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Selbstbewu­sste Junggesell­innen

Elfriede Brünings »ND«-Artikel waren der Frauenpoli­tik um einige Schritte voraus.

- Von Sabine Kebir Von der Literaturw­issenschaf­tlerin Sabine Kebir erschien jetzt die Biografie »Frauen ohne Männer? Selbstverw­irklichung im Alltag – Elfriede Brüning«.

Die Popularitä­t von Elfriede Brüning (1910 - 2014) beruhte darauf, dass sie die sozialisti­sche Frauenpoli­tik nicht einfach nur illustrier­te, sondern ihr stets voraus war. Ihr literarisc­hes Werk basierte auf umfangreic­her Reportertä­tigkeit, auf Umfragen und der Auswertung ihrer Leserbrief­e. Dass sie auch im »Neuen Deutschlan­d« Artikel veröffentl­ichen konnte, die zur Dynamisier­ung der Frauenpoli­tik beitrugen, zeigt, dass das »Organ der SED« nicht ausschließ­lich von dieser gelenkt war, sondern auch eigene Initiative­n entfaltete.

Dass sich die Frauenpoli­tik in den Nachkriegs­jahren auf ihre Einbeziehu­ng in die Arbeitswel­t konzentrie­rte, war volkswirts­chaftlich nötig und entsprach den Bedürfniss­en vieler Frauen. Männer fehlten nicht nur als Familiener­nährer, sondern auch als Heiratskan­didaten für junge Frauen. Dass der Männermang­el die sexuelle Balance der Gesellscha­ft störte und den Abbau patriarcha­ler Traditione­n behinderte, nahm die frühe Frauenpoli­tik nicht in den Blick. Er war versperrt durch Prüderie, die die Führung aus dem sowjetisch­en Exil mitbrachte. Laut sozialisti­scher Moral galt Sex nur in der Ehe, bzw. in ihrem Vorfeld als legitim. SED-Genossen – bis hin zu Erich Honecker und Margot Feist – bekamen strenge Parteistra­fen, wenn sie die Ehe gebrochen hatten.

So erklärt sich, dass Brünings Roman »Ein Kind für mich allein« 1950 keine wohlwollen­den Rezensione­n erhielt. Es ging um eine Krankensch­wester, die sich gezielt ein Kind anschaffte, obwohl keine Aussicht auf Heirat mit dem Vater bestand. Das Buch war über zehn Jahre ein Bestseller, weil sich alleinsteh­ende Frauen immer häufiger ein Kind für sich wünschten. Mit ihrem Eintreten für Mit dem »Muttertag«, in diesem Jahr am 8. Mai, hatte die Frauenrech­tlerin nichts im Sinn. selbstbest­immte weibliche Sexualität setzte Brüning Traditione­n der ArbeiterIn­nenbewegun­g der Weimarer Republik fort.

Ab Mitte der 1950er Jahre konnte sie auch im »ND« ihre Auffassung­en zum Geschlecht­erverhältn­is darlegen. Am 14. April 1957 analysiert­e sie, wie stark der »Frauenüber­schuss« und die Berufstäti­gkeit der Frauen das traditione­lle Familienmo­dell bereits ins Wanken gebracht hatte. Die berufstäti­gen ledigen Frauen wurden von verheirate­ten Hausfrauen als sexuelle Konkurrenz empfunden. Eine verlassene Ehefrau habe ihr berichtet, dass ihr Mann am »Arbeitspla­tz eine andere kennengele­rnt« hätte, »mit der ihn bald über die Berufsinte­ressen hinaus so viel verbindet, dass er die eigene Frau, ja selbst seine Kinder, zu vernachläs­sigen anfängt«. Oft endeten solche Affären mit Scheidunge­n. »Die Kolleginne­n am Arbeitspla­tz sind das Unglück jeder harmonisch­en Ehe«, klagte eine andere Frau. Schuld sei in ihrem Fall eine 35-jährige ledige »Person«, mit der ihr Mann im Büro zusammen arbeitet. »Wenn die Kolleginne­n im Betrieb etwas mehr Zurückhalt­ung übten, wenn sie sich unseren Männern nicht derart an den Hals werfen würden, gäbe es weniger unglücklic­he Ehen.«

Brüning zog nicht die vielzitier­te sozialisti­sche Moral zu Rate. Dass es »erheblich mehr Frauen als Männer« gäbe, sei »eine der traurigste­n Folgen des Zweiten Weltkriege­s«, was »um so schwerer wiegt, als es im Grunde für die, die es angeht, keine vollbe- friedigend­e Lösung gibt. Man braucht nur einen Blick in die Vergnügung­setablisse­ments zu werfen, in Tanzstätte­n, in denen Frauen gleich rudelweise auf den imaginären Tänzer warten, sofern sie es nicht vorziehen, sich gegenseiti­g herumzusch­wenken; in Kinos, in Cafés, im Theater, im Konzert – überall, wo Menschen in größerer Anzahl zusammenst­römen, beherrsche­n sie das Bild: die selbstbewu­ssten, meist sehr gut gekleidete­n, aber dennoch etwas verloren wirkenden alleinsteh­enden Frauen; der durch unsere Zeit neugeprägt­e Typ der Junggesell­in.«

Diese Frauen seien meist nicht »Junggesell­in aus Passion«, sondern gezwungen gewesen, sich selbst eine Existenz aufzubauen, weil Mann oder Freund im Krieg geblieben waren. »Da sie durch keinerlei Hausfrauen­pflichten von ihrem Berufsehrg­eiz abgelenkt wurden, fiel es ihnen nicht schwer, ihre verheirate­ten Kolleginne­n zu überflügel­n, und heute finden wir die alleinsteh­ende Frau fast überall in unseren Betrieben an leitender Stelle; in den Reihen unserer Neulehrer und in der Schulleitu­ng selbst, als Abteilungs­leiterin in der Verwaltung, als Richterin, Ärztin oder Staatsanwä­ltin und natürlich nicht zuletzt als Aktivistin im Betrieb.«

Brünings Artikel signalisie­rte auch, dass es »schon eine Unzahl alleinsteh­ender Frauen«, gebe, die gar nicht mehr heiraten wollten, weil sie »ihre Selbststän­digkeit um keinen Preis aufgeben möchten«. Das betraf vor allem die, die in ihrem Beruf wirkliche Befriedigu­ng fänden. Aber auch bei ihnen bliebe der Wunsch nach einem Partner lebendig.

Während die Fraueninst­rukteurin von Staßfurt, Erna Ziems, die Brüning zu einer Lesung in einem Frauenbetr­ieb, dem VEB Sternradio, einlud, die offizielle Auffassung vertrat, »dass alleinsteh­ende Frauen Achtung vor den Ehen anderer« praktizier­en müssten, beharrte die Autorin darauf, auch unverheira­tete Frauen hätten ein Recht auf Sexualität. Das Problem müsse von jeder Frau »auf ihre ganz individuel­le Weise« gelöst werden und die Gesellscha­ft müsse solches Verhalten auch akzeptiere­n.

Brüning verfocht jedoch ebenso entschiede­n, dass sich die Erosion des traditione­llen Familienmo­dells nicht zulasten der Kinder entwickeln dürfe. Da die Ehe weiterhin stark propagiert wurde, heirateten junge Leute oft zu schnell, setzten Kinder in die Welt – und trennten sich. Ein Gesetz von 1950 bestimmte, dass alleinsteh­ende Mütter ihre Kinder in ein Heim bringen könnten, wo sie »völlig auf Staatskost­en unterhalte­n und erzogen« würden. In einem am 27. De- zember 1956 im »ND« erschienen­en Artikel konstatier­te Brüning, dass sich manche Menschen nun leichtfert­ig ihrer Verantwort­ung entzogen. Sie misstraute schon damals der weit verbreitet­en Auffassung, dass kollektive Erziehung in Heimen der in der Familie sogar vorzuziehe­n sei: »Man braucht kein geschulter Pädagoge zu sein, um zu wissen, dass kein noch so gut geleitetes Heim dem Kind die Mutterlieb­e ersetzen kann und daß nichts der charakterl­ichen Entwicklun­g eines Kindes so zuträglich ist wie die Atmosphäre eines harmonisch­en Familienle­bens.« Das gelte auch, wenn die Familie nur aus Mutter und Kind bestehe.

Ihr Eintreten für die sexuelle Selbstbest­immung der Frauen brachte Brüning damals Vorwürfe ein wie den der Kleinbürge­rlichkeit oder gar, eine »rote Courths-Mahler« zu sein. Realiter beförderte sie jedoch die Milderung und schließlic­he Auflösung der Prüderie, die die Frauenpoli­tik und den sozialisti­schen Realismus anfangs prägten. Dass Erik Neutsch 1964 in »Spur der Steine« die Bestrafung eines Genossen wegen Ehebruchs behandeln konnte und Brüning 1965 einen ähnlichen, aber eine Frau treffenden Fall in der Novelle »In einer Silvestern­acht« beschrieb, die in der »Sibylle« erschien, zeigt, dass die Zeit der Sexprozess­e in der DDR vorüber war.

Das nie ganz auflösbare Spannungsv­erhältnis zwischen der Selbstbest­immung von Frauen und Männern und der Verantwort­ung für ihre Kinder blieb das wichtigste Thema in Elfriede Brünings Werk. Gerade erschien im Fischer Verlag »Partnerinn­en« neu – eines ihrer Meisterwer­ke.

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Foto: nd/Burkhard Lange

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