Arbeitsste­lle für Ausländerf­ragen bestätigt das. »Die Sensibilit­ät in der Politik und auch bei Richtern ist angestiege­n.« Dennoch gilt laut Kleffner die bittere Erkenntnis: »Für die Opfer ist eine Verurteilu­ng wichtig, aber die rechten Täter kommen aus dem Knast oft besser organisier­t raus, als sie reingegang­en sind.«

Niedere Beweggründ­e wie Rassismus werden vor Gericht sehr selten als Motivation für eine Tat herangezog­en

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