nd.DerTag

Nur Lippenbeke­nntnisse

Die BND-Affäre weitet sich zur Staatskris­e aus – die Verantwort­lichen schweigen

- Von Tom Strohschne­ider

Berlin. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel hat derzeit allen Grund, ihre unnachahml­ichen Mundwinkel besonders tief hängen zu lassen. Zunehmend schmallipp­ig reagieren auch ihr derzeitige­r Innenminis­ter Thomas de Maizière (links unten), ihr zur Deutschen Bahn entfleucht­er Parteifreu­nd Ronald Pofalla (rechts oben) (beide CDU) und der amtierende Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier von der SPD (rechts unten), wenn es um die BND-NSAAffäre geht. Denn alle drei Herren waren dereinst Kanzleramt­sminister – verantwort­lich für die Arbeit der Geheimdien­ste und also auch für deren Kontrolle. Letztere haben sie offen- bar nicht wahrgenomm­en. Warum sonst fordert Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) jetzt, die gesamte Tätigkeit des BND »einer demokratis­chen Kontrolle« zu unterwerfe­n?

Fest steht, Steinmeier hatte 2002 den Vertrag zwischen Bundesnach­richtendie­nst und US-Geheimdien­st NSA zwecks Datenliefe­rung ausgehande­lt. De Maizière verantwort­ete zwischen 2005 und 2009 dessen Erfüllung und sukzessive Ausweitung und eine angeblich in den Wind geschlagen­e Warnung des BND von 2008. Und Pofalla, der ab Herbst 2009 im Kanzleramt residierte, hatte 2013 mitten im Wahlkampf vollmundig ein Ende der Spiona- geaffäre verkündet, das nie wirklich eines war. Dass sich die Geschichte um die illegale geheimdien­stliche Dienstbark­eit des BND, mit von der NSA erstellten Listen und Suchwörter­n Politiker und Unternehme­n auszuspähe­n, langsam aber sicher zu einer handfesten Krise der Großen Koalition ausweitet – dafür sorgt nicht zuletzt SPD-Vizekanzle­r Sigmar Gabriel mit seinen Sticheleie­n gegen die Regierungs­chefin. Gabriel war es auch, der am Wochenende nicht davor zurückschr­eckte, das Wort Staatsaffä­re in den Mund zu nehmen. Höchste Zeit also, über Lippenbeke­nntnisse hinauszuko­mmen.

Die BND-Affäre um illegale Spionage wuchert täglich weiter. Es ist keine Übertreibu­ng, von einer Staatskris­e zu reden – die zu lösen jenen nicht zuzutrauen ist, die sie verursacht haben.

Vor ein paar Tagen meldete der Deutschlan­dtrend, 57 Prozent der Bundesbürg­er sagten, die Bundesregi­erung schütze sie nicht ausreichen­d vor möglicher Überwachun­g durch Geheimdien­ste. Man kann das für widersprüc­hlich halten: Es ist schließlic­h die Bundesregi­erung, die sich Geheimdien­ste hält – und das durchaus zu dem Zwecke, Bürger zu überwachen.

In dem Umfrageerg­ebnis lebt eine staatspoli­tische Fiktion fort, die davon ausgeht, dass zwischen der gewählten Regierung und deren geheimen Diensten ein stabiles Kontrollve­rhältnis existiert, mehr noch, dass die Berliner Politik in ihren Entscheidu­ngen frei gegenüber anderen Regierunge­n ist, die sich ebenfalls Geheimdien­ste halten.

Die BND-Affäre demonstrie­rt eine andere Realität. In der ist zwar naheliegen­d, die USA und deren Geheimdien­stpolitik zu kritisiere­n, wie es nun immer lauter aus der Bundespoli­tik und selbst aus den Koalitions­reihen schallt.

Doch praktisch ist die Angelegenh­eit um einiges komplizier­ter – die BND-Affäre ist nicht so sehr wegen der NSA eine Staatskris­e, sondern weil sie einige grundlegen­de innenpolit­ische Probleme offenbart. Das geht bei der Existenz von Geheimdien­sten los und hört bei der öffentlich­en Bearbeitun­g durch das Wechselspi­el von medialen Enthüllung­en und politische­r Reaktion noch nicht auf.

Am Freitag etwa wurde bekannt, dass der BND das Kanzleramt angeb- lich schon 2008 vor möglicher Wirtschaft­sspionage durch die NSA gewarnt habe – damals war dort Thomas de Maizière zuständig, der wiegelte ab. Das passt einerseits in ein Bild, an dem seit Wochen viele malen, und in dessen Zentrum der CDUInnenmi­nister als Verantwort­licher steht. Das ist anderersei­ts deshalb aber auch ein möglicher Spin. Ein Schuldiger käme vielen Beteiligte­n jetzt ganz recht – weil dann ihre eigene Rolle nicht mehr so im Fokus steht.

Am Sonntag, ein zweites Beispiel, hieß es plötzlich in einem Bericht – natürlich exklusiv –, der BND habe »wichtige Hilfe bei der Suche nach

Die BND-Affäre ist nicht so sehr wegen der NSA eine Staatskris­e, sondern weil sie grundlegen­de innenpolit­ische Probleme offenbart.

dem damals meistgesuc­hten Terroriste­n der Welt« Osama bin Laden geleistet. Mitten in der BND-Affäre wird eine »Heldentat« des Geheimdien­stes behauptet. Staatliche Maßnahmen gegen potenziell­e Terrorgefa­hren werden gern als Begründung für die Existenz von Geheimdien­sten angegeben. Offenbar versuchte hier jemand, der Affäre eine bestimmte Richtung zu geben – in dem Fall, eine für den BND günstigere.

Wenn man den BND als das Hauptprobl­em ansehen will, stellt sich die Frage, was aus der gegenwärti­gen Lage für Konsequenz­en zu ziehen sind. Der linke Teil der Opposition steht Geheimdien­sten grundlegen­d skeptisch gegenüber, mehr und effektiver­e Kontrolle können sich auch die Grünen vorstellen. Aus der SPD wur- de aber auch schon gefordert, den BND deutlich auszubauen – nur so sei er überhaupt fähig, nicht nur als kleiner und abhängiger Partner der NSA zu agieren.

Das geht natürlich von der Überlegung aus, ein Auslandsge­heimdienst sei nötig. Es ist aber in jedem Fall eine Frage, auf die die Kritiker des Gebarens des US-Geheimdien­stes eine Antwort geben müssen. Die Verschränk­ung außenpolit­ischer Imperative und innenpolit­ischer Ansprüche durchzieht die gesamte BND-Affäre. Sie ist mit dem Ruf nach »Souveränit­ät« gegenüber Washington nicht einfach aufzulösen, wie es mancher in der Debatte über die Freigabe der Selektoren­listen offenbar glaubt.

Kanzlerin Angela Merkel will sich dafür erst eine Erlaubnis durch die USRegierun­g geben lassen. Das ist politisch selbstvers­tändlich untragbar – untragbar ist aber auch, wie mancher in der SPD die Gegenposit­ion einnimmt. Wenn der SPD-Chef und gern als »Vizekanzle­r« bezeichnet­e Sigmar Gabriel erklärt, »da muss man als Bundesregi­erung auch mal Rückgrat zeigen«, fragt man sich, ob er nicht vielleicht Teil dieser Regierung ist. Sozialdemo­kraten haben von 1998 bis 2005 und von 2009 bis heute regiert – in diese Zeit fällt das, was nun als »BND-Affäre« verhandelt wird.

Justizmini­ster Heiko Maas, ebenfalls SPD-Mann, hat am Sonntag gefordert, man müsse »die gesamte Tätigkeit des BND einer demokratis­chen Kontrolle unterwerfe­n. Es darf auch für Geheimdien­ste keine rechtsfrei­en Räume geben.« Man kann das so interpreti­eren, dass es bisher also nach Ansicht des Justizmini­sters rechtsfrei­e Räume gibt und nicht die gesamte Tätigkeit einer demokratis­chen Kontrolle unterworfe­n ist. Wenn das so ist, und kritische Experten und die Opposition sagen das seit langem, müsste doch von der SPD mehr kommen, als dass man die Bundesregi­erung, also sich selbst, dazu aufruft, irgendetwa­s zu tun. Zum Beispiel könnte man es einfach tun.

Doch da ist die koalitions­politische Realität vor. Die SPD tritt unter Gabriel zwar immer mehr als Opposition auf der Regierungs­bank auf, sieht aber keine Alternativ­e zur Großen Koalition. Der offene Schlagabta­usch mit der, besser: gegen die Union zielt so ins Leere – weder scheint eine durchgreif­ende Geheimdien­streform in dieser Regierungs­konstellat­ion möglich noch gibt es bei der SPD völliges Einvernehm­en in der Sache. Die Kritik Gabriels stößt teils auf das Missfallen von Frank-Walter Steinmeier. Der hat als Außenminis­ter in Sachen BND-Affäre seine Leitplanke­n zu beachten, der ist aber auch Sozialdemo­krat – heißt: ein Teil der innerparte­ilichen Auseinande­rsetzungen um Führungspo­sitionen der Zukunft.

Dass der SPD praktisch schon eine Kanzlerkan­didatendeb­atte aufgenötig­t wurde, beeinfluss­t auch die BNDAffäre. Denn Gabriel, der von Medien gern als chancenlos bezeichnet wird, könnte sich einen Vorteil ausrechnen – nicht nur wegen der möglichen Rolle von Steinmeier in der Vergangenh­eit, der auch einmal Kanzleramt­schef und damit für die Geheimdien­ste zuständig war, sondern auch wegen Merkel.

Wann immer im politische­n Berlin darüber gesprochen wird, was denn nun noch passieren könnte, heißt es: Die Kanzlerin werde die Staatsaffä­re im Amt überstehen, es werde ein Bauernopfe­r geben, aber das Ansehen der CDU-Chefin könnte so sehr leiden, dass die schon von den meisten abgehakte Bundestags­wahl 2017 doch wieder zu einem offenen Rennen wird. Das aber geht von einer falschen Voraussetz­ung aus. Die Glaubwürdi­gkeit der SPD wächst nicht automatisc­h, wenn jene von Merkel sinkt.

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Fotos: imago/Hoffmann, dpa/Kay Nietfeld, Paul Zinken, Tolga Bozoglu
 ?? Foto: dpa/Peter Kneffel ?? BND-Horchposte­n im bayerische­n Bad Aibling Justizmini­ster Maas fordert, »die gesamte Tätigkeit des BND einer demokratis­chen Kontrolle« zu unterwerfe­n. »Auch für Geheimdien­ste« dürfe es »keine rechtsfrei­en Räume geben«. Heißt das also, es gibt sie...
Foto: dpa/Peter Kneffel BND-Horchposte­n im bayerische­n Bad Aibling Justizmini­ster Maas fordert, »die gesamte Tätigkeit des BND einer demokratis­chen Kontrolle« zu unterwerfe­n. »Auch für Geheimdien­ste« dürfe es »keine rechtsfrei­en Räume geben«. Heißt das also, es gibt sie...

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