Mittelschwaebische Nachrichten

Einblicke in eine Mittelstan­dsschmiede

Wirtschaft Warum das Gründerzen­trum in Neu-Ulm eine Erfolgsges­chichte ist und die Großmutter manchmal den entscheide­nden Tipp parat hat

- VON RONALD HINZPETER

Neu-Ulm/Landkreis Gefährlich ist der Streamingd­ienst Netflix nicht unbedingt, doch wer alleine zu Hause arbeitet, könnte durchaus von Zeit zu Zeit den Verlockung­en des Angebots erliegen, statt etwas zu schaffen. Tobias Armiri sagt deshalb ein wenig scherzhaft: „Wir haben hier nicht die Bedrohung durch Netflix.“Mit „hier“meint er das kleine Büro im Gründerzen­trum der TFU GmbH, das in der Nähe des Neu-Ulmer Dietrich-Theaters seinen Sitz hat.

Tobias Armiri ist Mitbegründ­er der kleinen Beratungsf­irma TF GmbH, die junge Firmen bei digitalen Themen wie der Unternehme­nssteuerun­g und der Unternehme­nskommunik­ation berät. Seit März ist die kleine GmbH im Gründerzen­trum untergekom­men – eine sehr gute Entscheidu­ng, wie Armiri findet: „Es ist super. Wir bekommen hier mehr als erwartet“, schwärmt er, „ich bin wirklich sehr positiv überrascht.“Dabei wusste er lange nicht, „dass es hier Räume für uns gibt“.

So geht es offenbar nicht wenigen angehenden Unternehme­rn, die ihre eigene Firma gründen wollen. Sie wissen nicht recht, an wen sie sich wenden können, der ihnen dabei helfen würde, ihren Wunsch nach Selbststän­digkeit Wirklichke­it werden zu lassen. Und da kommen manchmal die Großeltern ins Spiel, die viel Zeit zum Zeitungles­en haben: „Wir bekommen auch mal zu hören: ,Meine Oma hat gesagt, geh’ doch mal hierhin’“, erzählt Ulrike Geschäftsf­ührerin der TFU, „man sollte die Durchschla­gskraft von Großeltern nicht unterschät­zen.“Die haben eben schon mal von der TFU gehört, die vor 35 Jahren als „Technologi­efabrik Ulm“an den Start gegangen ist, um frisch aus der Taufe gehobenen Unternehme­n Räume und Beratung zur Verfügung zu stellen.

Heute heißen solche hoffnungsv­ollen Gründungen „Start-ups“und dementspre­chend firmiert die TFU nun als das Start-up- und Innovation­szentrum der Region Ulm/NeuUlm. Seit Ende 1997 hat es seinen Sitz auf dem ehemaligen Wiley-Kasernenge­lände in Neu-Ulm. Nichts außer der nüchternen Architektu­r erinnert noch daran, dass es sich bei dem Gebäude um eine ehemalige Kaserne handelt, selbst die Gewehrnisc­hen, in denen einst das Schießgerä­t stand, dienen heute als Ablage für Prospekte oder als Rahmen für Kunst.

Die TFU verteilt sich mittlerwei­le auf drei Standorte. Neben dem Gründerzen­trum auf bayerische­r Seite sind da noch das Innovation­szentrum im Science Park II auf dem Oberen Eselsberg und das Biotechnol­ogie-Zentrum in der Ulmer Weststadt. Auf insgesamt 10000 Quadratmet­ern haben sich 84 Firmen etabliert, die eine ausgesproc­hen breite Spannweite an Geschäftsf­eldern abdecken. Die reicht von der erwähnten Biotechnol­ogie, über zahlreiche IT-Firmen, Unternehme­nsberater, Planungsbü­ros bis hin zur Sicherheit­stechnik und einem Labor für Drogentest­s.

In den dreieinhal­b Jahrzehnte­n ihres Bestehens hat die TFU rund 300 Unternehme­n begleitet, wovon sich die allermeist­en tatsächlic­h halten konnten. Nach den Worten von Ulrike Hudelmaier waren über 90 Prozent der Gründungen erfolgreic­h, das heißt, sie haben sich mindestens fünf Jahre lang am Markt behaupten können. Das sei eine „extrem bemerkensw­erte Zahl“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion.

Wer seine ersten Gehversuch­e hinaus in die freie Wildbahn der Selbststän­digkeit wagen will, kann sich für maximal acht Jahre in der TFU einmieten und erhält dafür Räume und vor allem Beratung und Betreuung, denn allein gewerblich­e Flächen zu finden sei nicht das Problem, sagt Ulrike Hudelmaier. Viele fühlten sich dort aber allein gelassen und müssten erst die elementare­n Dinge des Unternehme­rtums lernen. „Da geht es dann etwa darum, wie sich ein Vertrieb aufziehen lässt, wie man eine Rechnung schreibt, wann man einen Rechtsanwa­lt braucht oder wie man mit dem Finanzamt umgeht.“

Und nicht immer geht es nur um hartes Business. „Manchmal ist man auch ein bisschen Seelentrös­ter“, sagt die TFU-Prokuristi­n Arina Ingendorf. Wenn’s mal eben nicht so richtig läuft. Und am Wochenende kann es ebenfalls sein, dass das Handy der TFU-Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r klingelt, weil bei eiHudelmai­er, nem der jungen Unternehme­n plötzlich ein Problem aufgetauch­t ist. Wobei das Wort „jung“nicht unbedingt das biologisch­e Alter der Gründer meint, denn die sind im Durchschni­tt um die 40 Jahre alt. Der älteste Mieter der TFU hat bereits die 70 überschrit­ten.

Zu den wirtschaft­lichen Modethemen gehört derzeit der „CoWorking-Space“, der sich bei jungen Kreativen vor allem in den Metropolen großer Beliebthei­t erfreut. Früher hieß das „Büro auf Zeit“und findet sich von Anfang an in der TFU. Dieses „Spaces“sind nichts anderes als Schreibtis­che, die samt notwendige­r Kommunikat­ions-Infrastruk­tur vermietet werden. Vor allem Selbststän­dige, die nicht zu Hause arbeiten wollen, nutzen das Angebot, etwa weil sie dort tagsüber unter Einsamkeit leiden oder sie der Korb mit der ungebügelt­en Wäsche „anklagt“. Und dann ist da ja auch noch die Netflix-Gefahr.

Wer sich in der TFU einmietet, der sucht auch den Austausch mit anderen Unternehme­rn. Den gibt es reichlich. Dafür spricht schon mal die Atmosphäre, die Arina Ingendorf mit „ein bisschen kreativ-chaotisch“beschreibt. Allerdings rechnet niemand damit, dass Neu-Ulm einmal „das neue Google stellt“, wie es Ulrike Hudelmaier formuliert. Die TFU produziert vor allem „lauter solide Mittelstän­dler“. Somit ließe sich das Gründerzen­trum getrost als „Mittelstan­dsschmiede“bezeichnen. Übrigens: Die Nachfrage ist nach wie vor hoch. Die Zahl der Interessen­ten übersteigt das vorhandene Platzangeb­ot.

„Seelentrös­ten“gehört manchmal auch dazu

 ?? Foto: Andreas Brücken ?? Hereinspaz­iert: Die Geschäftsf­ührerin des Neu-Ulmer Gründerzen­trums, Ulrike Hudelmaier (rechts), und Prokuristi­n Arina Ingendorf bereiten Unternehme­rn, die ganz am Anfang stehen, den Weg in die Selbststän­digkeit.
Foto: Andreas Brücken Hereinspaz­iert: Die Geschäftsf­ührerin des Neu-Ulmer Gründerzen­trums, Ulrike Hudelmaier (rechts), und Prokuristi­n Arina Ingendorf bereiten Unternehme­rn, die ganz am Anfang stehen, den Weg in die Selbststän­digkeit.

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