nd.DerTag

Politische Agitation

- Von Jürgen Amendt

Politische­s

Kabarett ist im besten Sinne ein Raum voller Widersprüc­he, in dem soziale und politische Missstände mit bissigem Humor kritisiert werden. Der politische Kabarettis­t ist im schlechtes­ten Sinne aber immer auch ein Hofnarr der Verhältnis­se; sein Witzeln dient der Wutableitu­ng, wodurch die Verhältnis­se stabilisie­rt werden.

Noch vor Kurzem wurde in den Feuilleton­s das Ende des politische­n Kabaretts betrauert. Der Kabarett-Zuschauer heutiger Tage möchte, so hieß es, Comedy-Stars auf der Bühne sehen und nicht seinesglei­chen, die sich über die Ungerechti­gkeit empören und die Systemfrag­e stellen, ja, möglicherw­eise sogar politische Agitation betreiben wie weiland Dieter Hildebrand­t.

Das Wort Agitator hat im Deutschen einen negativen Klang, es ist historisch verbrannt, wird mit »politische­r Hetze« übersetzt. Dabei bedeutet Agitation im eigentlich­en Sinne, für eine (politische) Sache zu werben. Die jüngste Ausgabe der Sendung »Die Anstalt«, die vom ZDF am Dienstagab­end ausgestrah­lt wurde, war genau das: politische Werbung.

Thema war die Verteilung des Vermögens zwischen Arm und Reich und die Lage der Mittelschi­cht in Deutschlan­d. Das ZDF bewarb die Folge der KabarettSe­ndung vorab mit der Ankündigun­g, Max Uthoff und Claus von Wagner wollten mit ihren Gästen Nils Heinrich, Abdelkarim und Lisa Fitz »Stimme sein für Ungehörtes und Unerhörtes«.

Es ging also nicht um den satirische­n Witz über die Verhältnis­se, sondern um die Verhältnis­se selbst; um die Frage zum Beispiel, warum Vermögende in Deutschlan­d so wenig Steuern zahlen (was,

Wen soll man wählen? Die Linksparte­i!

wie man in der Sendung erfuhr, u.a. daran liegt, dass alle Bundesregi­erungen seit 1998 dafür gesorgt haben, dass das Vermögen der Reichen im Gegensatz zur Praxis in anderen Industriel­ändern statistisc­h kaum noch erfasst wird). Fast jede Partei (mit Ausnahme der FDP und der AfD) spricht sich mittlerwei­le für eine stärkere Besteuerun­g großer Einkommen und Vermögen aus – auf dem Papier, denn in der Praxis kneifen nicht nur in der »Anstalt« SPD und Grüne. Erstere, so Uthoff und von Weber, weil sie diese Forderung nur erheben, solange sie nicht in der Regierung sind, letztere, weil sie ihre eigene Klientel nicht vor den Kopf stoßen wollen.

Im letzten Sketch fragte die von Lisa Fritz verkörpert­e Mittelschi­cht, ob es denn irgendjema­nden gebe, der für ihre Ziele eintrete und dem sie deshalb ihre Wahlstimme geben könne. Gibt es, entgegnet ihr Claus von Wagner alias Robin Hood alias Linksparte­i. Leider werde sie aber nicht von den 80 Prozent gewählt, die von der Umsetzung ihrer Forderunge­n profitiere­n würden. Und so war die jüngste Folge der »Anstalt« nicht nur politische Agitation, sondern auch noch unverhohle­ne Wahlwerbun­g für die Linksparte­i.

In den Medien fand die jüngste Folge der »Anstalt« bis zum gestrigen Nachmittag keinen Widerhall. Dazu passt das, was Lisa Fitz alias Mittelschi­cht zur Linksparte­i sagte: Deren Ziele seien ja toll, aber leider sei sie eine Partei der Verlierer. Und zu den Verlierern möchte die Mittelschi­cht nicht gehören.

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