Mittelschwaebische Nachrichten
Industrie reagiert kühl auf Klimaschutzpläne
Die EU-Vorschläge für den Kampf gegen die Erderwärmung haben massive Auswirkungen auf die Unternehmen in Deutschland. Vor allem Industriebetriebe fürchten die Verdrängung auf dem Weltmarkt
Berlin Es ist ein entschiedenes „Ja, aber“das aus den Reihen der deutschen Industrie schallt. Ja, die Pläne der Europäischen Union zum Klimaschutz sind notwendig und wir unterstützen die Ziele. Aber, wenn das wirklich 1:1 umgesetzt wird, fegt uns die Konkurrenz aus Asien und Amerika von den Märkten. Exemplarisch steht dafür die deutsche Leitindustrie. „Es fehlt an einer Abwägung“, moniert die Chefin des Autoverbandes VDA, Hildegard Müller. Die frühere Merkel-Vertraute verlangt, das ökonomische Folgen (Pleiten) und soziale Auswirkungen (Stellenabbau) beim radikalen Senken des Ausstoßes von Treibhausgasen stärker berücksichtigt werden müssten.
Müllers Sorgenfalten kommen nicht von ungefähr. Was die EUKommission auf den Tisch gelegt hat, bedeutet einen Epochenwechsel. Spätestens 2035 dürfen keine Neuwagen mehr verkauft werden, die mit Sprit aus Erdöl fahren. Das klingt noch weit weg, aber selbst die Zwischenschritte sind sportlich. Heute dürfen die Neuwagen im Schnitt noch 95 Gramm Kohlendioxid je Kilometer in die Luft blasen. Im Jahre 2030 weniger als halb so viel. Das können die Fahrzeughersteller nur erreichen, wenn sie viele Elektro-Autos verkaufen, die kein CO2 ausstoßen. Deren Nullwert können die Konzerne mit den Benzinund Dieselmodellen verrechnen. Der Verbrenner-Motor steht damit nicht unbedingt vor dem Aus. Wenn es gelingt zu bezahlbaren Bedingungen umweltfreundlichen Öko-Sprit herzustellen, gibt es ihn weiter. Die Autobauer wie BMW, Audi, Opel und Daimler haben bereits reagiert und werden sich schon bald vom klassischen Benzin- und Dieselmotor verabschieden.
Bei Audi, dem größten Autobauer in der Region, ist man nicht überrascht. Im Juni hat die VW-Tochter ihren Plan für den Umstieg in die E-Mobilität bekannt gegeben: Bis 2033 soll die Produktion von Verbrennern „nach und nach auslaufen“. In vier Jahren startet die Produktion des letzten komplett neu entwickelten Verbrenner-Modells von Audi. Ab 2026 will man nur noch neue Modelle auf den Weltmarkt bringen, die rein elektrisch angetrieben sind. Ein Unternehmenssprecher sagte, man eile mit dieser Transformation den von der EU geplanten Regelungen voraus.
Gleichzeitig gewinne Audi mit der frühzeitigen Entscheidung für ein konkretes Ausstiegsdatum die nötige Zeit. Die Vorschläge der EU seien „ambitioniert“. Es kommt wiederholt die Forderung: „Entsprechend ist es wichtig, dass der Fokus nun ganz klar auf dem Ausbau der Ladeinfrastruktur und dem Ausbau erneuerbarer Energien liegt.“
Die Großen werden den Wandel schaffen, in Gefahr sind die Mittleren und Kleinen. Unternehmen, die jetzt Teile für die Motoren liefern. „Die Auswirkungen für die Arbeitsplätze in diesem Bereich werden erheblich sein“, warnt Müller. Jürgen Weiss, geschäftsführender Gesellschafter der Weiss Kunststoffverarbeitung in Illertissen, leitet so einen Betrieb. Er warnt ebenfalls: „Wenn das Verbot des Verbrennermotors wirklich kommt, werden massiv Arbeitsplätze in Gefahr sein. Das trifft die ganze Lieferkette und vor allem die Zulieferer. Für Elektroautos braucht man einfach weniger Teile und es darf ja auch nichts teurer werden.“
Andererseits entstehen gerade auch neue Stellen in der Batterieherstellung für all die E-Autos, die bald auf den Straßen fahren sollen. Die Wissenschaftler sind sich uneins, welche Entwicklung stärker ist. Es gibt Studien, die kommen zu dem Schluss, dass mehr neue Stellen entstehen als wegfallen und es gibt Studien, die kommen zu dem gegenteiligen Ergebnis. Müller ist pragmatisch: „Ich denke nicht, dass in zehn Jahren alle pleite sind. Aber man muss rechtzeitig in neue Technologien wie Medizintechnik oder Elektromobilität reinkommen. Manche Politiker, etwa die Grünen, sagen, die Leute müssen dann eben woanders arbeiten. Das ist einfach gesagt, aber nicht so einfach umgesetzt.“
Dieser Wandel wird damit auch zu einer großen Herausforderung für den stark von der Zulieferindustrie geprägten Industriestandort Schwaben. Matthias Köppel, Leiter der Standortpolitik der IHK Schwaben, sagt: „Das Aus für Autos mit Diesel- und Benzinmotoren wäre für diese Unternehmen eine Zäsur. Doch überraschend kommt solch eine Nachricht für niemanden mehr. Der Umstieg auf alternative Antriebe läuft seit mehreren Jahren: Die Zulieferer in der Region investieren massiv, um den Strukturwandel zu meistern.“Nun komme es darauf an, dass die Firmen auf dem Weltmarkt nicht benachteiligt werden. Das sieht auch Weiss, wenngleich er sehr skeptisch ist: „Bei Klimazöllen bin ich skeptisch: Es wird immer Ausnahmen geben oder es kommt zu einem neuen Handelskrieg.“
Noch radikaler als die Autoindustrie werden die Stahlhütten ihre Produktion umbauen müssen, um
Koks durch grünen Wasserstoff zu ersetzen. Grüner Wasserstoff wird aus Ökostrom erzeugt. Er kann dann für die Eisengewinnung eingesetzt werden. Die Schwierigkeit dabei ist, dass es bislang nur wenig grünen Wasserstoff gibt und er die Produktion deutlich verteuert. Um 30 bis 40 Prozent schätzt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).
Damit die Stahlerzeuger tatsächlich auf Wasserstoff umrüsten, will die Kommission die Daumenschrauben anziehen. Sie plant, die Menge der Luftverschmutzungszertifikate deutlich zu reduzieren. Weil in der Europäischen Union schon heute die Umweltvorgaben für die Hüttenwerke strenger sind als anderswo, bekommen die Hersteller einen Teil der Zertifikate gratis und müssen sie nicht zukaufen. Damit sollen sie im globalen Wettbewerb eine Chance haben. Die Zahl der Gratis-Zertifikate wird aber nach den Vorstellungen aus Brüssel eingedampft. „In der Folge drohen Verluste von Produktion, Wertschöpfung und Arbeitsplätzen“, sagt der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff. So wie den Stahlherstellern könnte es auch anderen Unternehmen gehen, die viel Energie brauchen. Zement- und Glaswerke zählen dazu, Aluschmelzen und Papierfabriken.
Es ist an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), die Unternehmen zu beruhigen. Er verspricht, sich bei den Verhandlungen über das Klimapaket zwischen Kommission, Mitgliedstaaten und EU-Parlament dafür einzusetzen, dass weiter Luftverschmutzungsrechte gratis zugeteilt werden, bis ein Schutzschild für die Industrie geschmiedet ist.
Dieser Schutzschild ist der sogenannte Klimazoll. Stahl aus Russland oder Alu aus Amerika wird mit einem Aufschlag belegt, wenn die Metalle nicht so umweltfreundlich produziert sind wie in der EU. Das Problem: Die Handelspartner könnten den Klimazoll als unfreundlichen Akt bewerten und Gegenzölle verhängen. Ein Handelskrieg könnte die Folge sein. Außerdem kann der Klimazoll nicht verhindern, dass der Export von Stahl aus Europa teurer wird. Damit die Unternehmen den Wandel schaffen können, sagt Altmaier Investitionshilfen und Zuschüsse zu. „Das alles ist notwendig, damit am Ende nicht aus einem guten Ansatz die Verlagerung von Industriearbeitsplätzen (…) folgt“, meint der Minister.