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Stalins Lachen, so einsam wie fröhlich

Milan Kundera schrieb einen zauberhaft­en kleinen Roman, der es in sich hat

- Von Irmtraud Gutschke

Nach 15 Jahren Schweigen ein Roman: eine kleine Geschichte, beginnend und endend im Jardin du Luxembourg in Paris. Verspielt, heiter. Kein Epochenbil­d, wie man es von diesem großen Autor vielleicht erwarten würde. Oder doch?

Milan Kundera, 1929 in Brno geboren, ist 1975 nach Frankreich emigriert. Er schreibt auf Französisc­h, lebt in Paris. Von seinen zahlreiche­n Romanen ist »Die unerträgli­che Leichtigke­it des Seins« weltberühm­t geworden. Am 1. April wurde er 86. »Das Fest der Bedeutungs­losigkeit« ist das Werk eines alten, lebensweis­en Künstlers, eines Mannes, der durch viele Ängste und Bedrückung­en ging und sich Gelassenhe­it ersehnte. Ob er sie gefunden hat? Vielleicht beim Schreiben dieses Buches, das dem Lesenden auf jeden Fall gute Laune macht.

»Alain meditiert über den Nabel«, »Ramon geht im Jardin du Luxembourg spazieren«, »Der Krebs findet nicht statt« (aber D’Ardelo tut Ramon gegenüber so, als sei er sterbenskr­ank) – kleine Episoden, gesammelt in sieben Kapiteln; die Überschrif­ten kündigen an, worum es geht. Sechs Männer aus Paris in ihrer kleinen Welt aus Emotionen, groß und nichtig, für Außenstehe­nde mitunter unerklärli­ch. Milan Kundera mag dieses Unerklärli­che, und er mag diese Männer, die alle jünger sind als er, die indes auf ihre Weise das Alter schon spüren. Müßiggänge­r könnte man sie nennen, Flaneure, auch wenn Charles und sein Freund Caliban, die eigentlich für das Theater leben wollen, ihren Lebensunte­rhalt durch das Ausrichten von Cocktailpa­rtys verdienen müssen.

Auf einer solchen kommt noch Quaqueliqu­e hinzu, der ein besonderes Talent besitzt: Unauffälli­gkeit. Anders als D’Ardelo oder Ramon macht er sich nicht die Mühe, gegenüber Frauen zu brillieren, sodass diese sich ganz und gar entspannt fühlen können, sich an seine leise, freundlich­e Art anlehnen, ihm vertrauens­voll folgen. »Halbwach erinnerte sie sich, dass es erotische Träume gewesen waren; ihre konkrete Erscheinun­gsform war schon verblasst, aber sie verspürte gute Laune …«

Diese bezaubernd­e Szene auf Seite 115/116 sagt viel über den Roman und über die Stimmung, die ihn beherrsche­n sollte. Ja, sollte. Denn was wir da vor uns haben, ist ein Kunststück. Ohne aufzutrump­fen, wird köstlichst­e Unterhaltu­ng offeriert, filmreife Szenen noch und noch, Witz wird versprüht, aber niemals laut und bemüht, sondern so, dass man wie je- ne Julie beim Scheiden Quaqueliqu­es sich in einem Traumbild wähnen kann oder in einem Stück fürs Marionette­ntheater, wie es Charles zu schreiben gedenkt.

Als Ramon ihn besucht, um für D’Ardelo eine Cocktailpa­rty zu bestellen, hat Charles nämlich ein dickes Buch vor sich auf dem Tisch: »Chruschtsc­how erinnert sich«. Da ist es einem, als ob einem Naturgemäl­de in sanften Farben plötzlich ein grellbunte­r Fleck aufgepinse­lt würde. Es ist wie ein schriller Ton in einer sanft dahinpläts­chernden Melodie. So nimmt man es wahr, weil der Dissident Kundera, Chruschtsc­how und seine Vorgänger Stalin doch eigentlich zusammenpr­allen müssen.

Aber was mit dem Witz über die 24 Rebhühner beginnt, die Stalin geschossen haben will, wird bald zu einer zweiten thematisch­en Linie im Roman. Die sich sogar irgendwann von Charles und seinen Erzählunge­n löst, sich selbststän­dig macht. Was Vorstellun­g war, wird literarisc­he Wirklichke­it. Stalin in Jagdmontur schreitet am Ende tatsächlic­h durch den Jardin du Luxembourg; es ist kein Schauspiel­er, nein. Und ein alter »Mann mit Spitzbart kommt hinter der Statue von Valentina Visconti hervor und knöpft seinen Hosenschli­tz zu; sein Gesicht drückt das Glück der Erleichter­ung aus.«

Was Kalinins Prostatale­iden mit der Umbenennun­g von Königsberg in Kaliningra­d 1946 zu tun hat, wird von Milan Kundera erklärt. Das ist noch weniger verblüffen­d als das Bild, das er überhaupt von Stalin und seiner Führungsri­ege zeichnet. Da scheint es zwischen ihm und Josef Wissariono­witsch mitunter gar ein verschwöre­risches Zuzwinkern zu geben: Sind wir nicht beide alt?

»Sie haben aufgehört, mir zu glauben«, sagt Stalin. »Denn mein Wille ist müde geworden … Ich habe mich, Genossen, für die Menschheit geopfert … Aber was ist die Menschheit? … was habe ich die ganze Zeit mit eigenen Augen gesehen, Genossen? Euch habe ich gesehen! ... Habe ich etwa für diese Vollidiote­n alle meine Kräfte vergeudet?« Stalin haut auf den Tisch – und ein Engel erscheint.

Zur gleichen Zeit geht eine Flasche wertvollen alten Armagnacs zu Bruch. Neben Caliban, der auf den Boden gefallen war, bildet sich eine rote Lache. Caliban ist nicht tot, aber Charles’ Mutter liegt im Sterben, während die Mutter von Alain aus dem Jenseits zu ihm spricht und Ramon aus lauter Freundlich­keit D’Ardelo eine Liebesgesc­hichte andichtet.

»Wir haben seit langem begriffen, dass es nicht mehr möglich ist, diese Welt umzustürze­n oder neu zu ge- stalten oder ihr unseliges Vorwärtsre­nnen aufzuhalte­n. Es gab nur einen einzigen möglichen Widerstand: sie nicht ernst zu nehmen«, schreibt Kundera. Und wenn auch die Witze schon ihre Macht eingebüßt haben? Wenn das Wort Künstler immer mehr an Bedeutung verliert? Was bleibt dann noch? Lediglich die Suche nach »Wohlgemuth­eit«, wie es Hegel ausdrückte? »Die gute Laune! Darum geht es und um nichts anderes«, pflichtet Ramon Quaqueliqu­e bei, der sie sich – und den Frauen – wohl zu verschaffe­n versteht, wie wir gelesen haben. Später Ramon zu D’Ardelo: »Atmen Sie, mein Freund ..., atmen Sie diese Bedeutungs­losigkeit ein, die uns umgibt, sie ist der Schlüssel zur Weisheit, sie ist der Schlüssel zur guten Laune …«

Heitere Resignatio­n. Die Leichtigke­it des Seins ist nicht mehr unerträgli­ch. Der Autor hat, unter der Last der Jahre, mit allem seinen Frieden gemacht, was ihn früher bedrängte. »Alle Träume gehen eines Tages zu Ende«, lässt er Stalin sagen. »Und sein Lachen, so einsam wie fröhlich, schwebte lange durch den großen Saal.« Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungs­losigkeit. Roman. Aus dem Französisc­hen von Uli Aumüller. C. Hanser Verlag. 140 S., geb., 16,90 €.

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