Mittelschwaebische Nachrichten
Schwerer Schlag für deutsche Regierungskritiker
Urteil Nach Attac verliert auch die Organisation Campact die Gemeinnützigkeit. Opposition kritisiert Finanzminister Scholz
Berlin/Bremen Nach dem globalisierungskritischen „Attac“-Bündnis hat jetzt auch die Politikkampagnen-Organisation Campact ihren Status als gemeinnütziger Verein verloren. Das habe das Berliner Finanzamt für Körperschaften dem Verein mitgeteilt, berichtete die Organisation. Zur Begründung hieß es, Campact sei überwiegend allgemeinpolitisch tätig gewesen und habe Kampagnen zu Themen durchgeführt, die keinem gemeinnützigen Zweck der Abgabenordnung zugeordnet werden könnten.
Die Behörde reagierte damit auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs. Das oberste deutsche Finanzgericht hatte im Februar am Beispiel von „Attac“entschieden, dass tagespolitische Kampagnen nicht gemeinnützig seien. Dadurch können Spender ihre Überweisungen nicht mehr von der Steuer absetzen, und auch die Organisationen selber verlieren Steuervorteile.
Campact-Vorstand Felix Kolb nannte die Aberkennung einen „Fußtritt“und ein fatales Zeichen: „In Zeiten, wo hunderttausende Menschen mit Campact für Klimaschutz und gegen Rechts auf der Straße streiten, wird deren Engagement als nicht gemeinnützig abgewertet und entwürdigt.“Nach dem „Attac“-Urteil hatte „Campact“bereits vorsorglich keine Spendenbescheinigungen mehr ausgestellt. Inzwischen hat die Organisation eine gemeinnützige Demokratie-Stiftung gegründet, die weiterhin Spendenbescheinigungen ausstellen kann. Die Stiftung könne Ideen und Themen des Vereins unterstützen und zum Beispiel Kongresse finanzieren.
Seit 2004 organisiert Campact Kampagnen unter anderem gegen Steuerflucht, Gentechnik oder das Freihandelsabkommen TTIP. Bekannt ist Campact für öffentlichkeitswirksame Aktionen im Regierungsviertel, für die der Verein teilweise Profidarsteller verpflichtete.
Die Grünen und Linken kritisieren die Entscheidung scharf. „Hier geht es um keine reine steuerrechtliche Frage, sondern darum, wer darf eigentlich an der politischen Willensbildung in Deutschland mitwirken“, sagte die Grünen-Rechtsexpertin Manuela Rottmann unserer Redaktion. „Wir haben hier dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf.“Auch der Linken-Finanzexperte Jörg Cezanne kritisierte SPD-Finanzminister Olaf Scholz. „Das Bundesfinanzministerium kündigt schon seit Monaten eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts an, aber bislang passiert nichts“, sagt Cezanne „Mit seinem Aussitzen nimmt Bundesfinanzminister Scholz ganz bewusst in Kauf, dass nach Attac nun auch Campact und zukünftig wohl noch viele andere politisch engagierte Vereine offiziell für nicht gemeinnützig erklärt werden“, warnte der Abgeordnete. „Damit trägt Scholz die politische Verantwortung, dass die Arbeit der kritischen Zivilgesellschaft empfindlich behindert wird.“
Die Grünen-Politikerin Rottman verwies auf die Signalwirkung: „Gerade in Zeiten, wo zivilgesellschaftliches Engagement in vielen Ländern wie Russland oder Polen unter Druck steht, muss die Bundesregierung auch in Deutschland ein Zeichen setzen, und nicht nur Entwicklungen im Ausland kritisieren.
Es gehe bei der Frage auch um ein machtpolitisches Gleichgewicht: „Politisch sehr einflussreiche Organisationen wie der Verband der Automobilindustrie und andere Wirtschaftsverbände profitieren davon, dass Unternehmen ihre Mitgliedsbeiträge von der Steuer absetzen können“, sagte Rottmann. Auch der Bund der Steuerzahler profitiere als gemeinnütziger Verein steuerlich. „Wir brauchen deshalb ein bundesweites Transparenzregister, denn heute hat niemand einen Überblick, welche Vereine und Organisationen in Deutschland überhaupt als gemeinnützig anerkannt sind“, sagte die Grüne.