Mittelschwaebische Nachrichten
Das Rätsel um 100 Jahre alte, exotische Speere
Jetzt sind zwei Speere aus Papua-Neuguinea in Günzburg aufgetaucht – nach fast 120 Jahren
Günzburg 31 und 45 Zentimeter lang sind die beiden mysteriösen Objekte, die auf einem weißen Tuch im Heimatmuseum liegen. Museumsleiter Raphael Gerhardt und Mitarbeiterin Julya Berzen, die für die Inventarisierung zuständig ist, stehen neben den Gegenständen und können sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Sie sind glücklich und überrascht zugleich, was sie da vor sich haben und in wenigen Tagen den Besuchern des Heimatmuseums in Günzburg präsentieren können. Es sind zwei Waffen, die so einige Fragen aufwerfen und zugleich eine interessante Entdeckung sind.
Alles fing damit an, dass Julya Berzen einen Karton in einem der vielen Räume des Museums entdeckte. Äußerlich nicht sonderlich auffällig, allenfalls ein bisschen verstaubt war der Karton. Auf der Außenseite war nur ein Wort geschrieben: Südseeobjekte.
Doch was soll das mit dem Günzburger Heimatmuseum zu tun haben? Ist der südliche Teil des Pazifischen Ozeans nicht etwas arg weit von der Großen Kreisstadt entfernt? Berzen öffnete den Karton, dann kamen zwei Objekte zum Vorschein, mit denen sie nicht gerechnet hätte. Und damit begann ihre spannende Arbeit.
Es gab keine Nummer, kein Infoblatt, keine Notiz, nichts. Nur die zwei Gegenstände lagen in dem Karton. Dass es sich um Waffen handelte, war Berzen auf den ersten Blick klar. Aber woher kamen sie? Und wie landeten sie in Günzburg? Diese und weitere Fragen galt es zu beantworten. Sie zeigte Museumsleiter Gerhardt ihren Fund, dann wurden die Objekte vermessen. 31 beziehungsweise 45 Zentimeter sind sie lang. Doch woher sie stammten, wusste keiner von ihnen. Selbst in der ältesten Archivliste aus dem Jahr 1923 war nichts von den zwei Waffen zu finden. Sie fragten beim Historischen Verein nach, doch weder Stefan Baisch noch Rudolf Kombosch konnte weiterhelfen. „Die beiden wissen sehr viel, wussten aber auch nichts mit den beiden Gegenständen anzufangen“, erzählt Berzen. Doch sie hatten einen Tipp: in alten Zeitungen stöbern, dort seien immer wieder neue Gegenstände aufgelistet worden.
Und tatsächlich. In einem Zeitungsausschnitt des Günz- und Mindelboten von 1902 wurde die Museumsmitarbeiterin fündig. „Großartige Schenkungen machte der Sammlung auch Herr Constantin Müller aus Ottobeuren, nämlich Geräte von Neu-Mexico, Samoa, Hawaii und den Salomon-Inseln.“Müller war ein Apotheker, das könnte also passen. „Vielleicht war er auf einer Forschungsreise auf den Admiralitätsinseln“, mutmaßt Berzen. Museumsleiter Raphael Gerhardt bringt weitere Möglichkeiten ins Spiel: Vielleicht war es ein Geschenk von einem Bekannten, vielleicht war er gar als Soldat im Einsatz. Das Rätsel ist noch nicht komplett gelöst, aber es kam etwas Licht ins Dunkle.
Zudem wandte sich Berzen an das Südseemuseum in Obergünzburg und erhielt dort die so sehnlichst erwarteten Infos. Das größere etwa 45 Zentimeter lange Objekt sei definitiv eine Speerspitze aus dem 19. Jahrhundert – und zwar von den Admiralitätsinseln, die zum fast neun Millionen Einwohner zählenden Inselstaat Papua-Neuguinea nördlich von Australien gehören. Das sei aufgrund des auffälligen Musters samt Bemalung eindeutig. Diese Art von Speer sei allerdings nie für den Kampf hergestellt worden, sondern eine Art Souvenir. Es wurde an Europäer verkauft, denn damals waren die Admiralitätsinseln bis zum Ende des Ersten Weltkriegs eine deutsche Kolonie.
Das zweite und mit 31 Zentimetern Länge deutlich kleinere Objekt sei vermutlich auch die Spitze eines Speers, so die Museumsmitarbeiterin. Es könnte allerdings auch ein Dolch sein. Besonders auffällig sei der Holzgriff, der Berzen an einen Menschen erinnere – mit Augen, Nase, Mund und Ohren. Obwohl bei beiden Gegenständen ein Teil am Griff fehlt, seien sie für ihr Alter in sehr gutem Zustand. Die Spitzen bestehen aus vulkanischem Gesteinsglas, aus Obsidian. Das ist sehr gut zu bearbeiten und war deshalb bereits in der Steinzeit als Werkzeug oder Waffe geschätzt. Die Spitzen der Speere sind mit Pech mit dem Holzgriff verklebt, zudem sind sie mit feinen Schnüren umwickelt.
Das Heimatmuseum hat sich dazu entschlossen, die beiden Objekte zu behalten. Zwar habe Günzburg mit der Südsee nichts zu tun, aber die Geschichte hinter den Gegenständen sei einfach spannend. „Der Historische Verein wurde 1902 gegründet, und in diesem Jahr kamen auch die Speere nach Günzburg. Es gibt nicht viele Objekte, die seit 119 Jahren im Besitz des Vereins sind“, sagt Julya Berzen. Die neu entdeckten Objekte sollen bereits ab Samstag für die Besucherinnen und Besucher ausgestellt werden, die Vorbereitungen laufen dafür. Wirken die Speerspitzen besser stehend oder liegend? Wie werden sie beleuchtet? Welche Infos werden den Gästen wie präsentiert? Diese Fragen werden in den nächsten Tagen beantwortet, dann ist das Heimatmuseum um eine Attraktion reicher.
Dass die Speerspitzen in dem Karton überhaupt entdeckt worden sind, hängt mit der Inventarisierung des Museums zusammen, die im Oktober 2019 begann. Etwa 10.000 Objekte gibt es, nicht alle sind mit einer Nummer oder Infos versehen. Berzen hat bislang etwa 6000 Gegenstände in Günzburg begutachtet, etwa 4000 davon waren inventarisiert. „Jetzt kommen die schwierigeren Objekte, wo wir nicht so viel wissen und oft nachforschen müssen“, sagt die Museumsmitarbeiterin. Bei manchen Dingen wüssten sie und Museumsleiter Gerhardt zunächst nicht, was sie überhaupt darstellen.
Die beiden erinnern sich an eine historische Wärmflasche und fangen an zu lachen. Bei anderen Objekten wiederum suchen sie nach geeigneteren Standorten als das Heimatmuseum Günzburg. „Wir stehen in regem Austausch mit vielen anderen Museen und bieten manche Gegenstände dort an. Und wir erhalten manchmal auch Objekte, die zu uns passen“, sagt Gerhardt. Am Dienstag beispielsweise haben sie Kleidung aus dem späten 19. Jahrhundert erhalten, die aus Günzburg stammt. Und manchmal gibt es eben auch überraschende Funde – so wie die exotischen Speere aus PapuaNeuguinea.