Mittelschwaebische Nachrichten
Wohin geht die Reise?
Standort Dass Audi tausende Stellen abbaut, hat niemanden mehr überrascht. Ingolstadt und der Autobauer haben die besten Jahre hinter sich. Im Niedergang befindet sich die Stadt dennoch nicht. Es gibt einige Projekte, die neues Wachstum versprechen
Ingolstadt Auf dem Ingolstädter Christkindlmarkt ist man auch in der „Hundebäckerei“durchaus zufrieden. Der Nikolauskopf für 3,50 Euro („100 Prozent natürlich, mit Liebe gemacht, glutenfrei) ist besonders nachgefragt. Nicht nur an diesem Stand läuft es. Der Ingolstädter gönnt sich und seinem Haustier in diesen Tagen gerne noch etwas Gutes. Sollte die Audi-Stadt schwierige Zeiten durchmachen, auf dem Christkindlmarkt ist davon wenig zu spüren. Hoch auf dem Dach des nahen Theaters steht in Knallrot der Slogan „Das Herz der Stadt“. Wenn das hier irgendwo sein sollte, schlägt es wieder ruhiger.
Dabei gab es zuletzt schon Gründe für erhöhten Puls. Den man mit einem Glühwein hätte in den Griff kriegen können. Oder sich die Gegenwart mit einem zweiten oder dritten Glas etwas aufhübschen. Erst eine gute Woche ist es her, dass Audi offiziell verkündete, was sich zuvor schon aus den seit Monaten wabernden Gerüchten verdichtet hatte: 9500 Stellen werden bis 2025 im Ingolstädter Stammwerk und in Neckarsulm abgebaut. Zwar werden auch 2000 neue Jobs geschaffen, Milliarden-Investitionen für die E-Modell-Offensive gemacht und die Arbeitsplatzgarantie für die Stammbelegschaft bis 2029 ausgeweitet. Aber der Boom ist endgültig vorbei. Das hatte sich zwar schon in den vergangenen Jahren abgezeichnet. Jetzt aber ist es quasi amtlich.
Und damit ist man, was die Ingolstädter Befindlichkeit dieser Tage betrifft, vielleicht am Wendepunkt angelangt. Ob die Strategie „Konsequent Audi“oder der Pakt „Zukunft.Audi“genannt wurden, seine Verkündung vergangene Woche war die Festschreibung des Erwarteten. Der hausgemachte Abgasskandal, die Misere mit dem Abgastest WLTP, der Strukturwandel der Branche, dazu die weltweit sinkende Nachfrage – Probleme gibt es genug. So weit, so bekannt.
In einer für ihren Pizzaleberkäs besonders geschätzten InnenstadtMetzgerei sagt eine Verkäuferin es so: Der Stellenabbau war ja ein „offenes Geheimnis“. Nun ist es gelüftet und allen klar: Es hätte auch schlimmer kommen können. Jetzt aber weiß man, wie der größte Arbeitgeber der Region plant, kann sich zumindest ein bisschen um Weihnachten kümmern und das nächste Jahr angehen. Sei es nun, weil man tatsächlich an eine Wende glaubt. Oder eher aus Zweckoptimismus heraus: Nützt ja nix. Muss weitergehen. Irgendwie.
Aber vielleicht verheißt 2020 mehr Aufbruch als das von Audi als „anspruchsvolles Übergangsjahr“titulierte 2019. Denn schon in den vergangenen, schwierigen Jahren hat Audi einiges angestoßen, um irgendwann vielleicht wieder zu alten Rekorden aufschließen zu können. Die Stadt tut vieles, um weniger abhängig von Audi zu werden. Und dann ist da ja auch noch ein zweiter großer Arbeitgeber in der Region. Der heißt Airbus und stellt seit Jahren mehr und mehr Leute ein.
Auf der Eisbahn vor dem Neuen Schloss, die früher immer von Audi gesponsert war, bringt eine Mutter gerade ihrem Kind das Schlittschuhlaufen bei. Die Kunst sei, erklärt sie dem Kleinen in Schneehosen, die Balance zu halten. Gerade in der Kurve.
Um die zu bekommen, gibt es verschiedene Strategien, Initiativen, Projekte und Ideen im Großraum Ingolstadt. Ob aus allem was wird, muss sich noch zeigen, angeschoben aber wurde vieles.
Zentral für Audi ist natürlich die E-Modell-Offensive. Bis 2025 soll das Portfolio der VW-Tochter bereits mehr als 30 Modelle mit Elektroantrieb zählen, darunter 20 rein elektrische. Kann das funktionieren? Erreicht man damit die Massen, das „Volumen“, wie die Autobauer gerne sagen? Christian Endisch ist zuversichtlich. Was ihm in seinem Beruf hilft, denn der Mann leitet an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) das Institut für Innovative Mobilität. Die THI expandiert und soll sich zum Knotenpunkt für Künstliche Intelligenz (KI) und autonomes Fahren entwickeln.
Endisch ist an der Hochschule Forschungsprofessor für Elektromobilität und Lernfähige Systeme. Mit dem „Werkzeugkästle“der Künstlichen Intelligenz, wie er das nennt, erforschen und entwickeln er und seine Mitarbeiter die E-Autos der Zukunft, von der Einzelzelle bis hin zum Elektromotor, auch für Audi. Mit lernfähigen Algorithmen machen sie zum Beispiel die für die Elektro-Autos so elementaren Batterien besser.
Für seine Arbeit wurden er und sein Team heuer von der THI mit dem „Innovationspreis Forschung“ausgezeichnet. Auf die Frage, ob seiner Ansicht nach der E-Mobilität denn tatsächlich die Zukunft gehört, sagt Endisch: „Ja klar.“Warum? „Weil Energieträger und Leistungselektronik diese mit den heutigen Technologien ermöglichen.“Und er ist überzeugt, dass die Kunden, wenn sie sich erst mal einen Stromer gekauft hätten, den alten Verbrenner kaum mehr vermissen würden. Wer schon beispielsweise mit einem kleinen E-Auto gefahren sei und die „sofortige Drehmomententfaltung“beim Gasgeben gespürt habe, der wolle das danach immer. Und das Reichweitenproblem würde sich relativieren – weil die Kunden zunehmend akzeptieren, zwar kürzer mit
Auto, dafür aber umweltbewusst unterwegs zu sein. Was ist mit den hohen Preisen für E-Autos? Die würden der Markt und die Konkurrenz regulieren. Und die von der Bundesregierung zuletzt beschlossenen Subventionen für den Kauf von elektrischen Wagen, die seien im internationalen Vergleich doch niedrig. Und ist er bei so viel Elan fürs Produkt denn selbst schon elektrisch unterwegs? „Nein“, sagt Endisch. Denn noch seien auch ihm die Modelle zu teuer. Aber die Garage daheim hat er schon mit dicken Stromkabeln aufgerüstet. Als Nächstes komme die Photovoltaikanlage auf das Dach, dann sei alles bereit für das erste private E-Auto im Hause Endisch. Welches, wisse er auch noch nicht, nur dass es eines „Made in Germany“sein werde.
Vielleicht sogar aus Ingolstadt. Das Stammwerk bekommt zwar auch E-Modelle, allerdings dauert das. Ziemlich weit dagegen sind die Arbeiten beim IN Campus. Wenn man in Ingolstadt nach Zukunft sucht, ist man hier richtig. Auf der Industriebrache der alten BayernoilRaffinerie sollen in den nächsten Jahren auf 75 Hektar die Arbeitsplätze von morgen entstehen. Es geht um Jobs in der Entwicklung, in der Forschung, um Jobs in einer digitalen Welt. Dort soll der Platz „für Mut und neues Denken“sein, wie es IN-Campus-Geschäftsführer Thomas Vogel bei der Grundsteinlegung für das Hochtechnologie-Zentrum im Mai beschrieb. Ob ein paar der von Audi versprochenen neuen Stellen hier geschaffen werden? Die Konzernmutter VW hat zum Beispiel jüngst eine neue Software-Einheit gegründet. In dieser „Car.Software-Organisation“sollen bis 2025 mehr als 10 000 Digitalexperten „die Software im Fahrzeug, die digitalen Ökosysteme sowie kundennahe Funktionen im Handel entwickeln“. Auch der „Raum Ingolstadt“soll einer von mehreren Standorten dieser Einheit sein. Vielleicht auch der IN Campus? Mit dem sogenannten „Projekthaus“, das im ersten Bauabschnitt gerade entsteht und diese Woche bereits so ausschaut, als könnte es im kommenden Jahr bezogen werden. Auf Anfrage wollte ein VW-Sprecher das nicht kommentieren.
Wer auch immer da einzieht, er wird aus den sechs Stockwerken zum nahen Audi-Sportpark blicken können. Hier spielen die Schanzer Fußball. Vor zwei Jahren noch in der Bundesliga, inzwischen drittklassig. Auch die Gewerbesteuereinnahmen sind nicht mehr so top. An diesem Donnerstag steht im Ineinem golstädter Stadtrat die Haushaltsdebatte an. Vergangenes Jahr hatte der städtische Kämmerer noch rund 120 Millionen Euro verbucht. Für das laufende Jahr sind rund 63 Millionen Euro angesetzt. Zum Vergleich: 2013, als Audi noch auf Rekordkurs fuhr, waren es rund 245 Millionen Euro. 2020 allerdings, so die Schätzung, könnten es wieder rund 100 Millionen Euro werden.
Und vielleicht kommen mehr Gewerbesteuereinnahmen künftig auch aus der Luft. Denn viel Hoffnung verbinden Ingolstadt und die Region mit der „Urban Air Mobility Initiative“. Trotz der Konkurrenz zu Frankreich, wo in Toulouse etwas Vergleichbares aufgezogen werden soll. In Sachen Flugtaxis aber gab es diese Woche eine Erfolgsmeldung aus Donauwörth. Denn der CityAirbus, das Flugtaxi von Airbus Helicopters, hat dort seine ersten Probeflüge erfolgreich absolviert. Autonom, ohne Pilot, nur mit einem Stahlseil gesichert. Demnächst soll es am Flugplatz Manching ausgiebig getestet und zu einem Prototypen entwickelt werden. Auch das brigkAir,
Eine Modelloffensive für E-Autos
Airbus geht es gut und das macht der Stadt Hoffnung
ein Außenstandort des Digitalen Gründerzentrums brigk, wird dort in der Nähe sein. Zu sehen davon ist am Feilenmoos, beim Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle der Bundeswehr, allerdings noch wenig. Einen Hangar gibt es schon, aber das Projekt ist noch im Werden. Künftig sollen dort Start-ups zum Beispiel ihre Drohnen testen können und so helfen, Hochtechnologie in die Region zu bringen.
Auf eine Art weniger luftig ist da die Perspektive, die Airbus Defence and Space der Region bietet. Dem Standort in Manching geht es gut. Und die Bundeswehr will in den nächsten Jahren 90 Kampfflugzeuge vom Typ Tornado ersetzen. Um den Auftrag konkurrieren Airbus und der amerikanische Konkurrent Boeing. Der Eurofighter gegen den F-18-Kampfjet also. Ausgang noch offen. Außerdem will die Bundeswehr ältere Eurofighter-Modelle ersetzen. Auch von diesem Auftrag könnte die Region profitieren. Ein Airbus-Sprecher fasst das so zusammen: „Der größte Hoffnungsträger der Region ist der Eurofighter.“
Bei beiden Großaufträgen hofft man auf die Unterstützung der Bundesregierung. Wie auch – ganz generell –, wenn es um Anschubfinanzierung für Hochtechnologie geht. Mit einem Bittbrief hatten sich IG Metall, die Stadt Ingolstadt sowie die beiden Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Audi und von Airbus zuletzt an die Bundeskanzlerin gewandt. Bisher aber ohne Resonanz.
Für einen Teil der Audianer liegt die Zukunft künftig auf der Schiene. Denn direkt am Stammwerk wurde Anfang der Woche mit großem Tamtam der dritte Ingolstädter Bahnhof eingeweiht. Selbst wenn künftig ein paar tausend Audianer weniger ins Werk pendeln werden – bei Schichtwechsel können die verstopften Straßen jede Entlastung vertragen. Erst recht, wenn es Audi wieder besser geht.