nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

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Eine gute und eine schlechte Nachricht: Selbst wenn Sie aus irgendeine­m Grund nicht dazu gekommen sind, Ihre Gene in der Weltgeschi­chte zu verbreiten und dies auch nicht planen, können Sie dennoch ganz Essenziell­es hinterlass­en, zum Beispiel in Form von Gedanken. Das ist die gute Nachricht. Der Einfluss darauf, um welche Gedanken es sich handelt – und das ist die schlechte Nachricht – ist jedoch weitaus geringer als gedacht. Denn bei der Vorstellun­g, dass wir uns eigenständ­ig etwas überlegen und dann verbreiten, handelt es sich um eine Illusion. Zumindest meint das Richard Dawkins, der Erfinder der Memetik.

In Anlehnung an seine Vorstellun­g von Genetik haben nicht nur Gene, diese Fitzelchen, die in der Erbmasse für bestimmte körperlich­e Ausprägung­en sorgen, ein Eigenleben mit der Bestrebung, sich zu verbreiten. Auch Meme, kleinste Bewusstsei­nsinhalte wie Gedanken und Informatio­nen, pflanzen sich aus eigenem Antrieb so ähnlich wie Viren fort. Erklärt wird damit etwa die Evolution von Vogeldiale­kten.

Im Computerze­italter, in dem unzählige Viren unterwegs sind, die mit Grippe nichts am Hut haben, ist der Gedanke durchaus einleuchte­nd. Wer jetzt einwenden mag, dass davon aber keine Menschen befallen werden, soll bitteschön sagen, wie diese Kätzchenbi­lderepidem­ien sonst zu erklären sind. Oder die rasante Ausbreitun­g tiefster Trauer über den Tod eines Künstlers, von dem man 20 Jahre lang kein Lied mehr gehört hatte. Von irgendwelc­hem Unsinn zu Kondensstr­eifen am Himmel ganz zu schweigen.

Endlich hat sich die Frage mit dem Huhn und dem Ei erledigt, weil das Huhn als Wirt der Gene nur eine untergeord­nete Rolle spielt und somit vernachläs­sigt werden kann. Aber auch »Wer hat’s erfunden?« ist schlichtwe­g die falsche Frage. »Wer kriegt’s als nächstes?« kommt der Sache schon näher. Sie können sich glücklich schätzen, wenn Sie zu jenen gehören, bei denen zum Beispiel die Gedanken, die einst Marx als Gastgeber auserkoren hatten, nun Unterschlu­pf finden. Und sollten Sie sich resistent fühlen gegenüber den Parolen der zahlreiche­n Deutschlan­dfahnen schwenkend­en Hilfsnazis, dann hegen und pflegen Sie diesen Anti-Virus wie Ihren Augapfel! Welche anderen Möglichkei­ten es gibt zu verhindern, dass bestimmte hässliche Gedankengä­ste ungefragt ins Oberstübch­en poltern, scheint noch nicht endgültig geklärt zu sein.

Deswegen betätigen wir uns einstweile­n unserersei­ts als Virenschle­uder und verbreiten etwa die saisonal zentrale Informatio­n, von der bereits unser Autor befallen ist: welcher Wein am besten zum Spargel passt. Sollte dieser Infekt nicht maßgeblich zur kulturelle­n Evolution der Menschheit beitragen, ist die Memetik noch einmal grundsätzl­ich zu überdenken.

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