Die Bahn rettet Pfingsten
Zugeständnis an GDL / Nach Streik sollen Platzeck und Ramelow schlichten
Berlin. Matthias Platzeck (SPD) und Bodo Ramelow (Linkspartei) sind am Donnerstag als Schlichter im festgefahrenen Tarifkonflikt bei der Bahn nominiert worden. Der frühere brandenburgische Ministerpräsident Platzeck vertritt die Interessen des Staatsunternehmens und der amtierende thüringische Regierungschef Bodo Ramelow die der Lokomotivführergewerkschaft GDL. Nach der Einigung auf die Schlichtung haben die Lokführer ihren Ausstand beendet. Nach Gewerkschaftsangaben vereinbarten beide Parteien ebenfalls Grundlagen für einen Flächentarifvertrag für das Zugpersonal. Mit der Verständigung habe sich »das Feigenblatt Bahnstreik«, mit dem die Bundesregierung das geplante Tarifeinheitsgesetz begründete, »in Luft aufgelöst«, kommentiert Jutta Krellmann von der Linksfraktion im Bundestag.
Nach Interpretation der GDL sind nun unterschiedliche Tarifabschlüsse bei den im Unternehmen konkurrierenden Gewerkschaften möglich. Die Bahn habe zugesagt, dass die von der GDL vertretenen Mitglieder auch dann Tarifverträge bekämen, wenn es keine Tarifeinheit gebe, erklärte GDL-Chef Claus Weselsky. Das sei schriftlich festgehalten worden. Bahnpersonalvorstand Ulrich Weber kündigte da- gegen an, dass die Bahn dafür sorgen werde, in entscheidenden Punkten kollidierende Regelungen zu vermeiden.
Derweil geht der Arbeitskampf in den kommunalen Kindertagesstätten weiter. Rund 200 Erzieherinnen und Erzieher haben am Donnerstag an Streikkundgebungen in Erfurt und Jena teilgenommen. Nach Pfingsten sollen die Streiks in Brandenburg sogar ausgeweitet werden. Voraussichtlich würden dann rund 2000 Beschäftigte in den Ausstand treten, erklärte ver.di-Fachbereichsleiter Erich Mendroch. Agenturen/nd
Die GDL hat mit der Bahn eine Schlichtungsvereinbarung unterzeichnet. Es herrscht die Friedenspflicht. Bei der größeren Bahnergewerkschaft EVG gingen die Verhandlungen am Donnerstag in die entscheidende Runde.
Der Kampf geht weiter – am Verhandlungstisch. Bei Bahn und GDL geht es nun mit Bodo Ramelow und Matthias Platzeck um den inhaltlichen Teil der Tarifforderungen.
Morgens um halb zehn in Deutschland. In Berlins Mitte tritt der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL), Claus Weselsky, vor die Presse, verkündet das Ende des Streiks bei der Deutschen Bahn. Man habe sich auf ein Schlichtungsabkommen geeinigt, der Streik werde um 19 Uhr am Donnerstagabend beendet, sagt der Gewerkschafter. Er macht einen gelösten Eindruck, umringt von Fotografen und Kameras, hinter einem bunten Strauß von Mikrofonen. Die Hände hängen neben der Hosennaht, die Finger bewegen sich kaum merklich, aber unablässig. Daran sieht man Anspannung, obwohl Weselsky lächelt, während er spricht. Zwei Stunden habe er geschlafen. Die GDL habe nun das bekommen, was sie die ganze Zeit gefordert hat, »nämlich ein schriftlich fixiertes Tarifzwischenergebnis, in dem klar und deutlich geregelt ist, dass die von uns vertretenen Mitglieder Tarifverträge auch erhalten werden, wenn es dem Arbeitgeber nicht gelingt, Tarifeinheit herzustellen«.
Konkret heißt das: Unter Vermittlung von Ex-Bundesarbeitsrichter Klaus Bepler ist es gelungen, einen Kompromiss zu finden, nach dem die Bahn mit der GDL künftig auch Tarifverträge für andere Berufsgruppen abschließt; darunter Zugbegleiter, Bordgastronomen und Lokrangierführer – für die bisher die Eisenbahnund Verkehrsgewerkschaft (EVG) zuständig war. Das zähe Ringen um dieses Zugeständnis dauerte fast ein Jahr, in dem die GDL neun Mal zum Streik rief. Mit Unterzeichnen der Schlichtungsvereinbarung herrscht Friedenspflicht. Vorerst gibt es also keine Streiks mehr. Als Schlichter ha- ben die GDL den thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (LINKE) und die Bahn den ehemaligen brandenburgischen Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) bestimmt. In den Gesprächen wird es unter anderem um eine Arbeitszeitverkürzung, eine Begrenzung der Überstunden für Lokführer und mehr Geld gehen. Ziel der GDL ist ein Flächentarifvertrag für die genannten Berufsgruppen bei der DB und den und die Privatbahnen.
Zeitgleich steht in Erfurt Bodo Ramelow vor Presse. Anders als der gelernte Lokführer Weselsky sieht der gelernte Einzelhandelskaufmann ausgeschlafen aus. Sicher auch, weil Ramelow schlief, als Weselsky ihm in der Nacht mitteilen wollte, dass er nun tatsächlich in dem Tarifstreit vermitteln soll. »Tief und fest«, sagt Ramelow. Beim Aufwachen habe er per Mail von der Schlichtungslösung und seiner Rolle erfahren. Um 7 Uhr ging die Nachricht durch die Medien. »Ich habe es nur eine halbe Stunde vor Ihnen gewusst.«
Bereits vor einigen Wochen, hatte das CDU-Mitglied Weselsky den LINKE-Politiker gefragt, ob er für die GDL in die Schlichtung gehen wolle. Am Rande einer Fachtagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Erfurt zur Tarifeinheit sei Weselsky an ihn herangetreten, sagt Ramelow. Unter vier Augen, weshalb davon bislang nichts nach außen drang. Dass Ramelow nicht lange überlegt hat, davon darf man ausgehen – vor allem auch dann, wenn man erlebt, mit welchem Nachdruck sich der Ministerpräsident am Donnerstag für die Interessen der GDL einsetzt, wie sehr er ihren Standpunkt einnimmt. »Die Lokführer kämpfen auch für die Sicherheit der Bahnkunden«, sagt er kurz nach 10 Uhr. Er wiederholt es in den nächsten Minuten mehrfach. Die Lokführer trügen eine große Verantwortung für die Reisenden, hätten aber nur ein freies Wochenende pro Monat. Sie stellten 15 Prozent der Belegschaft der Bahn, hätten aber 40 Prozent der Über- stunden des Konzerns. Dazu komme die hohe psychische Belastung durch Suizide an Bahngleisen. Bis zu 1000 Menschen nähmen sich pro Jahr auf diese Weise das Leben. Statistisch gesehen, sagt Ramelow, erlebe ein Lokführer im Laufe seines Lebens deshalb drei Suizide. »Wenn wir also von der Belastung von Lokführern reden, müssen wir von der Gesamtbelastung der Lokführer reden.«
Davon, dass die GDL aus der Sicht ihrer Kritiker nicht für ihre Beschäftigten, sondern ausschließlich um das Überleben als Organisation kämpft, redet Ramelow nicht. Als er an diesem Donnerstag zum Tarifkonflikt bei der Bahn spricht, ist Ramelow wieder ganz der Gewerkschaftsfunktionär, der er war, bevor er in die Politik ging. Freilich bringt ihm das umgehend Kritik ein. Seine Pressekonferenz ist noch nicht richtig zu Ende, der ätzt der Vorsitzende der CDULandtagsfraktion, die Attacken Ramelows auf die Bahn seien »kein besonders überzeugender Einstieg« in die Schlichterrolle.
Zurück in Berlin, Mittagszeit. Vor dem GDL-Streiklokal am Ostbahnhof sitzen einige Bahner. Wie die Stimmung denn sei? Naja, sagt einer, »es ist gut, dass es endlich vorangeht«, aber man müsse abwarten was draus wird. Und ab 19 Uhr auf Schicht? Ja sicher, sagt der Mann in DB-Uniform. Am Abend werde auch das Streiklokal aufgelöst. Dass sich der Fernverkehr normalisiert, könne aber noch bis zum späteren Freitag dauern, sagt ein anderer. Bei der Berliner S-Bahn gehe das viel schneller.