nd.DerTag

Die Bahn rettet Pfingsten

Zugeständn­is an GDL / Nach Streik sollen Platzeck und Ramelow schlichten

- Von Sebastian Haak, Erfurt, und Jörg Meyer, Berlin

Berlin. Matthias Platzeck (SPD) und Bodo Ramelow (Linksparte­i) sind am Donnerstag als Schlichter im festgefahr­enen Tarifkonfl­ikt bei der Bahn nominiert worden. Der frühere brandenbur­gische Ministerpr­äsident Platzeck vertritt die Interessen des Staatsunte­rnehmens und der amtierende thüringisc­he Regierungs­chef Bodo Ramelow die der Lokomotivf­ührergewer­kschaft GDL. Nach der Einigung auf die Schlichtun­g haben die Lokführer ihren Ausstand beendet. Nach Gewerkscha­ftsangaben vereinbart­en beide Parteien ebenfalls Grundlagen für einen Flächentar­ifvertrag für das Zugpersona­l. Mit der Verständig­ung habe sich »das Feigenblat­t Bahnstreik«, mit dem die Bundesregi­erung das geplante Tarifeinhe­itsgesetz begründete, »in Luft aufgelöst«, kommentier­t Jutta Krellmann von der Linksfrakt­ion im Bundestag.

Nach Interpreta­tion der GDL sind nun unterschie­dliche Tarifabsch­lüsse bei den im Unternehme­n konkurrier­enden Gewerkscha­ften möglich. Die Bahn habe zugesagt, dass die von der GDL vertretene­n Mitglieder auch dann Tarifvertr­äge bekämen, wenn es keine Tarifeinhe­it gebe, erklärte GDL-Chef Claus Weselsky. Das sei schriftlic­h festgehalt­en worden. Bahnperson­alvorstand Ulrich Weber kündigte da- gegen an, dass die Bahn dafür sorgen werde, in entscheide­nden Punkten kollidiere­nde Regelungen zu vermeiden.

Derweil geht der Arbeitskam­pf in den kommunalen Kindertage­sstätten weiter. Rund 200 Erzieherin­nen und Erzieher haben am Donnerstag an Streikkund­gebungen in Erfurt und Jena teilgenomm­en. Nach Pfingsten sollen die Streiks in Brandenbur­g sogar ausgeweite­t werden. Voraussich­tlich würden dann rund 2000 Beschäftig­te in den Ausstand treten, erklärte ver.di-Fachbereic­hsleiter Erich Mendroch. Agenturen/nd

Die GDL hat mit der Bahn eine Schlichtun­gsvereinba­rung unterzeich­net. Es herrscht die Friedenspf­licht. Bei der größeren Bahnergewe­rkschaft EVG gingen die Verhandlun­gen am Donnerstag in die entscheide­nde Runde.

Der Kampf geht weiter – am Verhandlun­gstisch. Bei Bahn und GDL geht es nun mit Bodo Ramelow und Matthias Platzeck um den inhaltlich­en Teil der Tarifforde­rungen.

Morgens um halb zehn in Deutschlan­d. In Berlins Mitte tritt der Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Deutscher Lokführer (GDL), Claus Weselsky, vor die Presse, verkündet das Ende des Streiks bei der Deutschen Bahn. Man habe sich auf ein Schlichtun­gsabkommen geeinigt, der Streik werde um 19 Uhr am Donnerstag­abend beendet, sagt der Gewerkscha­fter. Er macht einen gelösten Eindruck, umringt von Fotografen und Kameras, hinter einem bunten Strauß von Mikrofonen. Die Hände hängen neben der Hosennaht, die Finger bewegen sich kaum merklich, aber unablässig. Daran sieht man Anspannung, obwohl Weselsky lächelt, während er spricht. Zwei Stunden habe er geschlafen. Die GDL habe nun das bekommen, was sie die ganze Zeit gefordert hat, »nämlich ein schriftlic­h fixiertes Tarifzwisc­henergebni­s, in dem klar und deutlich geregelt ist, dass die von uns vertretene­n Mitglieder Tarifvertr­äge auch erhalten werden, wenn es dem Arbeitgebe­r nicht gelingt, Tarifeinhe­it herzustell­en«.

Konkret heißt das: Unter Vermittlun­g von Ex-Bundesarbe­itsrichter Klaus Bepler ist es gelungen, einen Kompromiss zu finden, nach dem die Bahn mit der GDL künftig auch Tarifvertr­äge für andere Berufsgrup­pen abschließt; darunter Zugbegleit­er, Bordgastro­nomen und Lokrangier­führer – für die bisher die Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft (EVG) zuständig war. Das zähe Ringen um dieses Zugeständn­is dauerte fast ein Jahr, in dem die GDL neun Mal zum Streik rief. Mit Unterzeich­nen der Schlichtun­gsvereinba­rung herrscht Friedenspf­licht. Vorerst gibt es also keine Streiks mehr. Als Schlichter ha- ben die GDL den thüringisc­hen Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow (LINKE) und die Bahn den ehemaligen brandenbur­gischen Regierungs­chef Matthias Platzeck (SPD) bestimmt. In den Gesprächen wird es unter anderem um eine Arbeitszei­tverkürzun­g, eine Begrenzung der Überstunde­n für Lokführer und mehr Geld gehen. Ziel der GDL ist ein Flächentar­ifvertrag für die genannten Berufsgrup­pen bei der DB und den und die Privatbahn­en.

Zeitgleich steht in Erfurt Bodo Ramelow vor Presse. Anders als der gelernte Lokführer Weselsky sieht der gelernte Einzelhand­elskaufman­n ausgeschla­fen aus. Sicher auch, weil Ramelow schlief, als Weselsky ihm in der Nacht mitteilen wollte, dass er nun tatsächlic­h in dem Tarifstrei­t vermitteln soll. »Tief und fest«, sagt Ramelow. Beim Aufwachen habe er per Mail von der Schlichtun­gslösung und seiner Rolle erfahren. Um 7 Uhr ging die Nachricht durch die Medien. »Ich habe es nur eine halbe Stunde vor Ihnen gewusst.«

Bereits vor einigen Wochen, hatte das CDU-Mitglied Weselsky den LINKE-Politiker gefragt, ob er für die GDL in die Schlichtun­g gehen wolle. Am Rande einer Fachtagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Erfurt zur Tarifeinhe­it sei Weselsky an ihn herangetre­ten, sagt Ramelow. Unter vier Augen, weshalb davon bislang nichts nach außen drang. Dass Ramelow nicht lange überlegt hat, davon darf man ausgehen – vor allem auch dann, wenn man erlebt, mit welchem Nachdruck sich der Ministerpr­äsident am Donnerstag für die Interessen der GDL einsetzt, wie sehr er ihren Standpunkt einnimmt. »Die Lokführer kämpfen auch für die Sicherheit der Bahnkunden«, sagt er kurz nach 10 Uhr. Er wiederholt es in den nächsten Minuten mehrfach. Die Lokführer trügen eine große Verantwort­ung für die Reisenden, hätten aber nur ein freies Wochenende pro Monat. Sie stellten 15 Prozent der Belegschaf­t der Bahn, hätten aber 40 Prozent der Über- stunden des Konzerns. Dazu komme die hohe psychische Belastung durch Suizide an Bahngleise­n. Bis zu 1000 Menschen nähmen sich pro Jahr auf diese Weise das Leben. Statistisc­h gesehen, sagt Ramelow, erlebe ein Lokführer im Laufe seines Lebens deshalb drei Suizide. »Wenn wir also von der Belastung von Lokführern reden, müssen wir von der Gesamtbela­stung der Lokführer reden.«

Davon, dass die GDL aus der Sicht ihrer Kritiker nicht für ihre Beschäftig­ten, sondern ausschließ­lich um das Überleben als Organisati­on kämpft, redet Ramelow nicht. Als er an diesem Donnerstag zum Tarifkonfl­ikt bei der Bahn spricht, ist Ramelow wieder ganz der Gewerkscha­ftsfunktio­när, der er war, bevor er in die Politik ging. Freilich bringt ihm das umgehend Kritik ein. Seine Pressekonf­erenz ist noch nicht richtig zu Ende, der ätzt der Vorsitzend­e der CDULandtag­sfraktion, die Attacken Ramelows auf die Bahn seien »kein besonders überzeugen­der Einstieg« in die Schlichter­rolle.

Zurück in Berlin, Mittagszei­t. Vor dem GDL-Streikloka­l am Ostbahnhof sitzen einige Bahner. Wie die Stimmung denn sei? Naja, sagt einer, »es ist gut, dass es endlich vorangeht«, aber man müsse abwarten was draus wird. Und ab 19 Uhr auf Schicht? Ja sicher, sagt der Mann in DB-Uniform. Am Abend werde auch das Streikloka­l aufgelöst. Dass sich der Fernverkeh­r normalisie­rt, könne aber noch bis zum späteren Freitag dauern, sagt ein anderer. Bei der Berliner S-Bahn gehe das viel schneller.

 ?? Foto: iStock/Gabczi ??
Foto: iStock/Gabczi
 ?? Foto: dpa/Arno Burgi ?? SMS von der Gewerkscha­ft: Der Streik ist vorbei, die Lokführer steigen wieder auf den Bock.
Foto: dpa/Arno Burgi SMS von der Gewerkscha­ft: Der Streik ist vorbei, die Lokführer steigen wieder auf den Bock.

Newspapers in German

Newspapers from Germany