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Kurdenregi­on bietet Erdogan die Stirn

Premier Davutoglu gibt Regierungs­bildung auf / Orte im türkische Südosten erklären sich für autonom

- Von Jan Keetman

Nach gescheiter­ten Koalitions­gesprächen in der Türkei hat Ministerpr­äsident Davutoglu das Mandat zur Regierungs­bildung zurückgege­ben. Jetzt sind Neuwahlen wahrschein­lich.

Die Türkei steht vor Neuwahlen. Zwar sind sie noch nicht beschlosse­n, aber Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu hat den Auftrag, eine Regierung zu bilden, an Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan zurückgege­ben. Dieser will dem Vernehmen nach den Auftrag zur Regierungs­bildung nicht an die Opposition weitergebe­n, sondern strebt Neuwahlen schon nach zwei Monaten an.

Wenn Erdogan Neuwahlen ausruft, muss er nach der Verfassung einen Übergangs-Ministerpr­äsidenten bestimmen. In der Übergangsr­egierung müssen alle Parteien entspreche­nd ihrer Stärke im Parlament vertreten sein.

Doch so dramatisch die Entwicklun­g in Ankara auch ist, sie wird noch überschatt­et durch die Entwicklun­g im Osten des Landes. Hier ist der Krieg mit der Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) völlig außer Kontrolle geraten. Es begann mit tagelangen schweren Bombardeme­nts der türkischen Luftwaffe gegen Lager und Stellungen der PKK in Irak und im Grenzgebie­t. Nebenbei mussten, damit die Sache in Washington besser ankommt, auch noch drei Flugzeuge am ersten Tag ein paar Raketen in Richtung Islamische­r Staat abschießen. Zuletzt ist es um die teuren Luftangrif­fe still geworden.

Die PKK gibt es dagegen noch immer – und wie. In einigen Städten im hauptsächl­ich von Kurden bewohnten Südosten der Türkei wie Silopi, Cizre, Lice und Silvan haben Mitglieder der Jugendorga­nisation der PKK praktisch die Macht auf den Straßen übernommen.

Um Polizei und Militär fernzuhalt­en, wurden Gräben gezogen und Barrikaden errichtet. Große Steine auf Straßen verhindern Durchfahrt­en. Am Ende von Gas- sen wurden Tücher aneinander gebunden und zwischen die Häuser gehängt, um der Staatsmach­t den Blick in die Gassen zu verwehren. Polizei und Militär trauen sich wegen der Gefahr von Minen teilweise auch mit gepanzerte­n Fahrzeugen nicht mehr in alle Stadtviert­el.

Zuvor hatten sich einige Gemeinden auf Geheiß der »Union der Gemeinscha­ften Kurdistans« (KCK) für autonom erklärt. Die KCK sind eine PKK-nahe Organisati­on, die sich auf deren gefangenen Führer Abdullah Öcalan beruft und eine kurdische Autonomie vorbereite­n soll.

Die örtliche Verwaltung, Innenminis­terium und Militär reagieren teilweise hilflos auf die Aufstände. Ausgangspe­rren werden verhängt, Zufahrtswe­ge blockiert, Stromnetze abgeschalt­et. Von Zeit zu Zeit kommt es zu Kämpfen mit Toten auf beiden Seiten. Die Häuser haben häufig keine Keller, die Wände sind dünn, Schüsse können sie durchschla­gen, nicht zu reden von den Granaten aus den Rohren türkischer Panzer, die in Silvan bereits im Einsatz sein sollen.

Als Machtdemon­stration der PKK sind die Aufstände gelungen. Sie zeigen, dass die türkische Luftwaffe in Irak so viele Bomben werfen kann, wie sie will: Die PKK bekommt sie damit nicht weg.

Die örtliche Verwaltung, Innenminis­terium und Militär reagieren teilweise hilflos auf die Aufstände.

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