Weniger Wachstum – mehr Leben
Der »Atlas der Globalisierung« macht sich auf die Suche nach konkreten Utopien
»Le Monde diplomatique« und das Jenaer Kolleg Postwachstumsgesellschaften haben gemeinsam einen Postwachstumsatlas herausgebracht. Ohne Wachstum gibt es angeblich keinen Wohlstand, keine Freiheit, keinen Erfolg – so die gängige Erzählung der westlichen Gesellschaftsform. Wesentliche Einrichtungen unserer Gesellschaft, wie etwa der Wohlfahrtsstaat, sind so konstruiert, dass sie nur mit einer wachsenden Wirtschaft funktionieren. Staatliche Umverteilung und Sozialpolitik hängen am Tropf des Wachstums.
Auf einem begrenzten Planeten kann es aber kein unbegrenztes Wachstum geben – so das Credo der Postwachstumsbewegung. Angesichts von zur Neige gehenden fossilen Brennstoffen, Umweltzerstörung und steigender Ungleichheit lautet die Frage nicht ob, sondern nur wie der Abschied vom Wachstum erfolgt: ge- plant oder erzwungen? Das Kolleg Postwachstumsgesellschaften an der Friedrich-Schiller- Universität in Jena versucht nicht nur, Gesellschaftsformen ohne Wachstum zu denken, sondern auch Wege dorthin aufzuzeigen. Zusammen mit der Berliner Redaktion von »Le Monde diplomatique« wurde der »Atlas der Globalisierung: Weniger wird mehr« herausgegeben.
Eingebettet in viele grafisch aufbereitete Statistiken und Karten führt der Atlas ein in das Konzept Wachstum, den daraus resultierenden Krisen und Konflikten, den Versuchen eines Grünen Wachtsums und zuletzt in die Möglichkeit von Postwachstumsgesellschaften.
Der Politologe Ulrich Brand beschreibt in seinem Beitrag »Die Illusion vom sauberen Wachstum« den Plan eines Green New Deals als »allenfalls liberales Modernisierungsprojekt«, das weder die soziale Ungleichheit noch die zerstörerischen Seiten des Kapitalismus hinterfragt und die herrschenden Eliten nicht erschrecken soll. Nicht verwunderlich ist es, dass mit dem Beginn der Finanzkrise von 2007 wieder vom Green New Deal gesprochen wird, nachdem die Idee 20 Jahre in den Schubladen von Grünen und sozialdemokratischen Strategen verschwunden war.
Mittlerweile haben die Forderungen alle dezidiert wachstumskritischen Elemente verloren, die »Grüne Industrielle Revolution« setzt auf die Innovationskraft kapitalistischer Unternehmen und deren Technologien. Was bleibt, sind zentralisierte Profite und Konkurrenz, ohne Alternativen zu einer Moderne, die auf Naturausbeutung basiert und in der Verteilungsfragen nur selektiv vorkommen.
Das Schrumpfen kein Selbstzweck sein kann zeigen mehrere Beitrage, wie beispielsweise »Verdichtete Zeit« von dem Soziologen Hartmut Rosa. Wie dicht die Begriffe Wachstum und Beschleunigung miteinander verknüpft sind, erklärt Rosa, indem er Beschleunigung als Mengenwachstum pro Zeiteinheit betrachtet: In einem bestimmten Zeitraum wird mehr produziert, konsumiert oder distribuiert. Eine Gesellschaft, die wächst, verschärft das Zeitproblem, bis die Zeit zum »knappsten aller Rohstoffe« geworden ist.
Entschleunigung ist aber kein Selbstzweck, langsamere Internetoder Reiseverbindungen sind keine attraktiven Alternativen. Das Problem ist somit nicht die Beschleunigung an sich, so Rosa. Sie wird da kritikwürdig, »wo sie das Leben schlechter macht, weil sie beispielsweise zu Entfremdung führt, weil die Subjekte sich die Welt nicht mehr anverwandeln können.« Beschleunigung ist kein technisches oder gar Luxusproblem – »letztlich kommt man um eine politi- sche Diskussion und Neubestimmung von Lebensqualität nicht herum.«
Genau hier setzt die Postwachstumsbewegung an: Es geht ihr darum, konkrete Utopien als Alternativen zum Wachstumsdiktat zu entwerfen und diese mit widerständigen Praktiken zu verbinden. Einfach und pauschal eine Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts zu fordern, würde ökonomische Krisen auslösen – beim Postwachstum geht es deshalb um mehr: um eine grundsätzliche Umgestaltung der Gesellschaft. Um einen selbstbestimmten Verzicht auf Wachstum möglich zu machen, ist ein Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft gefragt, die Abkopplung von Wohlfahrt und sozialen Fortschritt von den Zwängen der Kapitalakkumulation notwendig. Wie dringend dies ist, zeigt der Atlas. Ideen, wie der Umbau gelingen kann, liefert er gleich mit.
Die Frage lautet nicht ob, sondern wie der Abschied vom Wachstum erfolgt: geplant oder erzwungen?
Atlas der Globalisierung: Der Postwachstumsatlas. Weniger ist mehr, Le Monde diplomatique/taz, Berlin 2015, 175 Seiten, 16 Euro.