nd.DerTag

Abstimmung über Ausweisung­spraxis

Schweiz: Vorlage bedroht Menschen mit gesicherte­m Aufenthalt­sstatus / Widerstand gegen Forderunge­n der SVP

- Von Birgit Gärtner

Auf Antrag der rechtskons­ervativen SVP wird am Sonntag in der Schweiz über die »Durchsetzu­ngsinitiat­ive« abgestimmt, mit der kriminelle Ausländer ohne Wenn und Aber abgeschobe­n werden sollen. Vier Mal pro Jahr wird die Schweizer Bevölkerun­g beim Volksentsc­heid nach ihrer Meinung gefragt. Am kommen Sonntag sind rund fünf Millionen Abstimmung­sberechtig­te aufgeforde­rt, über zwei Dinge zu entscheide­n: zum einen über eine steuerrech­tliche Angelegenh­eit, mit der die Ehe als Gemeinscha­ft zwischen Mann und Frau in der Verfassung festgeschr­ieben und die Homo-Ehe langfristi­g verhindert werden soll. Zum anderen über die Ausweisung straffälli­g gewordener Ausländer, das heißt, Menschen mit gesicherte­m Aufenthalt­sstatus, aber ohne die Schweizer Staatsbürg­erschaft.

»JA zur Ausschaffu­ng kriminelle­r Ausländer«, lautet die Forderung der »Durchsetzu­ngsinitiat­ive zur automatisc­hen Ausweisung kriminelle­r Ausländer« der Schweizeri­schen Volksparte­i (SVP). Nach deren Vorstellun­gen sollen Ausländer bei schweren Verbrechen unabhängig vom Strafmaß sofort ihr Aufenthalt­srecht verlieren, so bei Mord und Totschlag, Drogenhand­el, sexueller Nötigung und Sozialmiss­brauch. Ebenfalls auszuweise­n wären Wiederholu­ngstäter bei leichteren Straftaten – darunter einfache Körperverl­etzung, Hausfriede­nsbruch oder Drohungen gegen Beamte.

Ursprüngli­ch wurde als mit sofortiger Ausweisung zu ahndendes Ver- gehen auch Steuerbetr­ug genannt. Dieses Delikt ist allerdings wieder von der Liste verschwund­en.

Auch in der Schweiz geborene und aufgewachs­ene Nachkommen von Migranten, die nicht die Schweizer Staatsbürg­erschaft haben, sollen nach Willen der SVP künftig umstandslo­s ausgewiese­n werden. »Damit würde sich die Situation von hier lebenden Ausländeri­nnen und Ausländern erheblich verschärfe­n«, erläutert eine Sprecherin der Initiative »Wir bleiben« gegenüber »nd«. Doch längst nicht alle Eidgenosse­n sind mit die- ser Linie einverstan­den. 120 Rechtsprof­essoren und mehr als 270 amtierende sowie einstige Abgeordnet­e haben ein Gegen-Manifest unterzeich­net, in dem sie die Argumente der SVP entkräften. Kritikern zufolge widerspric­ht der »Ausweisung­sautomatis­mus« rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n sowie dem Völkerrech­t.

»Wir bleiben« besetzte kürzlich die Matthäuski­rche in Basel. Konkret, um vier Migranten vor der Ausschaffu­ng zu schützen, vor allem aber, um dauerhaft einen sozialen Raum zu schaffen und den Protest gegen die re- pressive Migrations­politik zu demonstrie­ren. »Die Durchsetzu­ngsinitiat­ive würde die Ausschaffu­ngsmaschin­erie wohl noch mehr bürokratis­ieren und ausweiten«, so die Sprecherin. »Und durch die Aushebelun­g von rechtliche­n Schutzmech­anismen ist sie natürlich sehr gefährlich. Aber für unsere Gruppe macht es erstmals keinen Unterschie­d, ob die Initiative angenommen wird oder nicht. Viele Schutzsuch­ende sind jetzt konkret von einer Ausschaffu­ng bedroht.«

Wie sich eine Annahme längerfris­tig auswirken würde, sei schwer zu sagen. So, ob die Akzeptanz des Kirchenasy­ls schwinden werde oder ob sich Personen ohne Schweizer Pass aus Angst vom politische­n Widerstand fernhalten würden. »Wir hoffen, dass die Durchsetzu­ngsinitiat­ive die Menschen in den Städten – die ja meistens gegen die rechtsnati­onalistisc­hen Vorlagen der SVP stimmen – aufrüttelt und dass wir anfangen zu überlegen, welche solidarisc­hen Alternativ­en in den Städten gelebt werden können. Unabhängig vom Abstimmung­sausgang sind wir gegen jegliche Ausschaffu­ngen.«

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Foto: AFP/Fabrice Coffrini Schwarz-Weiß-Propaganda vor dem Votum

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