Mittelschwaebische Nachrichten
Eine Marine ohne Meer, aber mit Flagge
Fahnen und andere Merkwürdigkeiten
Bolivien ist ein Staat ohne jeglichen Zugang zum Meer. Dessen ungeachtet hält sich das Land in den Anden eine Marine. Sie ist – ohne Marineinfanterie – 1800 See-Soldaten stark und patrouilliert unverdrossen auf dem 3800 Meter hoch gelegenen Titicacasee und den größeren Flüssen. Die eigentliche Aufgabe dieser „Gebirgs-Marine“ist freilich eine ganz andere: allzeit gerüstet zu sein, falls das Land jemals wieder an den Gestaden des Ozeans liegen sollte. Seit der Nation im „Salpeterkrieg“mit Chile 1884 rund 400 Kilometer Küste am Stillen Ozean abhandenkamen, ist der Drang zum Pazifik übermächtig.
Realpolitisch dürfte wohl nichts anderes übrig bleiben, als weiterhin das maritime Bewusstsein zu pflegen und den Anspruch auf einen winzigen Landkorridor oder einen exterritorialen Hafen aufrechtzuerhalten. Derweil lässt sich La Paz die Sache mit den Matrosen ohne Meer freilich einiges kosten, Ausgaben für ein Lazarettschiff und Kampftaucher eingeschlossen. Versteht sich, dass die schwimmende Wehr auch eine eigene Flagge auf ihrem ErsatzOzean Titicacasee spazieren fährt. Eigens für maritime Schwärmereien ist sogar ein „Tag des Meeres“geschaffen worden.
Merkwürdigkeiten solcher Art hat der Autor Tim Marshall in dem Buch „Im Namen der Flagge/Die Macht politischer Symbole“zusammengetragen. Er schildert die kollektiven Sehnsüchte, die die bunten Tücher weltweit freizusetzen vermögen, und das Unheil, das sie bis in unsere Tage anrichten.
Selbst im alten Europa fuchteln Sezessionisten mit archaischen Feldzeichen herum. Außer im Winde flatternden Wunschträumen bieten diese Regionalpatrioten aber nur scheinbar Überschaubareres. Und Unsolidarität als Antwort auf die Globalisierung. » Tim Marshall: „Im Namen der Flagge/ Die Macht politi scher Symbole“.