Wenn der Frühling nicht mehr duftet
Bei Geruchsverlust sollten Betroffene in jedem Fall den HNO-Arzt oder eine Riechsprechstunde aufsuchen
Lässt der Geruchssinn nach, geht nicht nur Lebensqualität verloren. Es kann sich auch eine schwere Krankheit ankündigen. Martin K. ist seit zwei Jahren im Ruhestand. Er leidet unter einem nachlassenden Geruchs- und Geschmackssinn. »Das Alter eben, nichts ist wie es war. Irgendein Leiden hat jeder«, so sein fatalistisches Herangehen an die Situation. Er nimmt hin, dass die gemeinsamen Restaurantbesuche mit seiner Frau ihm keine Freude mehr machen. Auch das Verkümmern seiner Kochkünste hat er stillschweigend akzeptiert. In den Augen seiner Frau ist das so »ein Männerding«: Arztbesuch nur im Notfall. Als belastend empfindet sie, die noch berufstätig ist, die Angst davor, welche Folgen der Verlust des Geruchssinns für die Wahrnehmung etwa vom Brandrauch oder verdorbenen Lebensmitteln haben könnte.
Bei gemeinsamen Spaziergängen freut sie sich über den Duft des Frühlings, wie sie ihn Jahr für Jahr aufs Neue genießt. Der Frühlingsduft ist komplex; mit jedem Atemzug gelangen Millionen von Duftmolekülen in unsere Nase, deren 350 Riechrezeptoren ständig elektrische Signale ans Gehirn senden. Tatsächlich lässt der Geruchssinn im Alter langsam nach. Eine von zwei Personen über 60 Jahre lebt mit einer Riechstörung. Aber das Alter ist bei weitem nicht der einzige Grund für einen nachlassenden Geruchssinn. Die Ursachen reichen von einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung über Allergien und Polypen in der Nase bis zu Unfällen, einer Kopfverletzung oder einem Tumor. Sie können auch aus Nebenwirkungen von Strahlentherapie oder Medikamenten resultieren. Ein Besuch beim HNO-Arzt und eventuell noch beim Neurologen zwecks gründlicher Diagnostik lohnt sich.
Das Riech- und Schmeckzentrum der Dresdner Universität hat sich auf die Erforschung und Behandlung des Verlusts von Geruchs- und Geschmackssinn spezialisiert. In der Riechsprechstunde werden intensive Untersuchungen des Riechvermögens mit Riechstiften (Sniffin Sticks) durchgeführt. Man testet, wie intensiv Düfte wahrgenommen werden und wie der Patient sie unterscheiden kann. Das Schmeckvermögen wird mit »gewürzten« Papierstreifen und Sprays untersucht. Mit einer Aufzeichnung der Hirnstromkurven kann man feststellen, ob im Gehirn ein Signal ankommt. Dazu riecht der an ein EEG-Gerät angeschlossene Patient an verschiedenen Duftstoffen.
Die Therapie der Wahl ist abhängig von den Ursachen. Bei Polypen wird man sich für eine Operation entscheiden, bei Entzündungen helfen Kortisonpräparate. Vielen Patienten hilft ein Riechtraining. Dass Riechen sich trainieren lässt, haben Prof. Dr. Karl-Bernd Hüttenbrink von der HNO-Abteilung der Uniklinik Köln zusammen mit Professor Dr. Thomas Hummel, Leiter des interdisziplinären Zentrums »Riechen und Schmecken« der Uniklinik Dresden, in einer früheren Studie festgestellt. Untrainierte Menschen erkennen nur etwa 20 bis 30 Gerüche, Parfümeure hingegen bis zu 2000 verschiedene Aromen. Bei 60 Prozent der Patienten mit Geruchsverlust gibt es eine Spontanheilung. Riechzellen haben anders als andere Nervenzellen die Möglichkeit, sich wieder zu regenerieren. Das geschieht alle sechs Wochen.
Marin K. blieb den Argumenten und Vorschlägen seiner Frau gegenüber lange resistent, bis er im Internet zu recherchieren begann und auf einen Beitrag stieß, der ihm große Angst machte. Die Überschrift lautete »Schlechter Geruchssinn – naher Tod«, und der erste Satz versetzte Martin K. in Panik: »Je stärker das Riechvermögen im Alter nachlässt, desto höher ist die Wahrscheinlich- keit, in den kommenden fünf Jahren zu sterben.« Die Aussage bezog sich auf eine amerikanische Studie. Die Teilnehmer, die nicht mehr in der La- ge waren, fünf ausgewählte Gerüche (Pfefferminz, Fisch, Orangen, Rosen und Leder) zu identifizieren, hatten ein vierfach erhöhtes Risiko, innerhalb von fünf Jahren zu sterben – unabhängig vom generellen Gesundheitszustand. Offenbar liefere die Leistungsfähigkeit des Geruchssinns einen deutlichen Hinweis auf einen noch unbekannten Mechanismus, der die Lebensdauer beeinflusst, so die Forscher im Fachblatt »PLoS One«. Die Studie erfasste Daten von etwa 3000 Männern und Frauen im Alter zwischen 57 und 85 Jahren. Die Auswahl war repräsentativ für die USamerikanische Bevölkerung dieser Altersgruppe. Das Ergebnis: Ein gestörter Geruchssinn im Alter ist ein zuverlässigeres Warnsignal für einen nahen Tod als Herzschwäche, Krebs und Lungenkrankheiten. Lediglich ein schwerer Leberschaden erwies sich als noch deutlicherer Hinweis auf ein kurzes Leben.
Auch für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson kann der Verlust des Geruchsinns (Anosmie) ein Vorbote sein. Patienten mit Parkinson können teils sogar Jahre vor dem Auftreten von Bewegungsstörungen nichts mehr riechen. Untersuchungen haben ergeben, dass 95 Prozent der Parkinsonpatienten auch Anosmatiker sind. Der Umkehrschluss gilt freilich nicht: »Wer schlecht riechen kann, leidet keineswegs automatisch an Parkinson«, entwarnt Hummel. »Anosmie ist eine häufige Erkrankung, Parkinson dagegen sehr selten.«
Obwohl die meisten Menschen mit eingeschränktem Geruchssinn nicht an Parkinson erkranken, ist die Erforschung des Zusammenhangs von großer Bedeutung. Tübinger Hirnforscher gehen diesem daher in einer klinischen Studie auf den Grund. Das machen sie gemeinsam mit der »Michael J. Fox Foundation« in der »Initiative zu Progressionsmarkern der Parkinsonkrankheit« (Parkinson's Progression Markers Initiative), kurz PPMI. Das Ziel der PPMI ist die Identifikation und Beurteilung von zuverlässigen Biomarkern, das heißt: objektiven Merkmalen der Parkinsonkrankheit. Mit ihrer Hilfe soll künftig eine schnelle und verlässliche Testung auf Parkinson möglich werden.
Im Wissen um die Zusammenhänge von Geruchssinn-Verlust mit Lebenserwartung und neurodegenerativen Erkrankungen wird Martin K. sich nun zunächst an seinen HNOArzt wenden. Im Innern ist er aber auch bereit, bis zu den Spezialisten nach Dresden zu fahren und gegebenenfalls ein Riechtraining zu absolvieren. Seine Ehefrau will ihn unterstützen. Sie weiß, er tut das vor allem für sie.