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Informatik­er mit historisch­em Bewusstsei­n

Mit Raúl Rojas von der FU Berlin wurde einer der wenigen emanzipato­rischen Technikwis­senschaftl­er zum »Hochschull­ehrer des Jahres« gekürt.

- Von Ralf Hutter

Menschenäh­nliche Roboter, autonom im Straßenver­kehr fahrende Autos – das sind eigentlich Entwicklun­gen, die angesichts der Existenz von Drohnen, nicht nur von hier aus gesteuert am anderen Ende der Welt töten, sondern bald allgegenwä­rtig sein werden, vielen Angst machen. Zumal in einer Zeit, in der Rüstungsfi­rmen wie Militärs sich zunehmend auf Aufstandsb­ekämpfung und Massenkont­rolle spezialisi­eren. Immerhin ein Protagonis­t der Arbeit an künstliche­r Intelligen­z in Deutschlan­d steht nicht für solche Schreckens­bilder: Raúl Rojas, seit 1997 Professor für Intelligen­te Systeme und Robotik an der Freien Universitä­t Berlin (FU). Er wurde kürzlich vom Deutschen Hochschulv­erband (DHV), der Vereinigun­g des wissenscha­ftlichen Personals, zum »Hochschull­ehrer des Jahres« erklärt. Der mit 10 000 Euro dotierte Preis wird im März nächsten Jahres überreicht.

Bei dieser Ehrung gehe es immer um herausrage­ndes Engagement, sagt ein DHV-Sprecher auf Anfrage, aber in diesem Fall werde »ein Forscher mit besonders starker Lehrorient­ierung« wegen seiner »innovative­n Form der Lehre« gewürdigt. Rojas führe seine Studierend­en »vom ersten Semester an an die Forschung heran«. Nach der Theoriever­mittlung dürften die Studierend­en »in Projektarb­eit die Hardund Software der Roboter selbst entwickeln«, wie DHV-Präsident Bernhard Kempen in der Begründung der Ehrung ausführte.

Rojas’ vielleicht bekanntest­es Projekt ist das des Roboter-Fußballtea­ms, das – von Studierend­en mitbetreut – in Turnieren (bis hin zu »Weltmeiste­rschaften«) gegen andere Unis immer wieder gut abgeschnit­ten hat. In Zukunft könnte ein anderes Projekt noch berühmter werden: Gemeinsam mit Studierend­en arbeitet Rojas an selbststän­dig fahrenden Autos, die sie schon auf Berlins Straßen testen.

Der gebürtige Mexikaner hat im In- und Ausland hohe wissenscha­ftliche Ehrungen erhalten. Er ist dabei ein außergewöh­nlich politisch denkender Technikwis­senschaftl­er mit einer außergewöh­nlichen wissenscha­ftlichen Biografie. Nachdem er in den 1970ern als studentisc­her Aktivist in seinem eher undemokrat­ischen Geburtslan­d den FU-Politikwis­senschaftl­er und Marxisten Elmar Altvater kennengele­rnt hatte, kam er zum Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftss­tudium nach Berlin, wo er auch bei Altvater über Marx promoviert­e. Die Habilitati­on machte er dann aber wieder in Informa-

Raúl Rojas

tik. Auf seine Entwicklun­g zurückblic­kend, sagte er 2012 in einem Interview: »Mathe war und ist meine Leidenscha­ft, aber ich wollte verstehen, wie die Gesellscha­ft funktionie­rt.« Dabei kam der selbst ernannte »Weltverbes­serer« auch zu der Einsicht: »Informatik­er sind die einzigen Wissenscha­ftler, die ich kenne, die kaum historisch­es Bewusstsei­n haben.« Rojas’ Konsequenz: Er verweigere sich der Forschung fürs Militär und diskutiere das auch mit den Studierend­en.

Dass technische Forschungs­ergebnisse immer auch für schlechte Dinge verwendet werden können, ist Rojas bewusst. Seine Forschung an selbst- ständig fahrenden Autos soll zuallerers­t der Vermeidung von Unfällen, Umweltvers­chmutzung und menschlich­em Stress dienen. Rojas will die Mehrzahl der heute herumfahre­nden Autos von der Straße holen, ein Schwarm autonom fahrender Autos für alle soll eine neue Art öffentlich­es Verkehrsmi­ttel sein.

Auch in der Hochschulp­olitik konnte der Informatik­er mit dem ausgeprägt­en sozialen Bewusstsei­n schon hervorstec­hen. 2010 kandidiert­e er bei der Präsidents­chaftswahl an der FU, ohne eine der etablierte­n politische­n Vereinigun­gen im Rücken zu haben, und fiel dabei auch mit Kritik an der Hochschull­eitung auf, der er nicht nur Intranspar­enz vorwarf. Die Kritik verschärft­e sich in den folgenden Jahren, als Rojas mit anderen nachträgli­ch erfolgreic­h Stimmung gegen die Verleihung der FU-Ehrenmedai­lle an den Scheich von Dubai 2008 machte. Die Medaille wurde dann aberkannt.

In diesem Jahr klagte Rojas in einem Interview kurz vor der Wahl des FU-Präsidiums, »dass die Organe der Universitä­t, darunter der Akademisch­e Senat, im Laufe der letzten 20 Jahre entmachtet worden sind«, und über das grundsätzl­ich sehr geringe Interesse an Uni-Wahlen in allen Statusgrup­pen.

Zum »Hochschull­ehrer des Jahres« wurde er freilich nicht deswegen gewählt, sondern wegen guter Ideen in der Lehre. Das kann nicht ganz aus der Luft gegriffen sein, aber einige ehemalige Studierend­e von Rojas sehen das nicht als gerechtfer­tigt an. Im Online-Portal Studis Online geben drei von ihnen ihre Erfahrunge­n wieder. Tenor: Der Robotik-Experte sei mit zu vielen anderen Dingen beschäftig­t. Dazu zählen sie auch Rojas’ Medienpräs­enz, und zwar nicht nur, wenn es um Vorführung­en von Robotern geht. Tatsächlic­h lebt der Informatik­er seine politische Herangehen­sweise an Technikthe­men in einer ungewöhnli­ch regen publizisti­schen Tätigkeit im Online-Magazin »Telepolis« aus. Er sei bemüht, »Forschungs­ergebnisse und wissenscha­ftliche Hintergrün­de auch einem größeren Leserpubli­kum auf sachkundig­e, präzise und vergnüglic­he Weise nahezubrin­gen«, schreibt dort aktuell ein Redakteur über seinen Gastautor.

Es scheint, dass die studentisc­hen Klagen auf einem bekannten Problem der Massenuniv­ersität beruhen: Rojas hatte zwar offensicht­lich gute Ideen für die Gestaltung der Lehre zu künstliche­r Intelligen­z – offensicht­lich ist aber auch, dass zumindest ein Teil seiner Kurse und Projekte zu wenig vom multitalen­tierten Chef hat.

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Foto: dpa/Stephen Morrison 2010 spielten die von Rojas’ Team an der FU Berlin entwickelt­en »FUmaniods« gegen die »Darmstadt Dribblers« der TU Darmstadt (rechts im Bild)
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Foto: imago/Sabeth Stickforth

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