Mittelschwaebische Nachrichten
Uns wurde auf den Rücken ein großes „PG“gemalt
Georg Bader, Vöhringen
Ende April 1945:
Müde und hungrig erreichten wir den Flugplatz von Neuburg an der Donau. Wir waren circa 20 Soldaten, zusammengewürfelt aus verschiedenen Einheiten. Zusammen mit unserem Zugführer, einem etwas älteren Feldwebel mit schwäbischem Dialekt, verkrochen wir uns in den Bombentrichtern des mir schon bekannten Flugplatzes.
Kurioserweise sollte ich hier, an dem Ort, an dem ich meine erste Uniform hatte anziehen müssen, meine „militärische Laufbahn“wieder beenden. Schon bald, als wir uns niedergelassen hatten, kam ein Melder von irgendwo her und brachte unserem Zugführer einen Zettel. Dieser informierte uns über den Inhalt, der von irgendeiner Kommandostelle kam: Wir sollten gegen das mit Panzern besetzte Neuburg einen Gegenangriff machen. Wir hatten aber nur Gewehre und einige Panzerfäuste zur Vernichtung feindlicher Panzer im „Nahkampf“. Gott sei Dank hatten wir aber einen klugen schwäbischen Feldwebel. Er führte uns an den Stadtrand hinter eine Hecke und sagte, wir sollen uns ruhig verhalten und nicht schießen, egal, was kommt.
Und schon bald kamen sie, die amerikanischen Panzer, circa fünf fuhren auf der Straße in einer Reihe.
Sie sahen uns nicht und fuhren weiter. Bei Einbruch der Dunkelheit zogen wir uns zurück in ein Bauernanwesen. Dort wurden wir gut aufgenommen und bekamen endlich was zu trinken. Danach gingen wir in die Scheune und legten uns ins Heu zum Schlafen.
Mein Nebenmann fragte mich, woher ich käme. Als ich ihm sagte, dass ich aus Vöhringen stamme, sagte er mir, dass seine Schwester in Dornried bei Illerrieden wohne und er sich heute Nacht dahin auf den Weg machen möchte. Natürlich wollte ich mit ihm gehen, und wir vereinbarten, dass wir nur kurz schlafen und dann losziehen würden. Aber wir waren beide so müde, dass wir nicht aufwach- ten. Als es hell wurde, ging das Scheunentor auf: Einige ameri- kanische Soldaten kamen herein, die Maschinenpistolen im Anschlag und schrien herum. Ein auf dem Hof beschäftigter polnischer Arbeiter hatte die Amerikaner zur Scheune geführt. Wir mussten uns mit erhobenen Händen in einer Reihe aufstellen und unsere Gewehre auf die Straße werfen. Ein Panzer walzte sie zu Schrott. Die GIs nahmen uns alles ab: Messer, Scheren, Armbanduhren und Ringe… Einen Tag und eine Nacht wurden wir in einen Kartoffelkeller eingesperrt und anschließend ging es in das berüchtigte große Gefangenenlager nach Heilbronn.
In Kriegsgefangenschaft:
Es war dunkel und es regnete in Strömen, als wir in Heilbronn ankamen. Am Eingangstor bekam jeder ein Päckchen Knäckebrote und eine kleine Dose Erdnussbutter. Nach dem Verzehr legten wir uns ins nasse Gras und schliefen.
Am nächsten Morgen, als es hell wurde, sahen wir, so weit unser Auge reichte, nur hohe Stangen, Stacheldraht und Wachtürme. Ein Mann neben mir stand nicht auf, und da sah ich, dass er sich mit der Kante einer Blechdose die Pulsader durchgeschnitten hatte und tot war. Er war schon etwas älter und konnte die trostlose Situation nicht mehr ertragen. Als wir nach Toiletten suchten, entdeckten wir einen Graben mit einer Stange davor, den sogenannten Donnerbalken. Aber man kann sich daran gewöhnen. Das merkte ich in den folgenden vier bis fünf Monaten. Am schlimmsten war der Hunger …
Ende Mai wurden einige Berufsgruppen zur Entlassung aufgerufen: Eisenbahnbeamte, Bauern, Verwaltungsangestellte und alle über 50 Jahre. Ich dachte, nachdem meine Berufsgruppe (Maschinenschlosser) die Nummer 37 hatte, würde es bestimmt noch sehr lange dauern, bis ich an die Reihe käme. Ende August wurden dann zehn Berufsgruppen „entlassen“, darunter auch meine. Wir wurden in Zehnerreihen nebeneinander zum Bahnhof Heilbronn getrieben und in geschlossene Güterwagen gepfercht.
Wir hätten gerne gewusst, wo wir hingefahren wurden, bekamen aber keine Auskunft. Die Optimisten meinten, dass wir aufs Land zum Ernteeinsatz kommen. Aber da hatten wir uns getäuscht.
In Mons wurden wir ausgeladen und von den Amerikanern an belgische Soldaten übergeben, die uns in die Kohlebergwerke von Charleroi brachten. Wir wurden in großen Baracken zu je 100 Mann untergebracht. Nach zwei Tagen mussten wir dann arbeiten. Ein uralter klappriger Förderkorb brachte uns 700 Meter unter die Erde. Vor der Einfahrt bekam jeder von uns seine sehr schwere runde Akkulampe um den Hals gehängt und einen alten Lederhelm auf den Kopf. Auf den Rücken wurde uns ein großes „PG“gemalt. PG stand für „prisonnier de guerre“, Kriegsgefangener. Bei der Arbeitseinteilung hatte ich mal wieder großes Glück. Ein 18-jähriger langer, schlaksiger Junge und ich wurden als Helfer beim Vortreiben eines zwei Meter hohen Stollens (Querschlag) zwei belgischen Arbeitern zugeteilt… Wir konnten im Stehen arbeiten …