Erpresst oder genötigt
Frauen in Indien zur Verhütung gezwungen
Indien geht seit Jahrzehnten gegen die wachsende Bevölkerung vor. Dabei missachten Behörden mitunter elementare Menschenrechte.
Mit nur 18 Jahren bekam Ramya Rajishwari ihr erstes Kind, danach sollte die Inderin lange nicht wieder schwanger werden können. Ohne ihre Erlaubnis setzten ihr Ärzte eine Kupferspirale ein. »Meine Stiefmutter und die Ärzte hatten es so beschlossen«, sagt Ramya leise. Die Frau stammt aus dem südindischen Chennai. Inzwischen ist ihr Sohn sechs Monate alt und schläft neben ihr auf dem Boden. »Mein Mann hat kein regelmäßiges Gehalt und ist drogenund alkoholabhängig. Sie hielten es für besser, wenn wir nicht noch ein Kind bekommen«, fügt Ramya hinzu.
Das Verhütungsmittel würde mindestens fünf Jahre lang eine Schwangerschaft verhindern, sagten ihr die Ärzte des staatlichen Krankenhauses. Ramya gehört einer armen Dalit-Gemeinde an. Die Kastenlosen wurden in Indien früher als Unberührbare behandelt und werden immer noch häufig diskriminiert. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch werden Millionen Inderinnen überredet oder gezwungen, eine Spirale einsetzen oder sich sterilisieren zu lassen. Von Nebenwirkungen oder alternativen Verhütungsmethoden erfahren sie meist nichts.
Grund ist Indiens wachsende Bevölkerung, die von der Regierung als Problem betrachtet wird. Nach jüngsten Prognosen der UNO werde der Staat bis 2024 China als weltweit bevölkerungsreichstes Land ablösen. Zwar sei die Geburtenzahl innerhalb von zwölf Jahren von 3,2 auf 2,5 Kinder pro Frau gesunken, doch in den ärmsten Regionen sei sie unverändert geblieben. Arme Frauen seien »unverantwortliche Brüterinnen«, sagt ein Beamter des indischen Gesundheitsund Familienplanungsministeriums.
Schon lange versucht Indien, das Bevölkerungswachstum durch Geburtenkontrolle einzudämmen. Millionen Männer und Frauen wurden in den 1970er Jahren zwangssterilisiert. Die Maßnahme betraf vor allem Menschen der niederen Kasten.
Die jahrzehntelange Geburtenkontrolle hat das Bewusstsein der Inder geprägt. Viele Klinikmitarbeiter seien der Auffassung, dass Frauen höchstens zwei Kinder gebären sollten, sagt Geetha Sundar – ihren richtigen Namen nennt sie nicht. Sie hat sich intensiv mit der Geburtenpolitik in Tamil Nadu auseinandergesetzt. »Sie denken, sie tun Gutes, wenn sie verhindern, dass arme Frauen Kinder bekommen, die sie nicht aufziehen können«, sagt sie. Sie sprach mit 221 Frauen, denen eine Kupferspirale eingesetzt worden war. Erschreckend oft geschehe das ohne ihr Wissen. Die Behörden würden auch Notlagen ausnutzen. So sei Müttern die Impfung der Kinder verweigert worden, wenn sie nicht einwilligten. Wehren können sich die Frauen kaum. Rechtliche Schritte gegen Kliniken seien meist unmöglich, so eine Anwältin. Oft mache die Meinung der Gynäkologen die Einwilligung der Frauen entbehrlich.
Ramya ließ die Spirale in einer Privatklinik entfernen. Der Eingriff kostete mit 34 Euro ein Viertel des Monatsgehalts ihres Mannes. Nun verhütet sie mit einer Dreimonatsspritze. Sterilisation bei Männern ist in Indiens patriarchalischer Gesellschaft ein Tabu und Kondome oft schwer zu bekommen, wie Gynäkologin Sundar sagt. »Darauf sollte die Regierung ihre Mühen konzentrieren.«