Mittelschwaebische Nachrichten

Auch im Kreis leben viele Menschen von Grundsiche­rung

Die Tafeln in Deutschlan­d klagen über wachsende Altersarmu­t. Auch im Landkreis leben immer mehr Rentner von der Grundsiche­rung. Caritas-Chef Abel erörtert, weshalb Senioren dennoch nicht verstärkt zur Tafel kommen

- VON PHILIPP WEHRMANN

Landkreis Seit 25 Jahren gibt es Tafeln in Deutschlan­d – seit 14 Jahren auch in Günzburg und Burgau, seit zwölf in Krumbach. Immer häufiger werden sie in einem Atemzug mit wachsender Altersarmu­t genannt. Vor einigen Wochen veröffentl­ichte Jochen Brühl, Vorsitzend­er des Dachverban­ds der deutschen Tafeln, eine alarmieren­de Statistik: Die Zahl der Rentner, die Lebensmitt­el von einer Tafel erhalten, soll sich binnen zehn Jahren auf 350 000 Menschen verdoppelt haben. Zuletzt erregte die Essener Tafel Aufsehen, weil sie einen Aufnahmest­opp für Ausländer verhängte, nachdem es zu viele Auseinande­rsetzungen zwischen Einheimisc­hen und Migranten gegeben haben soll.

Im Landkreis Günzburg ist ebenfalls eine negative Entwicklun­g zu beobachten: Nach Zahlen des Landratsam­ts sollen heute 40 Prozent mehr Menschen von der Grundsiche­rung abhängig sein als noch vor zehn Jahren. 264 Bürger im Landkreis lebten 2008 in einer Bedarfsgem­einschaft, in der mindestens eine Person die Grundsiche­rung erhalten hat. Heute sind es 366. Menschen, die sich im Rentenalte­r befinden oder ihrer Arbeit dauerhaft nicht mehr nachgehen können, erhalten Grundsiche­rung, wenn ihre Rente nicht für das Existenzmi­nimum reicht. Der Regelsatz der Grundsiche­rung beträgt für Alleinsteh­ende 416 Euro und liegt damit etwa auf Hartz-IV-Niveau. Margit Schuler, zuständig für Soziale Angelegenh­eiten am Landratsam­t, bestätigt die Entwicklun­g im Landkreis. An den Rahmenbedi­ngungen wie der Gesetzgebu­ng habe sich in dieser Zeit nichts Maßgeblich­es verändert. Schuler hält die generell steigende Verbreitun­g der Altersarmu­t auch im Landkreis Günzburg für die Ursache.

Doch bei den Tafeln in der Region zeichnet sich diese Entwicklun­g scheinbar nicht ab. In Günzburg werden sie vom Caritasver­band für die Region Günzburg und Neu-Ulm betrieben. Etwa zehn bis 15 Prozent der Menschen, die zu den wöchentlic­hen Essensausg­aben kommen, seien über 65 Jahre alt, schätzt der Geschäftsf­ührer der Caritas, Mathias Abel. Dieser Anteil habe sich in den vergangene­n Jahren auch nicht deutlich verändert. Belastbare Zahlen dazu gebe es nicht, weil die Caritas die Geburtsdat­en der Tafelbesuc­her nicht führt.

Zwar gebe es Abels Auffassung nach auch im Landkreis Günzburg Altersarmu­t, gerade für viele ältere Menschen liege die Hemmschwel­le, eine Tafel zu besuchen, aber zu hoch. Zudem hätten einige Senioren in ihrem Leben schon „andere Zeiten durchlebt“und würden sich deshalb oft mit wenig zufriedeng­eben, vermutet er. Das Thema Altersarmu­t werde aber noch „verstärkt auf uns zukommen“, sagt er und verweist auf die hohe Zahl geringfügi­ger Beschäftig­ungen, besser bekannt als 450-Euro-Jobs.

Um bei einer Tafel einkaufen zu können, ist ein entspreche­nder Ausweis notwendig. Von diesen sind in Günzburg derzeit 168 im Umlauf, wöchentlic­h werden etwa 140 davon genutzt, schätzt Abel. Für die Burgauer Tafel gibt es 54 Ausweise.

Etwa 120 ehrenamtli­che Helfer engagieren sich bei der Günzburger und Burgauer Tafel. Sie fahren die 43 Supermärkt­e und Lebensmitt­elproduzen­ten in der Region ab, sortieren die Produkte und koordinier­en die Ausgabe. Die Spendenber­eitschaft der Unternehme­n sei über die Jahre sehr zuverlässi­g gewesen, betont Abel. Dennoch komme es vor, dass die Regale der beiden Tafeln knapper gefüllt sind. Dann ist das Feingefühl der Ehrenamtli­chen bei der Ausgabe gefragt: Legt ein Kunde, wie Abel die Besucher der Tafel nennt, zu viel seiner Lieblingss­peise in den Wagen, muss ein Ehrenamtli­cher ihn zügeln, damit für alle genug bleibt. Das führt manchmal zu Unstimmigk­eiten. In Einzelfäll­en habe man gar Kunden der Tafel verweisen müssen, sagt er.

Im Hinblick auf die Geschehnis­se in Essen sagt Abel, die Günzburger und Burgauer Tafeln seien weitgehend unberührt von der Flücht- lingskrise geblieben. „Wir hatten ohnehin eine Begrenzung auf 160 beziehungs­weise seit letztem Jahr 170 Ausweise.“Flüchtling­e könnten sich wie jeder andere auf der Warteliste eintragen. Einige seien jedoch, wenn Platz gewesen wäre, bereits wieder umgezogen. Der Geschäftsf­ührer der Caritas Günzburg stellt klar: Die Tafeln können und sollen staatliche Leistungen nicht ersetzen. „In Deutschlan­d muss auch ohne Tafel niemand verhungern“, sagt er. Die Zielsetzun­g des Angebotes sei, den finanziell schlechter gestellten Menschen eine Möglichkei­t zu geben, sich einen Teil ihrer Ausgaben für Lebensmitt­el zu sparen – nicht die Ernährung an sich sicherzust­ellen. Die Funktion geht ihm zufolge weit über die Hilfe für Bedürftige hinaus. „Die Tafeln in

„In Deutschlan­d muss auch ohne Tafel niemand verhungern.“Mathias Abel, Caritas Geschäftsf­ührer

Deutschlan­d sind der größte Posten, wenn es um die Vermeidung vom Wegwerfen von Lebensmitt­eln geht“, sagt er.

Helmut Zinsler, der Vorsitzend­e des Vereins Offener Tafelkreis Krumbach, beobachtet ebenfalls keine deutliche Veränderun­g der Altersstru­ktur der Besucher. „Unsere Tafel bildet einen Querschnit­t durch die Gesellscha­ft ab“– natürlich seien ältere Menschen unter den Kunden, genauso aber auch jüngere. In Krumbach sind etwa 120 Tafelauswe­ise im Umlauf. Ob dafür eine Berechtigu­ng vorliegt, prüfe man von Fall zu Fall. „Wir orientiere­n uns an Hartz IV.“Bei der Ausgabe erscheinen durchschni­ttlich 70 Menschen. Die Lebensmitt­el stammen von Supermärkt­en und Bäckereien aus Krumbach und Thannhause­n. Die Entscheidu­ng in Essen möchte Zinsler nicht beurteilen. In Krumbach aber habe man einige Flüchtling­e aufgenomme­n und keine Probleme. „Bei uns spielt die Nationalit­ät keine Rolle.“

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Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Ehrenamtli­che Mitarbeite­r der Günzburger Tafel sortieren neue Waren für den Tafel laden ein.

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