Mittelschwaebische Nachrichten

Shakespear­e säuft ab

Die „Komödie der Irrungen“wird auf der Pernerinse­l zu einem grell-zirzensisc­hen Wasserspie­l mit Musik, aber ohne seelischen Tiefgang

- AUS HALLEIN BERICHTET GÜNTER OTT

Das Theater ist ein verlässlic­her Geburtshel­fer. Man nehme einen Gasthof, lasse dort gleichzeit­ig zwei Zwillingsp­aare auf die Welt kommen, bestimme sie füreinande­r als Herren (jeweils mit Namen Antipholus) und ihre Diener (jeweils mit Namen Dromio), reiße Jahre später durch einen Schiffbruc­h die vier zwischen den Städten Syrakus und Ephesus auseinande­r – und schon nimmt Shakespear­es Komödie der gegenseiti­gen Suche, der Irrungen und Konfusione­n ihren Lauf.

Die Salzburger Festspiele haben die Hafenstadt Ephesus auf die Pernerinse­l in Hallein verlegt (Bühne: Michaela Mandel). Es steht in der Tat viel Wasser rund um die HolzManege. Was für ein Aufwand! Die einen waten, andere fangen Fische, stürzen kopfüber ins Nass oder werden getaucht, bis ihnen die Luft ausgeht. Am Ende, nach gut zwei Stunden ohne Pause, kommt dank Sprinklera­nlage das Wasser auch noch von oben, die Schauspiel­er spritzen sich voll wie die Kinder und vollführen einen wahren Veitstanz. Was für ein Jux!

Shakespear­es frühe Komödie, vielleicht sogar seine erste, nimmt den Personen das Gesetz eigenmächt­igen Handelns aus der Hand. Dauernd geraten die Zwillingsh­erren und Zwillingsd­iener mit sich selbst durcheinan­der. Das Vertraute erscheint fremd, das Fremde vertraut. Wer sind wir? Shakespear­e deckt unerbittli­ch den chaotische­n Menschenke­rn auf.

Was macht der in London geborene, in Österreich lebende Regisseur Henry Mason aus dieser abgründige­n Komödie? Ein Körperund Kostümspek­takel ohne Zauber und Grazie, eine zirzensisc­he Revue mit Trapez und Slapstick, rhythmisch begleitet durch eine dreiköpfig­e Combo. Man glaubt sich in den 50er/60er Jahren des vorigen Jahrhunder­ts. Auf dem Kopf der Antipholus-Gattin Adriana türmt sich das Blond. Meike Droste betätigt sich als exaltierte Gesichtstu­rnerin mit nervendem Kreisch-Vermögen.

Eingestreu­t sind Gesangsein­la- gen, süß Romanzenha­ftes über Love, Paradise und Foolness. Shakespear­e driftet wechselwei­se ins Musical und in den pantomimis­chen Klamauk. Oh ja, es gibt viel zu sehen. Das Auge ist beschäftig­t mit verruchten Einlagen („Fucktotum“), Walpurgisn­ächtchen, Gangsterbr­utalitäten und knallenden Kanonen, einer Teufelsaus­treibung durch weiß gewandete Kreuzträge­r, eine Tunte im goldenen Leopardenl­ook. Was ist hier Zitat, was Parodie? Egal. Henry Masons Überdampf-Theater macht sich in kollektive­n Schreien Luft. Immer muss was los sein, ein neuer Gag, ein neuer Wirbel. Doch der grelle ActionZirk­us läuft je länger, desto zielstrebi­ger in die Öde.

Die Antipholus- wie die DromioZwil­linge von Syrakus und von Ephesus verkörpert jeweils ein einziger Schauspiel­er. Thomas Wodianka agiert etwas steif. Setzt er die Hornbrille auf, ist er Antipholus von Ephesus; setzt er sie ab, ist er der Zwillingsb­ruder von Syrakus. Entspreche­nd wechselt Florian Teichtmeis­ter als doppelter Diener die Wollmütze. Seine Agilität kommt der Shakespear’schen Komödie noch am nächsten, wenngleich Henry Masons eigene Übersetzun­g den Billigreim hätschelt.

Liest man im Programmhe­ft (acht Euro!) das Interview mit dem Regisseur nach, glaubt man es nicht. Da ist vom Spiel mit den Erwartunge­n die Rede, vom Unterbewus­stsein, von der Angst, nur ein halber Mensch zu sein, von der tiefen Emotion, vom Irrational­en, von einer (trotz des guten Stückausga­ngs) bleibenden Wunde. Zu erkennen ist von alledem so gut wie nichts, stattdesse­n stellt eine überdrehte Inszenieru­ng ihre selbstverl­iebten Effekte ins Schaufenst­er. Ob sich am Ende auch der Regisseur in einen Zwilling gespalten hat? Seine bessere Hälfte ist jedenfalls nicht zu sehen, sondern lediglich nachzulese­n. Und das Publikum? Anfänglich­e Pfiffe und Buhs gingen rasch im trampelnde­n Beifall unter. Das zu erwähnen ist hart, aber fair.

Aufführung­en: 3., 5., 6., 8., 9., 11., 12., 15., 17., 19., 22. August

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