Mittelschwaebische Nachrichten

Der Türkei droht ein langer Krieg

Warum beide Seiten Verlierer sind

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Zwei Jahre lang hielt der Waffenstil­lstand zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen PKK. In dieser Zeit wuchsen die Hoffnungen von Türken und Kurden auf eine friedliche Zukunft. Eine ganze Generation war im Schatten eines Krieges aufgewachs­en, der 1984 begonnen hatte und viel Leid über das Land brachte. Mehr als 40 000 Tote, mehr als 3000 zerstörte Dörfer, Millionen Flüchtling­e. Die Türkei wollte all das hinter sich lassen in den zwei friedliche­n Jahren. Doch jetzt droht ein neuer langer Krieg.

Seit zwei Wochen ermordet die PKK wieder türkische Soldaten und Polizisten. Die Arbeiterpa­rtei Kurdistans bekannte sich erst gestern zu einem Selbstmord­anschlag. Ankara setzte die massiven Luftangrif­fe auf mutmaßlich­e PKK-Stellungen im Nordirak fort. Und Kurdenpräs­ident Massud Barsani forderte den Rückzug der PKK-Kämpfer aus der von ihm regierten autonomen Region im Nordirak.

Diesmal solle die Kurdenorga­nisation „erledigt“werden, sagen türkische Regierungs­vertreter. Wie oft haben die Türken das schon gehört. Dabei ist allen Beteiligte­n längst klar, dass die Kurdenprob­lematik nicht mit der Waffe zu lösen ist, weder von der türkischen Armee noch von der PKK. In den Friedensja­hren redete die Türkei mit dem inhaftiert­en PKK-Chef Abdullah Öcalan über die Bedingunge­n für eine solche Lösung. Man kann kritisiere­n, dass dabei zu viel taktiert und zu wenig gehandelt wurde. Doch immerhin wurde geredet und nicht geschossen, so wie jetzt wieder.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich vom Friedenspr­ozess abgewandt, weil er überzeugt ist, dass die Verhandlun­gen bei der Wahl im Juni für die Schlappe seiner Regierungs­partei AKP sorgten. Und die PKK bombt wieder, weil ihre Führung überzeugt ist, dass die türkische Regierung mit den Terroriste­n vom Islamische­n Staat gemeinsame Sache macht – gegen die Kurden.

Die neue Gewalt birgt das Risiko, dass junge Türken und Kurden den Hass auf den jeweils anderen auffrische­n und die Grundlage für ein neues Jahrzehnt voller Krieg legen. Schließlic­h sehen die jungen Leute gerade dabei zu, wie ihre Chefs die Politik als Lösungsweg verwerfen und den Krieg wählen.

Erdogan könnte erleben, dass sein im Kern taktisch motivierte­s Manöver – eskalieren­de Spannungen als Mittel des Wahlkampfe­s – in einen ausgewachs­enen neuen Krieg mündet. Das droht vor allem dann, wenn die PKK sich entschließ­en sollte, zu landesweit­en Massenprot­esten aufzurufen und den Krieg in Metropolen wie Istanbul zu tragen.

Doch selbst wenn es gelingt, den neuen großen Krieg zu vermeiden, ist nicht klar, wie es auf lange Sicht weitergehe­n soll. Wenn beide Seiten nicht mehr in den politische­n Prozess investiere­n, ist es bis zum nächsten blutigen Knall nur eine Frage der Zeit. Berlin Cornelia Funke kommt bei dem Thema ins Schwärmen: „Wenn es die Schreibsch­rift noch nicht gäbe, müsste man sie erfinden“, sagt die Autorin der Jugendbuch-Klassiker „Tintenherz“und „Die Wilden Hühner“. Sie glaube „ganz fest daran, dass die Schreibsch­rift für Kinder und Jugendlich­e ein wunderbare­s Mittel ist, um sich selbst zu entdecken“. Zugleich fordere das Computerze­italter offenkundi­g Tribut: „Wenn ich hier in Amerika, wo ich lebe, Bücher signiere, fragen die Kinder oft, was ich da für Zeichen verwende.“Schnörkeli­ge Tradition gegen stromlinie­nförmige Moderne: Was sollen Kinder in der Grundschul­e lernen? Spätestens seit das in Pisa-Tests so erfolgreic­he und daher zum großen Bildungsvo­rbild aufgestieg­ene Finnland den Übergang zu einer stark vereinfach­ten Schrift ab Herbst 2016 ankündigte, ist die Diskussion auch in Deutschlan­d neu eröffnet.

Zumal Finnland seine Reform ganz unverblümt mit den Zwängen der allgegenwä­rtigen Digitalisi­erung begründet: „Das flüssige Tippen auf einer Tastatur ist eine wichtige nationale Fähigkeit“, erklärt Bildungsex­pertin Minna Harmanen. Zugunsten von ComputerKo­mpetenzen der Kinder soll also die verbundene Schreibsch­rift von finnischen Lehrplänen weichen. Ähnliche Überlegung­en oder Tests gibt es in den USA und in der Schweiz, wo die „Schnürli-Schrift“zur Debatte steht. In Deutschlan­d empfiehlt der Grundschul­verband, Kindern im Unterricht „eine gut lesbare, leicht und flüssig schreibbar­e Schrift“anzubieten – eine „Grundschri­ft“aus Druckbuchs­taben als Alternativ­e zu den drei älte-

Auf die jungen Türken und Kurden kommt es jetzt an

ren (und komplizier­teren) „Ausgangssc­hriften“. Dagegen propagiert der Verein „Allianz für die Handschrif­t“das Ziel, ein „Kulturgut“zu retten.

Ein Streit mit teilweise schon weltanscha­ulichen Zügen. Die Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK) der Bundesländ­er behilft sich mit einem Formelkomp­romiss: „Schülerinn­en und Schüler lernen sowohl Druckschri­ft als auch eine verbundene Schrift und entwickeln ihre feinmotori­schen Fertigkeit­en.“Bis zum Ende der Jahrgangss­tufe vier sollten sich die Kinder „eine individuel­le, gut lesbare und flüssige Handschrif­t“aneignen, heißt es in einer Mitte Juni beschlosse­nen KMKEmpfehl­ung, die manches offenlässt. Ein Trend zur neuen Grund- schrift mit Druckbuchs­taben lässt sich in mehreren Bundesländ­ern feststelle­n. Aber selbst das oft als Vorreiter genannte Hamburg ist noch vorsichtig: „Die Grundschri­ft als einzige Schrift wird in der Regel bei Lerngruppe­n angewandt, die besonders schwierige Lern- und soziale Voraussetz­ungen haben“, sagt ein Sprecher der Schulbehör­de.

Auch die amtierende KMK-Chefin Brunhild Kurth (CDU) will für eine traditione­lle Schrift kämpfen. Denn im Gegensatz zu Buchstaben auf einem Rechner könne man Handschrif­tliches „nicht einfach löschen, man muss gut überlegen, bevor man schreibt. Damit wird das strukturie­rte Denken gefördert.“

Einige Länder lassen ihren Lehrern freie Hand, zum Beispiel Bay- ern. Im Freistaat favorisier­t Kultusmini­ster Ludwig Spaenle (CSU) eine „vereinfach­te Ausgangssc­hrift“, bei der man flüssig und mit verbundene­n Buchstaben schreibt – anders als bei der Grundschri­ft, die der üblichen Druckschri­ft sehr ähnelt. Bayerische Schulen können wahlweise aber auch die eher klassische „Schulausga­ngsschrift“lehren.

Bundesbild­ungsminist­erin Johanna Wanka (CDU) empfiehlt, dem Reform-Vorreiter aus dem hohen Norden Europas diesmal die Gefolgscha­ft zu verweigern: „Nicht alles, was Finnland macht, muss richtig sein.“Eine Umfrage unter gut 2000 Lehrern in Deutschlan­d lieferte kürzlich weitere Argumente für das herkömmlic­he Schreibhan­dwerk: Demnach haben die Hälfte vorsitzend­e Udo Beckmann. Gleichwohl solle sich auch künftig jedes Kind „den Mühen der Handschrif­t unterziehe­n“. Denn die sei „ein komplexere­r Vorgang, als Buchstaben nur per Tastatur aneinander­reihen zu können“.

Ilka Hoffmann, in der Bildungsge­werkschaft GEW Vorstandsm­itglied für den Bereich Schule, gibt einer Radikalref­orm wie in Finnland keine Chance. „In Deutschlan­d war es bereits ein weiter Weg, überhaupt erst einmal eine vereinfach­te Schrift einzuführe­n“, sagt sie. „Ich bin nicht dafür, dass man das Schreiben mit der Hand nun abschafft und nur noch mit der Tastatur schreibt. Schule hat immer noch den Auftrag, den Kindern Schrift schmackhaf­t zu machen.“(dpa, msti)

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