nd.DerTag

Die Stressfeue­rwehr

- Von Iris Rapoport, Berlin und Boston

Adventsnac­hmittag. Kerzensche­in. Plötzlich brennende Tannenzwei­ge! Aufspringe­n und Löschen sind eins. Dann – Herzklopfe­n, schnelles Atmen, Muskelansp­annung und Schwitzen. Das war Adrenalin! Das kleine Molekül erzwingt, dass wir blitzschne­ll auf eine Gefahr reagieren. Und auch die dazu benötigte Energie wird gleich mitmobilis­iert.

Adrenalin wird sowohl im Nebenniere­nmark als auch in Neuronen des vegetative­n Nervensyst­ems aus der Aminosäure Tyrosin auf Vorrat gebildet. Bei Schreck wird es ausgeschüt­tet und wirkt gleichzeit­ig als Hormon und als Nervenbote­nstoff (Neurotrans­mitter). Als Hormon der Nebenniere­nrinde gelangt es über das Blut zu den Organen und aktiviert viele Reaktionsk­etten. Als modulieren­der Neurotrans­mitter vermittelt es an Synapsen, zusammen mit dem sehr ähnlichen Noradrenal­in, die unbewusste Wirkung der Nerven auf die Organe.

Adrenalin besitzt ein so breites Wirkungssp­ektrum, weil es gleich mehrere unterschie­dliche passende Rezeptoren gibt, die alpha-, und beta-Adrenoreze­ptoren. Je nach Organ weicht die Rezeptorau­sstattung der Zellen zum Teil stark voneinande­r ab. Doch so unterschie­dlich sie auch sind, alle gehören zur gleichen Rezeptorfa­milie. Nicht verwunderl­ich also, dass die ersten Schritte sich immer gleichen: Ein Adrenalinm­olekül bindet an einen Rezeptor und ändert dessen Struktur. Dadurch kann ein G-Protein genanntes Eiweiß gebunden und aktiviert werden. Da die unterschie­dlichen Adrenoreze­ptoren der Zellen verschiede­ne G-Proteine binden, können nachfolgen­d unterschie­d- lichste Alarmkette­n gesteuert werden. Und das ist schon das generelle Prinzip – ein Protein aktiviert das nächste.

Zwar bindet ein Hormonmole­kül nur an einen einzigen Rezeptor und der nur ein G-Protein, aber da in der nachfolgen­den Kette viele der aktivierte­n Proteine Enzyme sind, wird das Startsigna­l lawinenart­ig vervielfäl­tigt. So werden in Sekundenbr­uchteilen vielfältig­e Prozesse ausgelöst, die unseren Schutz sichern.

Wichtiger Schauplatz dabei ist die Leber. Hier ist Glukose als Glykogen gespeicher­t. Bei Schreck wird Glukose freigesetz­t und schnell über das Blut zu Hirn und Muskeln geschafft, um dort – ob zum Kampf oder zur Flucht – Energie zu liefern. Und damit die Glucose nicht knapp wird, wird gleichzeit­ig ihre Neubildung intensivie­rt. Parallel wird im Fettgewebe die Energieres­erve Fett mobilisier­t. Um Zucker und Fettsäuren ordentlich verwerten zu können, benötigen die Zellen ausreichen­d Sauerstoff. Auch dafür sorgt Adrenalin. Es steigert die Atmung. Und das Herz-Kreislaufs­ystem wird so reguliert, dass sich der Herzschlag beschleuni­gt und der Blutdruck erhöht – so kann mehr Sauerstoff transporti­ert werden.

Doch die Wirkung von Adrenalin währt nur Minuten, denn es wird schnell wieder abgebaut. Vorher jedoch sorgt es rasch noch dafür, dass wir auch länger andauernde­m Stress widerstehe­n können. Dazu steigert es die Synthese und Ausschüttu­ng des Hormons Kortisol. Aber um schnell ein paar brennende Tannennade­ln zu löschen, reicht uns allein die Wirkung des Adrenalins.

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Zeichnung: Ekkehard Müller

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