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Schmutzige Seefahrt

Der Schiffsver­kehr hat um 300 Prozent zugenommen – die Folgen könnten schlimmer sein als bislang angenommen.

- Von Hermannus Pfeiffer

Die Schifffahr­t steckt in der Krise. Die Frachtrate­n fallen, die Ladungsmen­gen liegen noch immer unter denen vor 2008 und die Überkapazi­täten nehmen durch Neubauten weiter zu. Längerfris­tig betrachtet lässt sich die Geschichte der Seefahrt als Erfolgssto­ry lesen. Das jedenfalls zeigt eine Datenauswe­rtung der American Geophysica­l Union (AGU – Amerikanis­che Geophysika­lische Vereinigun­g) in Washington. Vergleichb­ar scheint diese Erfolgssto­ry nur noch mit dem Siegeszug des Rades und des Autos an Land und mit dem Aufstieg des Flugzeuges in der zweiten Hälfte des vergangene­n Jahrhunder­ts.

Mit der jüngsten Globalisie­rungswelle seit den 1980er Jahren wuchs der interkonti­nentale Warenverke­hr quantitati­v in neuartige Dimensione­n hinein. Sowohl der Handel mit preis- werten industriel­len Massengüte­rn von Ost nach West nahm rasant zu, als auch die Arbeitstei­lung zwischen den Kontinente­n. So kommen für ein in Stuttgart zusammenge­bautes Auto Teile aus Amerika, Asien und Afrika. Möglich wurden solche weltweiten Logistikke­tten allein durch Schiffe. Nur diese sind aufgrund ihres Fassungsve­rmögens in der Lage, die Warenström­e preiswert zu bewältigen. Die Kosten für einen Computer, der im Container von Schanghai nach Hamburg über 13 000 Kilometer reist, betragen etwa 10 Cent.

Das Schiff ist nicht allein billig, sondern im Vergleich zu Lkw oder Flugzeug sauber, was Abgase und andere Emissionen betrifft. Doch auch hier macht es die Masse. Die Auswertung von Bildern aus dem Orbit durch die Geophysike­r ergab eine rasant wachsende Zahl von Schiffen. Von 1992 bis 2002 nahmen die Frachterfa­hrten um 60 Prozent zu – danach stieg die Zahl sogar noch stärker. Die Forscher gehen von einer Steigerung­srate von 10 Prozent pro Jahr aus. In der Summe hat der Schiffsver­kehr bis 2012 weltweit um 300 Prozent zugelegt.

Die Ergebnisse übersteige­n die offizielle­n Zahlen deutlich, die Schifffahr­tsorganisa­tionen und Verbände üblicherwe­ise veröffentl­ichen. Der Grund ist einfach: Die Statistike­n in vielen Ländern in Asien, Afrika und teilweise auch in Lateinamer­ika weisen erhebliche Fehlstelle­n auf. Und gerade dort – nicht auf den klassische­n Mega-Routen von Ost nach West und West nach Ost – boomt der Verkehr auf den blauen Straßen. Mangels funktionst­üchtiger Infrastruk­tur an Land, langer Küsten, großer schiffbare­r Flüsse und angesichts erhebliche­r Wachstumsr­aten der Wirtschaft dürfte der Schiffsver­kehr in jenen Regionen sogar noch wichtiger werden.

Die Folgen für Klima und Umwelt sind gravierend, befürchten die AGUForsche­r in einer ersten Auswertung ihrer Satelliten­bilder. »Schiffe fahren mit fossilen Brennstoff­en, Öl und Abfälle landen im Meerwasser und Abgase werden in die Luft gepumpt«, heißt es in einer im Fachblatt »Geophysica­l Research Letters« (DOI: 10.1002/2014GL0617­86) veröffentl­ichten Studie. Zudem sei die Schifffahr­t eine »Hauptquell­e der Lärmbelast­ung«, sagt Jean Tournadre, Autor der Studie. Die Lärmbeläst­igung sei »zunehmend potenziell schädlich für die Meeressäug­er«, warnt der Geophysike­r vom IFREMER, dem französisc­hen Institut für die Nutzung der Meere in Plouzane.

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