Mittelschwaebische Nachrichten
Versuchter Mord im Flüchtlingsheim: Viele Fragen sind noch offen
Warum sich die Vernehmungen am Landgericht Memmingen schwierig gestalten
Memmingen In der Nacht vom 10. auf den 11. Juli 2016 (nicht wie ursprünglich berichtet im November) gab es bei der Polizei Günzburg Großalarm. Grund war die Meldung, dass im Flüchtlingsheim beim Bahnhof eine Person mit einem Messer niedergestochen worden sei. Zudem gab es auf dem Bahnhofsvorplatz eine tumultartige Ansammlung vieler Menschen. Das Ergebnis war die Verhaftung eines Mannes, gegen den nun am Landgericht in Memmingen der Prozess wegen versuchten Mordes begann.
Was war nun wirklich geschehen? Der erste Verhandlungstag beinhaltete die Aussagen der beteiligten Polizisten, einiger Zeugen aus dem Heim, der Schwester des Angeklagten und des Opfers, dass entgegen erster Angaben doch zugegen war. Danach lässt sich der Tatablauf momentan so beschreiben: Der 37-jährige italienische Staatsangehörige mit eritreischen Wurzeln besuchte einen Verwandten, der im Asylbewerberheim in Günzburg lebte. Mitten in der Nacht rauchte er mit diesem auf dem Balkon bei der Küche des Heimes noch eine Zigarette.
Währenddessen war das spätere Opfer, ein 19 Jahre alter Afghane, in die Küche gekommen, da er Hunger und Durst hatte. Er setzte Wasser auf und begann, sich Reis zu kochen. Plötzlich sei, ohne Vorwarnung, der Täter hinter ihm gestanden und habe ihm ein Messer an den Hals gesetzt und einen Schnitt beigebracht. Der 19-Jährige drehte sich um und kassierte sogleich einen tiefen Messerstich in den Bauch. Er versuchte, sich vor weiteren Angriffen zu schützen, indem er die Arme über den Kopf hob und zu Boden ging. In diesem Augenblick stach ihm der Täter das Messer in den linken Unterarm, wo es abbrach und die Klinge stecken blieb. Der Täter wusch sich im Waschbecken die Hände, holte seinen Rucksack aus einem Zimmer und ging weg.
Andere Heimbewohner kamen hinzu, zum Teil flohen sie aus Angst, andere halfen dem Verletzten, wieder andere verfolgten den Täter. Mit anderen zusammen stellten sie ihn auf dem Platz vor dem Bahnhof und hinderten ihn an der Flucht, bis die Polizei kam.
Die Polizei tappte zunächst im Dunkeln. Da der Täter auch an der Hand verletzt war, hielten sie ihn für ein weiteres Opfer. Der niedergestochene Afghane kam ins Krankenhaus, wo er operiert wurde. Lebensgefährlich war vor allem die Bauchwunde, bei der sogar die Gedärme heraustraten.
Langwierig gestalteten sich die Vernehmungen vor allem, wenn Dolmetscher eingeschaltet werden mussten. Nicht nur die verschiede- nen Sprachen waren zu unterscheiden. Schwierigkeiten gab es auch im Wortverständnis zwischen den deutsch-juristischen Fragestellungen und Begriffen und dem umgangssprachlichen und kulturellen Sprachgebrauch in den ausländischen Wortschätzen. Sehr detailliert hinterfragten Richter und Staatsanwaltschaft das tatsächliche Geschehen. Einen vielleicht entscheidenden, Aspekt brachte die Schwester des Angeklagten als Zeugin in die Verhandlung ein. Sie berichtete, dass ihr Bruder, der Abitur habe und seit 2000 in Italien und in den USA gelebt hatte, 2012 völlig verän- dert zu ihr zurückgekehrt sei. „Da ist er nicht mehr er selbst gewesen.“Vielmehr hätten ihn zunehmend mehr Depressionen geplagt. Er habe, wenn er überhaupt noch etwas gesprochen habe, von inneren Stimmen erzählt. Diese hätten ihm gesagt, er würde verrückt werden. Er habe auch laufend Medikamente genommen. Zuletzt habe sie ihn aus ihrer Wohnung „geschmissen“, da sie Angst hatte, dass er nicht mehr wisse, was er tut. Das passierte wenige Tage vor der Tat in Günzburg.
Nächste Woche ist der zweite Verhandlungstag. Dann kommen auch die Gutachter zu Wort.