Mittelschwaebische Nachrichten
BKHGeiselnehmer muss lange hinter Gitter
Einer der Männer, die im September 2019 aus der Forensik in Günzburg geflohen waren, ist zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Im Prozess gibt es Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen des BKH
Memmingen/Günzburg Bundesweit hatte der Ausbruch zweier Straftäter aus der forensischen Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus (BKH) Günzburg vor mehr als einem Jahr für Aufsehen gesorgt. Sogar über die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“war nach den beiden gesucht worden. Im Januar schließlich konnten Zielfahnder des Bayerischen Landeskriminalamts (LKA) einen der beiden Ausbrecher in Spanien verhaften. Nun muss der Mann für lange Zeit hinter Gitter. Das Landgericht Memmingen verurteilte ihn am Montag zu einer Haftstrafe von siebeneinhalb Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Überraschend kam das Urteil nicht, der Ablauf der Tat war unstrittig. Aufnahmen von Überwachungskameras und Zeugenaussagen belegten, dass der 28-jährige Alexander G. und der immer noch flüchtige Ruslan Tsopa in der Nacht des 23. September 2019 mit Hilfe eines selbst gebastelten Messers eine junge Pflegerin überwältigten. Mit dem Schlüssel der Frau öffneten sie die Türen und brachten an der Sicherheitsschleuse den Pförtner dazu, diese zu öffnen. Der gesamte Ausbruch dauerte nur etwa 90 Sekunden. Dennoch leiden der Pförtner und die Pflegerin seither unter dem Geschehenen. Am letzten Verhandlungstag musste die junge Frau, die nicht mehr im BKH arbeitet, noch einmal vor Gericht aussagen. Zuletzt war bekannt geworden, dass sie dem Angeklagten Briefe geschrieben hatte. Unter Tränen schilderte die 21-Jährige, dass sie unter einer Psychose gelitten und durch die Briefe versucht habe, das Erlebte zu verarbeiten. Eine Beziehung zum Angeklagten oder gar Mittäterschaft habe es aber nicht gegeben.
Die Zeugin machte deutlich, dass nicht nur die Geiselnahme an sich, sondern auch die Arbeit im BKH ihr stark zugesetzt hätten. Viele Kollegen hätten die Patienten dort nur als Kriminelle gesehen. Sie habe ihnen aber helfen wollen. „Dabei habe ich den Bezug zur Realität verloren“, sagt die junge Frau schluchzend. Auch bemängelt sie, dass mehrfach geäußerte Sicherheitsbedenken von der Einrichtung nicht ernst genommen worden seien – etwa die Größe der Kostklappen in den Türen, durch die die Ausbrecher erst hatten entkommen können.
Staatsanwalt Bernhard Ging stellte sich in seinem Schlussplädoyer hinter das BKH. „Ich wehre mich gegen die Darstellung, das BKH hätte eine Mitschuld an der Tat. Täter ist der Geiselnehmer selbst.“Dennoch müsse man sich fragen lassen, wie ein Ausbruch in dieser Geschwindigkeit möglich gewesen sei.
An der Schuld G.s ändere das aber nichts. Ein Psychiater hatte zwar eine schwere dissoziative Persönlichkeitsstörung bei dem 28-Jährigen diagnostiziert, ihn aber als voll schuldfähig eingestuft. Auch die Drogensucht, wegen der G. im BKH in Günzburg gelandet war, habe bei der Tat keine Rolle gespielt. Eine erneute Unterbringung in der Psychiatrie schied daher aus. Staatsanwalt Ging forderte eine Haftstrafe von zehn Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung. Aus heutiger Sicht sei nach der Entlassung mit erneuten schweren Straftaten zu rechnen.
Verteidiger Michael Haizmann bezeichnete diese Einschätzung als „Musik von morgen“. Man könne nicht voraussagen, wie sein Mandant sich entwickle und ob er erneute Straftaten begehen würde. Zudem spiele das BKH bei der Tat durchaus eine Rolle. Neben den Sicherheitsmängeln verwies Haizmann auch auf die Behandlung G.s. „Er wurde von vornherein als kritischer Patient gesehen und entsprechend behandelt. So hatte er schon nach kurzer Zeit das Gefühl: In diesem Haus habe ich keine Chance.“
Was die Tat selbst angeht, so kommt Haizmann zu einer ganz anderen rechtlichen Einschätzung als die Staatsanwaltschaft. Man könne, so der Rechtsanwalt, gar nicht von einer Geiselnahme sprechen, da der Straftatbestand nicht erfüllt sei. Vielmehr gehe er von einer einfachen Nötigung aus. Seine Forderung: elf Monate Haft.
Darauf ließ sich die Strafkammer aber nicht ein. Es handle sich klar um eine Geiselnahme, erklärte der Vorsitzende Richter Christian Liebhart in seiner Urteilsbegründung. Seit seiner Kindheit sei der Angeklagte immer wieder durch Straftaten aufgefallen, hatte sich weder von Gefängnis noch von Maßregelvollzug beeindrucken lassen. Die hohe Rückfallgeschwindigkeit, die schwer therapierbare seelische Störung und die erheblichen Vorstrafen führten letztlich zu der hohen Strafe. „Ich empfehle Ihnen, die Zeit zu nutzen und eine Sozialtherapie zu machen“, sagte Liebhart zum Schluss. „Nur so können Sie Ihre Chance auf Freiheit wahren.“Nach der Haft wird zunächst geprüft, ob die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung noch gegeben sind. Erst wenn diese Prüfung entsprechend ausfällt, greift die Sicherungsverwahrung. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.