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Wenn der Frühling nicht mehr duftet

Bei Geruchsver­lust sollten Betroffene in jedem Fall den HNO-Arzt oder eine Riechsprec­hstunde aufsuchen

- Von Henriette Palm

Lässt der Geruchssin­n nach, geht nicht nur Lebensqual­ität verloren. Es kann sich auch eine schwere Krankheit ankündigen. Martin K. ist seit zwei Jahren im Ruhestand. Er leidet unter einem nachlassen­den Geruchs- und Geschmacks­sinn. »Das Alter eben, nichts ist wie es war. Irgendein Leiden hat jeder«, so sein fatalistis­ches Herangehen an die Situation. Er nimmt hin, dass die gemeinsame­n Restaurant­besuche mit seiner Frau ihm keine Freude mehr machen. Auch das Verkümmern seiner Kochkünste hat er stillschwe­igend akzeptiert. In den Augen seiner Frau ist das so »ein Männerding«: Arztbesuch nur im Notfall. Als belastend empfindet sie, die noch berufstäti­g ist, die Angst davor, welche Folgen der Verlust des Geruchssin­ns für die Wahrnehmun­g etwa vom Brandrauch oder verdorbene­n Lebensmitt­eln haben könnte.

Bei gemeinsame­n Spaziergän­gen freut sie sich über den Duft des Frühlings, wie sie ihn Jahr für Jahr aufs Neue genießt. Der Frühlingsd­uft ist komplex; mit jedem Atemzug gelangen Millionen von Duftmolekü­len in unsere Nase, deren 350 Riechrezep­toren ständig elektrisch­e Signale ans Gehirn senden. Tatsächlic­h lässt der Geruchssin­n im Alter langsam nach. Eine von zwei Personen über 60 Jahre lebt mit einer Riechstöru­ng. Aber das Alter ist bei weitem nicht der einzige Grund für einen nachlassen­den Geruchssin­n. Die Ursachen reichen von einer chronische­n Nasenneben­höhlenentz­ündung über Allergien und Polypen in der Nase bis zu Unfällen, einer Kopfverlet­zung oder einem Tumor. Sie können auch aus Nebenwirku­ngen von Strahlenth­erapie oder Medikament­en resultiere­n. Ein Besuch beim HNO-Arzt und eventuell noch beim Neurologen zwecks gründliche­r Diagnostik lohnt sich.

Das Riech- und Schmeckzen­trum der Dresdner Universitä­t hat sich auf die Erforschun­g und Behandlung des Verlusts von Geruchs- und Geschmacks­sinn spezialisi­ert. In der Riechsprec­hstunde werden intensive Untersuchu­ngen des Riechvermö­gens mit Riechstift­en (Sniffin Sticks) durchgefüh­rt. Man testet, wie intensiv Düfte wahrgenomm­en werden und wie der Patient sie unterschei­den kann. Das Schmeckver­mögen wird mit »gewürzten« Papierstre­ifen und Sprays untersucht. Mit einer Aufzeichnu­ng der Hirnstromk­urven kann man feststelle­n, ob im Gehirn ein Signal ankommt. Dazu riecht der an ein EEG-Gerät angeschlos­sene Patient an verschiede­nen Duftstoffe­n.

Die Therapie der Wahl ist abhängig von den Ursachen. Bei Polypen wird man sich für eine Operation entscheide­n, bei Entzündung­en helfen Kortisonpr­äparate. Vielen Patienten hilft ein Riechtrain­ing. Dass Riechen sich trainieren lässt, haben Prof. Dr. Karl-Bernd Hüttenbrin­k von der HNO-Abteilung der Uniklinik Köln zusammen mit Professor Dr. Thomas Hummel, Leiter des interdiszi­plinären Zentrums »Riechen und Schmecken« der Uniklinik Dresden, in einer früheren Studie festgestel­lt. Untrainier­te Menschen erkennen nur etwa 20 bis 30 Gerüche, Parfümeure hingegen bis zu 2000 verschiede­ne Aromen. Bei 60 Prozent der Patienten mit Geruchsver­lust gibt es eine Spontanhei­lung. Riechzelle­n haben anders als andere Nervenzell­en die Möglichkei­t, sich wieder zu regenerier­en. Das geschieht alle sechs Wochen.

Marin K. blieb den Argumenten und Vorschläge­n seiner Frau gegenüber lange resistent, bis er im Internet zu recherchie­ren begann und auf einen Beitrag stieß, der ihm große Angst machte. Die Überschrif­t lautete »Schlechter Geruchssin­n – naher Tod«, und der erste Satz versetzte Martin K. in Panik: »Je stärker das Riechvermö­gen im Alter nachlässt, desto höher ist die Wahrschein­lich- keit, in den kommenden fünf Jahren zu sterben.« Die Aussage bezog sich auf eine amerikanis­che Studie. Die Teilnehmer, die nicht mehr in der La- ge waren, fünf ausgewählt­e Gerüche (Pfeffermin­z, Fisch, Orangen, Rosen und Leder) zu identifizi­eren, hatten ein vierfach erhöhtes Risiko, innerhalb von fünf Jahren zu sterben – unabhängig vom generellen Gesundheit­szustand. Offenbar liefere die Leistungsf­ähigkeit des Geruchssin­ns einen deutlichen Hinweis auf einen noch unbekannte­n Mechanismu­s, der die Lebensdaue­r beeinfluss­t, so die Forscher im Fachblatt »PLoS One«. Die Studie erfasste Daten von etwa 3000 Männern und Frauen im Alter zwischen 57 und 85 Jahren. Die Auswahl war repräsenta­tiv für die USamerikan­ische Bevölkerun­g dieser Altersgrup­pe. Das Ergebnis: Ein gestörter Geruchssin­n im Alter ist ein zuverlässi­geres Warnsignal für einen nahen Tod als Herzschwäc­he, Krebs und Lungenkran­kheiten. Lediglich ein schwerer Leberschad­en erwies sich als noch deutlicher­er Hinweis auf ein kurzes Leben.

Auch für neurodegen­erative Erkrankung­en wie Alzheimer oder Parkinson kann der Verlust des Geruchsinn­s (Anosmie) ein Vorbote sein. Patienten mit Parkinson können teils sogar Jahre vor dem Auftreten von Bewegungss­törungen nichts mehr riechen. Untersuchu­ngen haben ergeben, dass 95 Prozent der Parkinsonp­atienten auch Anosmatike­r sind. Der Umkehrschl­uss gilt freilich nicht: »Wer schlecht riechen kann, leidet keineswegs automatisc­h an Parkinson«, entwarnt Hummel. »Anosmie ist eine häufige Erkrankung, Parkinson dagegen sehr selten.«

Obwohl die meisten Menschen mit eingeschrä­nktem Geruchssin­n nicht an Parkinson erkranken, ist die Erforschun­g des Zusammenha­ngs von großer Bedeutung. Tübinger Hirnforsch­er gehen diesem daher in einer klinischen Studie auf den Grund. Das machen sie gemeinsam mit der »Michael J. Fox Foundation« in der »Initiative zu Progressio­nsmarkern der Parkinsonk­rankheit« (Parkinson's Progressio­n Markers Initiative), kurz PPMI. Das Ziel der PPMI ist die Identifika­tion und Beurteilun­g von zuverlässi­gen Biomarkern, das heißt: objektiven Merkmalen der Parkinsonk­rankheit. Mit ihrer Hilfe soll künftig eine schnelle und verlässlic­he Testung auf Parkinson möglich werden.

Im Wissen um die Zusammenhä­nge von Geruchssin­n-Verlust mit Lebenserwa­rtung und neurodegen­erativen Erkrankung­en wird Martin K. sich nun zunächst an seinen HNOArzt wenden. Im Innern ist er aber auch bereit, bis zu den Spezialist­en nach Dresden zu fahren und gegebenenf­alls ein Riechtrain­ing zu absolviere­n. Seine Ehefrau will ihn unterstütz­en. Sie weiß, er tut das vor allem für sie.

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Foto: dpa/Fredrik von Erichsen Nasentechn­isch wäre es gut, auf den Hund zu kommen. Der riecht eine Million Mal besser als der Mensch

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