Zu Hause in der Sonnenallee
Gemeinsam mit dem Verein »querstadtein« zeigen Geflüchtete bei Stadtführungen ihren Blick auf Neukölln
Von einem syrischen Imbiss zu einem Handyladen in der Sonnenallee – Neukölln lässt bei Flüchtlingen Heimatgefühle aufkommen. Wieso, erklären sie als Cityguides. Das Beit Al-Madina (deutsch: Stadthaus) liegt an der Sonnenallee Ecke Fuldastraße in Neukölln. Der Name steht in arabischer Schrift über den großen Schaufenstern, die englische Übersetzung »City House« daneben. Große Tafeln zeigen üppig belegte Burger. Vor allem aber gibt es hier syrische Küche, so, wie Samer und Arij sie aus ihrer Heimat kennen.
Das Ehepaar ist aus der syrischen Hauptstadt Damaskus geflohen, seit fünf Monaten leben sie in Deutschland. Heute führen sie auf Englisch durch das »geflüchtete Neukölln« – Orte im Bezirk, die vor allem für Flüchtlinge interessant sind. Veranstalter ist der Verein »querstadtein«, der bereits seit längerem Führungen von Obdachlosen anbietet.
Das Ehepaar Samer und Arij lebt seit fünf Monaten in einem Flüchtlingswohnheim in Wannsee. Einer ihrer ersten Freizeitausflüge führte sie in die Sonnenallee nach Neukölln. In der sogenannten »Arabischen Stra- ße« tranken sie arabischen Kaffee mit Arijs Bruder. Seitdem kommen sie jede Woche mindestens einmal hierher. »Ich fühle mich hier zu Hause«, sagt Arij. In den meisten Geschäften wird Arabisch gesprochen. »Wer neu nach Berlin kommt, kann meist noch kein Deutsch. Hier wird man verstanden«, sagt Samer.
Bei den Stadtführungen von »querfeldein« geht es darum, »die persönlichen Erfahrungen mit Informationen zu Flucht und Asyl« zu verbinden, erklärt Projektleiterin Isabel Härdtle. Die erste reguläre Tour startet am kommenden Sonntag und ist bereits ausgebucht. Sie dauert rund eineinhalb Stunden und hat sieben Stationen. Zunächst geht es in einen Schawarma-Imbiss nahe des Rat- hauses Neukölln, einem für Eingeweihte bekannten Treffpunkt von Syrern. An der »Passage Neukölln« erzählen Samer und Arij ihre Fluchtgeschichte. Auf einer Karte illustrieren sie die 30-tägige Reise über die Türkei.
Anschließend geht es über die Richard- zur Karl-Marx-Straße. An die dortige Sparkassen-Filiale hat das Paar gespaltene Erinnerungen: »Wir wollten dort ein Konto eröffnen, und haben uns erkundigt, wann die Filiale öffnet. Eine halbe Stunde früher, um 9 Uhr, kamen wir hierher«, berichtet Samer. Doch die Schlange vor der Tür war so lang, dass sie gleich wieder umdrehten. Am nächsten Tag kamen sie um 6 Uhr. »Die Schlange war genauso lang.« Samer lacht. Sie kehrten um und versuchten es am nächsten Tag um 3.30 Uhr. 20 Menschen waren schon vor ihnen da. Dieses Mal blieben Samer und Arij, und als die Filiale sechs Stunden später endlich aufmachte, dauerte es gerade einmal eine halbe Stunde, bis sie ihr Konto hatten.
In Damaskus studierten Samer und Arij Jura. Sie arbeitete als Anwältin, er machte eine kleine Firma auf. Dass sie hier nun Stadtführungen geben, sehen sie nicht als Abstieg an. »Das ist für mich kein Job. Ich mache das, weil ich es interessant finde – nicht nur für die Teilnehmer, auch für mich«, erzählt Arij. Weiterbildung sei auf beiden Seiten wichtig. Während die beiden Neuankömmlinge lernen, sich in Berlin zurechtzufinden, möchten sie auch Deutschen etwas beibringen. Nämlich, dass Flüchtlinge »nicht nur Menschen sind, die Hilfe brauchen und Geld wollen«, sagt Samer. »Wir sind vor Krieg geflohen. Wir hatten ein stabiles Leben, ein Haus, eine Arbeit. Fünf Jahre lang haben wir versucht zu bleiben. Aber dann ging es nicht mehr.«
»querstadtein« sucht derzeit neue Stadtführer. Über persönliche Beziehungen und über Flüchtlingsinitiativen sind sie mit Interessenten in Kontakt. Von den künftigen Tourguides wird es abhängen, in welchem Stadtteil weitere Führungen angeboten werden. Schließlich sollen die Geflüchteten ihre eigenen Geschichten erzählen und ihre eigenen Erfahrungen teilen. »querstadtein« setzt sich für eine Arbeitserlaubnis der Stadtführer ein. Für Samer und Arij geht es vor allem um Teilhabe. »Durch die Touren fühle ich mich zugehörig zur Gesellschaft«, sagt Arij. Samer verspricht: »Gebt mir noch ein paar Monate, dann werde ich die Führungen auf Deutsch geben.«