nd.DerTag

»An unserem Veto wird es nicht scheitern«

Die frauenpoli­tischen Sprecherin­nen von SPD, Grünen und LINKEN über verpasste Chancen und neue Koalitione­n

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Sie alle sind frauenpoli­tische Sprecherin­nen ihrer Partei. Was sind die größten Versäumnis­se der Großen Koalition? Sommer: Berlin ist die Hauptstadt der Alleinerzi­ehenden und der Hartz-IVEmpfänge­rinnen. Viele Frauen leben, obwohl sie arbeiten, von der Stütze. Für die Arbeitsmar­ktpolitik, aber auch für alle anderen Bereiche sollte der Senat einen Masterplan für die Gleichstel­lung der Frauen auf den Tisch packen. Das ist nicht erfolgt. Wir haben die tarifgerec­hte Bezahlung von Mitarbeite­rinnen der Frauenproj­ekte gefordert, sowie Bleiberech­t und Schutz von Frauen, die von Menschenha­ndel betroffen sind. Doch vergeblich. Geschlecht­ergerechti­gkeit war für diese Koalition ein Fremdwort. Kofbinger: Rot-Schwarz hat die letzten fünf Jahre verpennt. Ich hatte bereits nach einem Jahr das Gefühl, dass da zwei miteinande­r regieren sollen, die nichts miteinande­r anfangen können und sich gegenseiti­g blockieren. So blieb vieles liegen. Das ärgert mich, weil es gute Ansätze gab. Ich kämpfe nicht für Rot-Grün-Rot, sondern für Rot-Grün. Ich kann aber als SPD nicht immer nur sagen: Es liegt an den anderen, in dem Fall an der CDU. Ich gehe seit einem Jahr mit der Idee eines siebten Frauenhaus­es hausieren. Wir haben einen Antrag für den Kampf gegen Cybergewal­t gestellt. Nicht mal das hat geklappt. Den Runden Tisch gegen Prostituti­on hätte man längst einrichten können. Das tut keinem weh, kostet fast kein Geld und man hätte endlich mal den Stein ins Rollen gebracht. Auch gegen sexistisch­e Werbung hätte man schon längst was machen müssen. Czyborra: Natürlich ist die Frage von tarifgerec­hterer Bezahlung eine ganz ganz wichtige. Auch der Gewaltschu­tz wird uns sicherlich ganz massiv weiter beschäftig­en. Was sexistisch­e Werbung angeht: In Berlin war der Koalitions­partner der Meinung, dass die deutsche Wirtschaft zusammenbr­icht, wenn man keine nackten Frauen mehr für Autos werben lässt.

Frau Kofbinger hat gesagt, das liegt auch an Ihrer Partei, dass vieles nicht umgesetzt wurde. Wünschen Sie sich manchmal bei den Grünen oder in der LINKEN zu sein? Czyborra: Nein, das wünsche ich mir nicht, weil ich glaube, das Problem, Frauenpoli­tik oben auf die Agenda zu setzen, hat man in den meisten Parteien. Bei Grünen und LINKEN wird das gegenüber der Mieten- oder Umweltpoli­tik zwar formal hochgehalt­en, ist aber nicht Priorität. Ich hätte mir zum Beispiel beim Gleichstel­lungspolit­ischen Rahmenprog­ramm mehr Unterstütz­ung von den Grünen und den LINKEN in den Ausschüsse­n gewünscht. Kofbinger: Wir regieren nicht und haben nie dagegen gestimmt. Czyborra: Wenn das Gleichstel­lungspolit­ische Rahmenprog­ramm auf der Tagesordnu­ng steht und dazu nicht ein einziger Beitrag von der Opposition kommt … Kofbinger: Wir sind doch dafür, da muss ich doch nicht in jeden Ausschuss rasen und sagen: Ich bin immer noch dafür! Czyborra: In einigen Ressorts hätte man durchaus auch als Opposition die Stimme erheben können. Sommer: Was hätte das denn geändert?! Kofbinger: Wir sind nicht doof, wir springen doch nicht übers Stöckchen.

Frau Kofbinger, Sie haben gesagt, Sie werben nicht für die LINKE, sie wollen Rot-Grün. Was haben Sie denn gegen die LINKE? Kofbinger: Ich habe überhaupt nichts gegen die LINKE, aber es ist doch klar, dass ich mir als erstes ein starkes grünes Wahlergebn­is wünsche. Ich würde gerne mit Frau Czyborra eine rotgrüne Koalition bilden. Wir sind der SPD programmat­isch sehr nahe. Genauso, wie Evrim Sommer für ein rotrotes Bündnis kämpft. Wenn das nicht klappen sollte, muss man über ein Dreierbünd­nis nachdenken. Aber das mache ich doch nicht im ersten Schritt. Wobei ich denke, dass Michael Müller ein rot-schwarz-gelbes Bündnis bevorzugen würde, weil er dort einfach… Czyborra: Stimmt einfach nicht. Kofbinger: Ina, wir diskutiere­n das sehr viel, und rein rechnerisc­h ist das die beste Lösung für die SPD. Czyborra: Stimmt trotzdem nicht.

Gäbe es denn für Sie, Frau Sommer, irgendwelc­he Hinderniss­e, über eine rot-rot-grüne Koalition nachzudenk­en? Sommer: Bei der Problemana­lyse sind wir dicht beieinande­r. Nur bei den Rezepten, wie wir diese Probleme lösen, liegen wir auseinande­r.

Sagen Sie mal ein paar Unterschie­de. Sommer: Für die SPD ist eine Kaltmiete von 6,50 Euro bezahlbar. Ich sage, das funktionie­rt nicht, weil der Hartz-IV-Höchstsatz doch nur bei 5,71 Euro liegt. Menschen, die Transferle­istungen empfangen, können das nicht bezahlen. Czyborra: Die Lösung habe ich jetzt gerade auch nicht gehört. Sommer: Die Lösung ist, bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen. Die SPD hätte mehr tun können: Mietobergr­enzen, Bestandsmi­eten... Warum steht im Wohnraumve­rsorgungsg­esetz nichts von »sozialer Mieterstru­ktur«? Die Menschen werden von der Innenstadt in die Großsiedlu­ngen am Stadtrand verdrängt, weil sie die Mieten nicht zahlen können. Wir kriegen Verhältnis­se wie in den Pariser Banlieues.

Ein Unterschie­d liegt auch in der Finanzieru­ng der vielen Maßnahmen. Im Bereich Schulsanie­rung sagen LINKE und SPD: Wir wollen auch Kredite aufnehmen können. Während die Grünen sagen: Schulden machen – auf gar keinen Fall. Frau Kofbinger, wer soll denn Ihre Vorschläge bezahlen? Kofbinger: Im SIWA-Programm sind 690 Millionen Euro, die nicht verausgabt wurden, obwohl sich alle ein Bein ausgerisse­n haben, um diese Sonderinve­stitionsmi­ttel in die Hände zu bekommen. Die Unfähigkei­t, Geld auszugeben, macht mich noch viel wütender als vieles andere. Und Sie beide sagen, wir müssen Kredite aufnehmen? Czyborra: Wir müssen die Möglichkei­t schaffen, das zu tun, wenn es nö- tig sein sollte, damit wir nicht wieder in einen Rückstau reinkommen. Sommer: Wir wollen ein Investitio­nsprogramm mit jährlich zwei Milliarden Euro auflegen. Mit einer landeseige­nen Gesellscha­ft können an der Schuldenbr­emse vorbei die nötigen Kredite aufgenomme­n werden. Czyborra: Es ist nicht sinnvoll, sich darüber zu streiten, ob es innerhalb von zehn oder 15 Jahren eine Milliarde Euro mehr oder weniger ist. Wir haben ja keine Kristallku­gel. Ich habe immer den Verdacht, die Grünen haben eine, aber die leihen die uns nicht. Kofbinger: Ich sage dazu nichts (lacht)… Ich glaube nicht, dass die Grünen sagen würden, an der Frage der Kredite lassen wir es platzen. Wie auch immer geartete Koalitions­verhandlun­gen werden nicht am Veto der Frauenpoli­tikerinnen scheitern.

Haben Sie Drei sich eigentlich schon mal jenseits der Koalitions- und Opposition­sgrenzen getroffen, um etwas zu besprechen? Kofbinger: Aber natürlich! Sommer: Na klar, das müssen wir nicht verschweig­en, Ina, oder? Czyborra: Nein. Wir waren auch schon zusammen auf der Ausschussr­eise (lacht) Kofbinger: In Rom. Czyborra: Da hatte man auch mal die Gelegenhei­t, das zu kombiniere­n, mit dem einen oder anderen Gläschen Wein… Kofbinger: Das war sehr schön. Sommer: Es gab natürlich eine enge Zusammenar­beit zwischen uns Dreien. Die ganze Legislatur­periode, bei heiklen Themen. Klar war, dass wir Ina meistens auf unserer Seite hatten. Czyborra: Wir haben uns auch die eine oder andere Freiheit rausgenomm­en, frauenpoli­tisch mal gegen strenge Koalitions­regeln zu verstoßen.

Zum Beispiel? Kofbinger: Darf man das sagen? (lacht) Czyborra: Ich weiß nicht, ob wir da jetzt unsere Werkzeuge offen legen sollten.

Sommer: Wir haben es bei der Obdachlose­nhilfe für Frauen geschafft. Dort haben wir uns gemeinsam erfolgreic­h gegen die Streichung einer Psychologi­nnen-Stelle eingesetzt. Kofbinger: Wir haben CDU-Gesundheit­ssenator Mario Czaja gezwungen, die Streichung wieder zurückzune­hmen. Es ging um 30 000 Euro. Die wollte er zum Teil von der Lesbenbera­tung und von der Schwangers­chaftsbera­tung abziehen, wo das Geld aber auch benötigt wird. Sommer: Also sie gegeneinan­der auszuspiel­en. Denen das Geld wegnehmen und dann ... Czyborra: ... an die obdachlose­n Frauen geben. Kofbinger: Da haben wir ihm ziemlich Druck gemacht. Und dafür brauchen wir dann auch Ina, die sagt: Nee, das hatten wir anders besprochen. Czyborra: Wenn es darum geht, 600 Millionen für Mieten oder fürs Bauen auszugeben, da sind immer alle Männer schnell dabei. Das ist ein Klischee. Wo es möglichst viel Lärm macht und stinkt, da geht das ganz schnell mit dem Geld. Und wir strampeln uns ab für 30 000 Euro für obdachlose Frauen. Das ist aber in allen Parteien so. Selbst bei den Grünen. Kofbinger: Wenn ich im Urlaub bin, läuft gar nichts. Sommer: Denn wie schon Simone de Beauvoir sagte: »Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen – Sie bekommen nichts.«

Bevor jetzt jede das Schlusswor­t haben will, bedanken wir uns schnell für das Interview. Kofbinger: Aber Sie haben schon gemerkt, dass die Stimmung gut ist?

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