Mittelschwaebische Nachrichten
„Eine Depression ist keine Stimmungsschwankung“
Die kürzeren Tage, aber auch Corona setzen oft der Psyche zu. Viele Menschen fühlen sich bedrückt. Welche Alarmzeichen es gibt, die auf eine behandlungsbedürftige Erkrankung hinweisen, und wer besonders gefährdet ist
Viele Menschen fühlen sich jetzt in den Wintermonaten, aber auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie seelisch gedrückt und nicht wenige fürchten, an einer Depression erkrankt zu sein. Herr Professor Hasan, Sie sind der Ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses Augsburg. Ab wann ist der Gang zum Arzt wichtig, da eine Depression vorliegen könnte?
Einmal bedrückt zu sein, in einem Tief zu sein, ist grundsätzlich eine gesunde Emotion. Wir haben diese Emotion alle und wir benötigen sie für unsere psychische Gesundheit. Schließlich gibt es auch Anlässe, die traurig machen. Beispielsweise wenn ein Mensch stirbt, der einem nahegestanden ist. Klinisch relevant wird es, wenn dieses seelische Tief über einen bestimmten Zeitraum anhält. Die Regel lautet hier etwa zwei Wochen. Und wenn das Tief Alltagsfunktionen beeinflusst.
Professor Alkomiet Hasan:
Was heißt das konkret?
Wenn ich zum Beispiel nicht mehr arbeiten kann, wenn ich mich zurückziehe, meine Freunde nicht mehr treffen kann und will, wenn ich meinen partnerschaftlichen Verpflichtungen nicht mehr nachgehe, dann wird das seelische Tief alltagsrelevant. Wenn es dann noch länger anhält, dann wird es gefährlich. In der klinischen Praxis schaut man sich aber noch mehr an, denn das Empfinden eines seelischen Tiefs ist ja nur ein Aspekt, der auf eine Depression hinweisen kann. Oft treten Kombinationen von Symptomen auf. Betroffene sind oft antriebslos, kommen also beispielsweise morgens gar nicht mehr aus dem Bett. Auch Interesselosigkeit kann ein Symptom für eine Depression sein und Freudlosigkeit. Das sind die Hauptsymptome. Es gibt aber noch viele Nebensymptome. Kraftlosigkeit etwa, Müdigkeit, eine verminderte sexuelle Lust, Appetitverlust oder Ein- und Durchschlafstörungen.
Hasan:
Es müssen also mehrere Symptome zusammenkommen, damit man von einer Depression sprechen kann?
So ist es. Und je mehr Symptome beobachtet werden, desto wahrscheinlicher liegt eine klinisch manifeste Depression vor. Die Abgrenzung von einem Tief zur Depression lässt sich also an drei Merkmalen festmachen: die Dauer des Tiefs, die Beeinträchtigung im alltäglichen Handeln und die Kombinationsvielfalt der Symptome. Das bedrückte Gefühl allein, der Blues allein reicht in der Regel nicht für eine Depression. Wichtig ist auch zu wissen: Eine Depression ist keine Schwarz-Weiß-Kategorie, wir sprechen von einem Kontinuum. Es gibt
Hasan:
nicht den Tag, an dem ein Mensch depressiv ist, es ist ein schleichender Prozess.
Nehmen Depressionen in der Pandemie denn zu?
Das ist schwierig zu beantworten. Ich glaube nicht, dass die Zahl der Erkrankten generell zunimmt. Was wir allerdings beobachten, ist, dass viele Patienten zum ersten Mal den Weg in die Psychiatrie oder in die Psychotherapie finden, die vorher dort noch nie waren. Man muss wissen, dass Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, oft einen wiederkehrenden Krankheitsverlauf haben, also öfter behandelt werden. In diesen Wochen kommen aber viele Menschen zum ersten Mal in die Psychiatrie und Psychotherapie, die vor dem Hintergrund der allgemeinen immens starken psychosozialen Belastungsfaktoren rund um Covid-19 eine Depression entwickelt haben. Denn Auslöser einer Depression sind oft umweltbedingte Belastungsfaktoren wie eben jetzt die Covid-19-Pandemie.
Hasan:
Wo gehe ich hin, wenn ich befürchte, an einer Depression erkrankt zu sein?
Der erste Ansprechpartner ist immer der Hausarzt. Also wenn ich mir zum Beispiel nicht sicher
Hasan:
bin, ob ich an einem Blues leide oder an einer Depression, dann sollte man als Erstes den Hausarzt aufsuchen. Wenn allerdings eine schwere Depression vorliegt, dann darf sich niemand scheuen, eine Notfallsprechstunde oder eine psychiatrisch-psychotherapeutische Notaufnahme anzusteuern.
Viele fürchten sicher vor dem Hintergrund von Corona, wo immer wieder gemeldet wird, dass die Kliniken und ihr Personal am Limit arbeiten, mit psychischen Problemen zu kommen.
Das kann aber bei einer schweren Depression eine Entscheidung zwischen Leben und Tod sein. Eine Depression ist keine Wohlstandserkrankung und auch keine Stimmungsschwankung. Eine Depression ist eine ernst zu nehmende, behandlungsbedürftige Erkrankung. Und eine Depression kann auch gut behandelt werden. Nur, je länger man wartet, desto schwieriger wird es. Wer mit einer schweren Depression in die Notaufnahme kommt, muss akutpsychiatrisch versorgt werden. Er hat ein Recht auf eine Behandlung. Aus diesem Grund haben viele Kliniken – wie wir an der Universitätsmedizin in Augsburg auch – eine Notaufnahme für Psychiatrie und Psychotherapie.
Hasan:
Denn wir Ärzte haben nur in wenigen Fällen die Möglichkeit, Patienten zu Hause zu besuchen oder ihnen prompt eine Online-Behandlung anbieten zu können.
Viele fürchten aber vielleicht, gleich in der Klinik bleiben zu müssen. Wie sieht die Behandlung von Depressionen aus?
Die meisten Depressionen können gut ambulant behandelt werden. Auch hier muss man wieder zwischen dem Schweregrad der Depression unterscheiden: Leichte Depressionen werden in der Regel mit Psychotherapien behandelt, mittelgradige mit Psychotherapien und eventuell Medikamenten und schwere Depressionen mit einer Kombination aus Medikamenten und Psychotherapien. Antidepressiva sind im Übrigen Medikamente, die nicht abhängig machen, die nicht die Persönlichkeit verändern und die man auch nicht ein Leben lang einnehmen muss.
Hasan:
Gibt es auch neue Therapieansätze?
Ja, in der Behandlung von Depressionen gibt es immer wieder Fortschritte. In der Behandlung mit Medikamenten ist beispielsweise Ketamin zu nennen. Aber auch die Psychotherapien werden immer spezifischer. Außerdem haben wir in
Hasan:
der Behandlung von Depressionen neu auch Neurostimulationsverfahren, in denen zum Beispiel mit Magnetimpulsen Gehirnareale wieder aktiviert werden, die aufgrund der Erkrankung herunterreguliert wurden. Die Behandlung von Depressionen wird immer besser, sie ist eine Erfolgsgeschichte.
Die Deutsche Depressionshilfe warnt davor, dass vor allem bei älteren Menschen bezüglich Depressionen eine alarmierende Informationslücke klafft und die Selbstmordrate hier sehr hoch sei. Sehen Sie das auch so?
Ja, die Älteren waren schon immer eine Risikogruppe. Und durch Corona verschlechtert sich sogar noch ihre Situation. Hier müssen wir wirklich alle aufpassen und uns kümmern. Denn es bricht im Alter doch ohnehin häufig das soziale Netz aus der Arbeit weg, Freunde versterben, dann stirbt vielleicht noch der Partner und jetzt durch Covid-19 verstärkt sich noch einmal die Isolation. Hinzu kommt: Viele Ältere sind bei weitem nicht so digital wie Jüngere und sie sind auch oft nicht mehr so mobil. Außerdem gehören Ältere zur Risikogruppe für Covid-19, die Gefahr sich zu infizieren, ist für sie auch noch größer.
Hasan:
Die Älteren nur mit Lebensmitteln zu versorgen, reicht also nicht.
Nein. Hier sollte einfach öfter zum Telefonhörer gegriffen werden, auch altmodisch zum Briefschreiben. Und wenn man merkt, dass die älteren Menschen auch beim längeren Klingeln nicht ans Telefon gehen, wenn sie erklären, keine Lust zum Telefonieren zu haben, dann sind das Alarmzeichen. Wichtig ist auch zu wissen: Bei alten Menschen sind die Symptome einer Depression schwerer zu erkennen.
Hasan:
Inwiefern?
Hasan: