Mittelschwaebische Nachrichten
Hier zu viele, dort zu wenige Besucher
Tourismus Ein neues Zentrum an der Hochschule Kempten soll unter anderem erforschen, wie Besucherströme besser zu lenken sind. Im Vorfeld gab es Streit um die Finanzierung
Kempten/München Schloss Neuschwanstein im Ostallgäu quillt in manchen Monaten über vor Besuchern. München mit den Attraktionen Hofbräuhaus und Oktoberfest sowieso. Dagegen verirrt sich kaum ein Urlauber nach Oberkotzau in Oberfranken oder nach Schweinspoint in Nordschwaben. Bayern ist mit rund 40 Millionen Gästeankünften und über 100 Millionen Übernachtungen pro Jahr die Tourismusregion Nummer eins in Deutschland. Aber die Besucherströme innerhalb des Freistaates sind ungleich verteilt.
Doch wie mit „Übertourimus“und „Untertourismus“umgehen? Das ist nur eine der vielen Fragen, die sich Tourismus-Strategen heute stellen. Antworten sollen zwei wissenschaftliche Einrichtungen geben, die sich an die Hochschule Kempten anlehnen und die 2019 gegründet werden: ein Wissenstransferzentrum in Füssen und – als Leuchtturm – das Bayerische Zentrum für Tourismus, das Kompetenzen landesweit zusammenführen und Perspektiven für diesen Wirtschaftszweig entwickeln soll. Für Letzteres fiel vor kurzem der offizielle Startschuss: Im bayerischen Wirtschaftsministerium wurde ein Trägerverein aus der Taufe gehoben. Mitglieder sind neben der Hochschule auch die Allgäu GmbH (ein Zusammenschluss von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Region), der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband, der Bayerische HeilbäderVerband, die Bayern Tourismus GmbH, der Bayerische Industrieund Handelstag sowie die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Geleitet wird das Tourismuszentrum von Professor Dr. Alfred Bauer, Dekan der Fakultät Tourismus der Hochschule Kempten.
Starten soll das neue Institut Mitte des Jahres. Dieser Termin stand jedoch einige Zeit auf der Kippe. Denn im Herbst 2018 äußerte die Hochschule Kempten mit Blick auf die Finanzierung und die Laufzeit der staatlichen Förderung lautstark Zweifel an der Umsetzbarkeit des Vorhabens. Muss die Hochschule doch zehn Prozent der jährlichen Kosten von einer Million Euro selbst aufbringen. Dieser Eigenanteil soll nun durch die Mitgliedsbeiträge an den Trägerverein sowie personelle Unterstützung einfließen. Gelöst ist auch die Frage der Laufzeit, die aus Sicht der Hochschule für mehrere Jahre garantiert sein muss, um qualifizierte Mitarbeiter anstellen zu können.
Bei der Vertragsunterzeichnung sagte Bayerns Wirtschaftsstaatssekretär Roland Weigert: „Bayern muss langfristig Vorreiter und Trendsetter im Tourismus bleiben.“Deshalb soll das neue Tourismuszentrum jene bayerischen Hochschulen vernetzen, die Tourismus-Fakultäten haben, Fachveranstaltungen und Kongresse organisieren, positive Tourismus-Beispiele vorstellen oder die Digitalisierung in der Branche vorantreiben.
Anders die Zielsetzung für das ebenfalls ab 2019 geplante Wissenstransferzentrum in Füssen, das vor Ort konkrete Tourismusstrategien entwickeln soll – etwa zu Fragen der Mobilität oder Auswirkungen des Klimawandels. Hier sind 2,7 Millionen Euro Anschubfinanzierung für fünf Jahre angesetzt. Zudem sollen erhebliche Eigenmittel fließen.
In Füssen sollen zudem Lenkungsmechanismen für Besucher erarbeitet werden, damit Schloss Neuschwanstein und der Königswinkel in den Sommermonaten nicht von Urlaubermassen erdrückt wird und im Gegenzug vielleicht der eine oder andere Gast doch noch neugierig wird auf Oberkotzau oder Schweinspoint.