Mittelschwaebische Nachrichten
Der Junge, der den Krieg in Syrien auslöste
Vor sechs Jahren, zur Zeit des Arabischen Frühlings, sprühte ein Schüler in der syrischen Provinz eine Parole an eine Gebäudewand. Diese Aktion hatte unabsehbare Folgen. Was macht der junge Mann heute?
Augsburg Es war vor genau sechs Jahren: Im Februar 2011 liefen auf allen Fernsehkanälen Bilder von den machtvollen Demonstrationen des Arabischen Frühlings in Tunis, Kairo und anderen Städten. In Syrien regte sich zu diesem Zeitpunkt kein Widerstand gegen das Regime. Da sprühte ein 14-jähriger Schüler in der südsyrischen Stadt Daraa, unweit der Grenze zu Jordanien gelegen, eine Parole an die Wand: „Doktor, du bist der Nächste.“
Gemeint war Staatschef Baschar al-Assad, ein studierter Augenarzt. „Der Nächste“, sollte heißen, dass nach den Diktatoren Tunesiens und Ägyptens, die unter dem Druck der Massen abdanken mussten, nun auch der syrische Herrscher vor dem Sturz stand.
Diese scheinbar banale Aktion eines Jugendlichen stand am Beginn des syrischen Bürgerkriegs, in dem bisher eine halbe Million Menschen gestorben sind. Es gab zu dieser Zeit keine Angriffe von Terroristen und auch keine gewaltsamen Protestaktionen. Dass aus der Sprühaktion in der syrischen Provinz ein Krieg wurde, der das ganze Land zerriss, lag einzig und allein an der brutalen Reaktion des Staatsapparates auf diesen Bubenstreich.
Von heute an wird in Genf erneut versucht, das Blutvergießen in Syrien zu beenden. Unter Leitung des UN-Vermittlers Staffan de Mistura beginnen wieder einmal Friedensgespräche zwischen Regierung und Opposition. Doch die Erfolgaussichten sind gering.
Der junge Mann, der damals die verhängnisvolle Parole an die Wand sprühte, heißt Mouawiya Syasneh und ist jetzt Soldat der Freien Syrischen Armee, die gegen das AssadRegime kämpft. Der preisgekrönte irisch-schottische Dokumentarfilmer Jamie Doran hat ihn im arabischen Nachrichtensender Al Dschasira erstmals ausführlich in einem Film zu Wort kommen lassen. Titel: „Der Junge, der den Krieg in Syrien auslöste.“
Wenn er geahnt hätte, welche Folgen seine Aktion haben würde, dann hätte er es niemals getan, sagt Syasneh in dem Film. Auch er hat in dem Konflikt Verwandte und Freunde verloren. Sein Vater starb 2013 bei einem Luftangriff der Regierungstruppen auf seine Heimatstadt Daraa.
Einige Tage lang war die Parole auf der Schulwand im Februar 2011 dem syrischen Sicherheitsapparat offenbar verborgen geblieben. Doch dann wurden Mouawiya Syasneh und mehrere seiner Mitschüler morgens um vier Uhr aus ihren Elternhäusern geholt und 45 Tage lang von den Sicherheitsbehörden verhört und misshandelt. „Sie haben uns geschlagen, sie sagten, sie würden uns töten, sie haben uns zusammengeschnürt und aufgehängt wie tote Hühner, sie haben uns mit Elektroschocks gefoltert“, erzählt der junge Mann in dem Dokumentarfilm.
Als sich die Väter nach dem Schicksal ihrer Söhne erkundigen wollten, erhielten sie keine Auskunft. Auf der Polizeistation wurden sie vielmehr verhöhnt: „Vergesst eure Kinder. Geht heim zu euren Frauen und macht neue Kinder. Wenn ihr das nicht könnt, dann bringt uns die Frauen und wir machen das.“
Besorgte Eltern und Verwandte waren die ersten, die im Februar 2011 in Daraa auf die Straße gingen, um für die Freiheit ihrer Kinder zu demonstrieren. Der friedliche Protest wurde immer stärker und sprang schließlich auf andere syrische Städte über. Das Assad-Regime reagierte mit brutaler Härte, ließ ohne Rücksicht in die Menge schießen und sperrte viele Demonstranten ein. Immer mehr Todesopfer waren zu beklagen. So schaukelte sich der Konflikt hoch, bis die Assad-Gegner von Oktober 2011 an zunächst kleine bewaffnete Einheiten bildeten, um Angriffe der Regierungstruppen abzuwehren. Als zunehmend Soldaten und Offiziere zur Opposition überliefen, wurde daraus die Freie Syrische Armee.
Zu dieser Truppe gehört inzwischen auch Mouawiya Syasneh. Er hatte eigentlich nicht vor, eine Kalaschnikow zu tragen. Er wollte ganz friedlich auf die Uni gehen, erzählt er in dem Film.
Filmemacher Jamie Doran zählt den Beitrag zu seinen wichtigsten Arbeiten. Die Weltöffentlichkeit zu erinnern oder, in manchen Fällen, auch erstmals zu informieren, wie der Bürgerkrieg in Syrien entstand, sei „ein großes Privileg für einen Filmemacher“, sagt er.