Mittelschwaebische Nachrichten
„Müssen wir wirklich Angst haben?“
Was der Benediktiner Notker Wolf den Menschen rät. Er sprach am Samstag im Pfarrheim St. Michael
Krumbach Seine rote E-Gitarre, eine Yamaha, wie sie Carlos Santana auch spielte, hatte er zwar nicht dabei im Pfarrheim St. Michael, dafür aber seine Querflöte. Notker Wolf war von 2000 bis 2016 Abtprimas des Benediktinerordens und damit Repräsentant von mehr als 20 000 Mönchen, Nonnen und Schwestern weltweit. Er engagierte sich in zahlreichen Ländern unterschiedlichster Kulturen, baute Krankenhäuser in China und in Nordkorea und ist Autor mehrerer Bestsellerbücher. Bekannt geworden ist er auch für seine Liebe zu Rockmusik und zu klassischer Musik. Jetzt verbringt der 77-Jährige seinen Ruhestand in seinem Heimatkloster St. Ottilien (Landkreis Landsberg) – wobei Ruhestand eigentlich nicht das richtige Wort ist. Am Samstag sprach Notker Wolf im Pfarrheim St. Michael in Krumbach: „Schluss mit der Angst“, so wie auch der Titel seines neuen Buches lautet.
Notker Wolf tritt souverän und trotzdem locker vor die knapp 300 Gäste. „Es wird a gute Stimmung geben“, nimmt der gebürtige Bad Grönenbacher seine Querflöte in die Hand und spielt „Jesus meine Freude“von Johann Sebastian Bach. Vielleicht hätte der eine oder andere unter den Zuhörern auch „Locomotive Breath“von Jethro Tull erwartet. Denn: „Musiker sind die Architekten des Himmels“, bemerkte der Abt.
Haben die Deutschen Angst? „Wenn wir keine Ängste haben, dann suchen wir uns welche“, sagt Notker Wolf. Die eigentliche Angst, nicht die Angst als Schutzfunktion, sei die Angst vor dem Unbekannten oder vor dem Neuen: Nicht zu wissen wie es weitergehe. Er spricht dabei speziell die Themen Flüchtlinge und Integration an – auf die Angst, die aus der Unsicherheit wächst. „Wir müssen die Realität wahrnehmen, mit der wir konfrontiert werden.“Die Tatsache, zur Integration bereit zu sein, werde diese am meisten fördern. Bei uns müsse alles überzogen werden, kritisiert er dabei aber auch die politische und moralische Korrektheit der Deutschen. Ist Deutschland das Land der Dichter und Denker oder das Land der Krawalle in Hamburg, stellt er gleichzeitig in den Raum. Die Deut- schen müssten sich bewusst sein, wer sie seien. Es sollte zu denken geben, wenn Muslime fragten, wo bei uns die Christen seien – in einem Land, in dem man wegen seines Glaubens verspottet und wo der Martinsumzug zum Laternenumzug umbenannt werde. „Wir haben Vorurteile in allem, es ist erstaunlich, wie wir auf Mainstreams hereinfallen“, fügt er hinzu.
Es gebe zwei Grundhaltungen: Die Probleme ernst zu nehmen und nach Lösungen zu suchen – nicht das Problem schon gelöst haben zu wollen, bevor es ein solches überhaupt gebe. Die andere sei, Änderungen anzunehmen. Die Welt gehe ohnehin weiter und man müsse sich als Menschen erfahren mit Mut und Solidarität.
Warum Angst haben? Jesus sei, wie er es bei seinen Aposteln war, auch bei uns mit im Boot. „Fürchtet Euch nicht“– das sei auch die Grundmelodie des Evangeliums. Und was die Angst mancher Politiker betreffe, sei es nicht die vor den Flüchtlingen, sondern die vor der AfD.
Abt Notker Wolf schweift immer wieder einmal auch ein Stück weiter aus, bringt die Zuhörer zum Schmunzeln, bietet dem vom Husten geplagten Vertreter der Presse spontan einen Schluck aus seinem Glas Wasser an, kehrt aber stets zu einem Thema wieder zurück: In Wirklichkeit gehe es um den Menschen. Und: „So schlecht ist das Leben net amal“, wie er letztlich feststellt.
Auf die Frage, wie man es schaffe in Nordkorea ein Krankenhaus mit 200 Betten und in China eines mit gar 500 zu bauen, antwortet er: Man müsse die Leute mögen. Aber gebe es auch Ansätze, seine Kultur leben zu können, ohne Angst zu haben, lautet eine weitere Frage. In beiderseitiger Toleranz sei vieles möglich: Andere Kulturen nicht als Behinderung, sondern als Bereicherung zu sehen, zum Beispiel.
„Tiefgründige und ehrliche Worte“, fasst Claudia Stegmann, die Vorsitzende der katholischen Landvolkgemeinschaft Krumbach, die zu diesem Abend eingeladen hatte, zusammen. So mancher der Besucher musste ebendiese Worte aber zunächst erst einmal verarbeiten. Dafür fand sich die Gelegenheit, gleichzeitig eines der Bücher zu er- werben und sich signieren zu lassen. Und damit eine Antwort auf die Frage zu finden, inwieweit wir Deutschen tatsächlich Angst haben müssen.