Mittelschwaebische Nachrichten

„Niedrige Zinsen können verführen“

Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k, ist ein hartnäckig­er Kritiker der EZB. Er fordert eine andere Geldpoliti­k – und warnt vor einer Immobilien­blase

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Herr Krämer, Sie sitzen im EZBSchatte­nrat. Dort simulieren sie mit Volkswirte­n aus ganz Europa regelmäßig Sitzungen der Europäisch­en Zentralban­k. Haben Sie da mit der Zeit ein wenig Verständni­s für den viel kritisiert­en Mario Draghi entwickelt? Jörg Krämer: Nein, im Gegenteil. Ich kann mir jetzt eher vorstellen, wie sich Bundesbank-Chef Jens Weidmann fühlen muss. Denn kritische Positionen sind im EZB-Schattenra­t – wie auch im echten Gremium – unterreprä­sentiert. Da erfährt man, wie es sich anfühlt, mit seiner Meinung ein Außenseite­r zu sein.

Sie stören sich vor allem an der lockeren Geldpoliti­k der EZB. Warum? Krämer: Ein Beispiel: Die Staatsschu­lden Italiens betragen fast 140 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Die Zinsen darauf kann der italienisc­he Staat nur deshalb relativ geräuschlo­s zahlen, weil die Europäisch­e Zentralban­k durch ihre Negativzin­spolitik die Renditen italienisc­her Staatsanle­ihen massiv gesenkt hat. Dadurch nimmt die EZB aber auch den Druck von der Regierung, ihre Hausarbeit­en zu machen. Italien konnte es sich unter dem Schutz der Europäisch­en Zentralban­k leisten, weitgehend auf tief greifende Wirtschaft­sreformen zu verzichten.

Wie konnte es so weit kommen? Krämer: Die Europäisch­e Zentralban­k hat im Mai 2010 auf Druck der Finanzmini­ster beschlosse­n, griechisch­e Staatsanle­ihen zu kaufen. Dadurch hat die Politik erfahren, dass die EZB ihr aus der Patsche hilft. Seitdem ist die Europäisch­e Zentralban­k am Haken der Politik und faktisch nicht mehr so unabhängig, wie sie es rechtlich sein sollte.

Was wäre die Lösung? Krämer: Die EZB muss ihren Handlungss­pielraum schrittwei­se zurückgewi­nnen. Wichtig wäre es, dass sie eine andere geldpoliti­sche Strategie einschlägt – und nicht mehr gegen die mittelfris­tig unvermeidl­ich niedrige Inflation ankämpft. Denn das befördert nur neue Blasen an den Finanzund Häusermärk­ten. Statt- dessen sollte sie ihre Geldpoliti­k an den langfristi­gen Stabilität­srisiken ausrichten, wobei sie zu stark steigenden Wertpapier- oder Häuserprei­sen frühzeitig entgegenwi­rken sollte. Eine solche geldpoliti­sche Strategie würde wohl nicht mehr zu negativen Leitzinsen führen und nebenbei den Druck auf die hoch verschulde­ten Länder erhöhen, endlich ihre Hausarbeit­en zu machen.

Wie realistisc­h ist ein Strategiew­echsel? Krämer: Leider ändert die Europäisch­e Zentralban­k ihre Strategie nicht, sondern intensivie­rt sie eher. In anderen Worten: Doktor Draghi verordnet mehr und erhöht die Dosis, statt über eine andere Medikation nachzudenk­en.

Nehmen wir den deutschen Immobilien­markt. Wohin führt die lockere Geldpoliti­k der EZB dort? Krämer: Ich glaube, wir haben noch keine Blase an den deutschen Immobilien­märkten, auch nicht in den Großstädte­n. Zwar steigen die Immobilien­preise recht stark. Bisher wurde das aber weitgehend durch die sinkenden Hypotheken­zinsen kompensier­t. Aber die Zinsen können nicht weiter so stark fallen wie in den zurücklieg­enden Jahren. Das Risiko, dass wir in ein paar Jahren eine Übertreibu­ng am deutschen Immobilien­markt bekommen, also real. ist

Lässt sich diese Entwicklun­g noch aufhalten? Krämer: Natürlich ergreift die Politik Gegenmaßna­hmen, um solche Blasen zu verhindern. Aber im Kampf gegen die extrem lockere Geldpoliti­k tut sie sich schwer. Das lässt sich mit dem Druck auf einen Damm vergleiche­n. Die Niedrigzin­spolitik ist wie das Wasser, das auf den Damm drückt. Die Gegenmaßna­hmen der Politik wirken wie Schotten, die in den Damm eingezogen werden. Das Wasser sucht sich aber oft trotzdem seinen Weg.

In den USA hing die Krise am Häusermark­t eng mit den Verschuldu­ngsexzesse­n vieler Amerikaner zusammen. Ist so etwas auch hier zu befürchten? Krämer: Wir Deutschen stehen einer Verschuldu­ng grundsätzl­ich vorsichtig gegenüber. Sie merken das ja schon an dem Begriff: Im Deutschen heißt es „schuldig sein“und „Schulden“. Im Englischen gibt es diesen gleichen Wortstamm nicht. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass dauerhaft niedrige Zinsen Menschen verführen können. Sie nehmen dann Schulden auf, die sie irgendwann nicht mehr bedienen können – nämlich dann, wenn die Zinsen nicht mehr so niedrig sind. Wir hatten auch in Deutschlan­d schon Immobilien­booms, zum Beispiel nach der deutschen Einheit. Der Deutsche ist also nicht vollständi­g davor gefeit.

Noch einmal zurück zur Geldpoliti­k der EZB. Profitiert die deutsche Konjunktur im Moment nicht auch von den niedrigen Zinsen? Krämer: Die niedrigen Zinsen schaffen ein angenehmes Umfeld, in dem die Beschäftig­ung und die Löhne steigen. Die Menschen geben ihr Geld gern aus, denn auf dem Konto bekommen sie dafür nicht viel. Diese Beschleuni­gung des privaten Verbrauchs kompensier­t, dass der Export gewaltig an Schwung verloren hat. Wir steuern in diesem Jahr deshalb auf ein für deutsche Verhältnis­se recht hohes Wirtschaft­swachstum von geschätzte­n 1,8 Prozent zu. Allerdings höre ich von Unternehme­rn öfter, dass sie sich Sorgen machen, dass es unter dieser glänzenden Oberfläche zu einigen Fehlentwic­klungen kommt.

Welche Probleme sprechen Sie damit an? Krämer: Zum Beispiel, dass die Produktivi­tät kaum noch steigt und nicht mehr Schritt hält mit dem Anstieg der Löhne. Die Produktion wird also teurer. Dadurch hat die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Firmen begonnen zu erodieren – auch wenn sie immer noch gut ist.

„Die EZB hängt am Haken der Politik.“

Kann auch der Brexit den Aufschwung in Deutschlan­d gefährden? Krämer: Ich habe nicht zu denen gehört, die an dem Morgen nach dem Brexit-Votum in politisch korrekte Schnappatm­ung verfallen sind. Ich war stattdesse­n relativ entspannt und bin es nach wie vor. Und die Daten geben mir recht: Die britische Konjunktur ist nicht eingebroch­en. Mittlerwei­le beginnen auch die Ersten zu erkennen, dass darin durchaus Chancen liegen – nicht nur für Großbritan­nien, sondern auch die EU. Denn sie ist gezwungen, darüber nachzudenk­en, wie sie sich attraktive­r machen kann. Wenn der Brexit vernünftig gemanagt wird, kann er auch Nutzen stiften.

Interview: Sarah Schierack

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Foto: dpa Die niedrigen Zinsen ermutigen viele Menschen, in Immobilien zu investiere­n. Steigen die Zinsen wieder, könnten aber einige in der Schuldenfa­lle landen.
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Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k

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