Wie ein USInvestor den BildChef zu Fall brachte
Hintergrund Lange hielt Springer an Chefredakteur Julian Reichelt trotz der Vorwürfe zu Affären und Machtmissbrauch gegenüber Mitarbeiterinnen fest. Dass die Entlassung jetzt schnell kam, könnte auch an der mächtigen US-Gesellschaft KKR liegen
Augsburg Einer Berufseinsteigerin soll er anzügliche Nachrichten geschrieben habe. „Noch wach?“, zum Beispiel. Oder: „Ich will deinen Körper spüren.“So berichtete es Der Spiegel, als feststand, dass sich der Springer-Konzern von Julian Reichelt als Chefredakteur der BildZeitung trennt. Um zu verstehen, weshalb es für Reichelt plötzlich so eng wurde, lohnt es sich auch, einen Blick auf die Eigentümerstruktur zu werfen. Dort spielen nicht nur die Ambitionen von Springer-Chef Mathias Döpfner und von Verlegerin Friede Springer eine Rolle. Eine zentrale Stellung nimmt die mächtige US-Beteiligungsgesellschaft KKR ein, ein Unternehmen, das schon mal als Heuschrecke verschrien war.
Am Springer-Konzern hält heute Friede Springer 22,5 Prozent der Anteile, 21,9 Prozent gehören Döpfner. Kleinere Anteile halten Axel Sven Springer, Ariane Melanie Springer und die Friede-SpringerStiftung. Daneben sind mächtige Investoren an Bord: 35,6 Prozent gehören KKR, 12,9 Prozent dem kanadische Fonds CPPIB, der sich um die Renten kanadischer Ruheständlerinnen und Ruheständler kümKKR als größter Anteilseigner nimmt drei Sitze im SpringerAufsichtsrat ein. Das sichert Einfluss.
Gegründet wurde KKR bereits in den 70er Jahren in New York von den Finanzexperten Jerome Kohlberg, Henry Kravis und George Roberts. Das Geschäftsmodell besteht darin, Geld von Anlegerinnen und Anlegern einzusammeln und Unternehmen zu kaufen. Der Rest wird am Kapitalmarkt aufgenommen. Ziel ist es meist, die Unternehmen umzubauen, die Erträge zu steigern und sie nach einigen Jahren gewinnbringend zu verkaufen. KKR verwaltet heute ein Vermögen von 429 Milliarden Dollar, ist an 109 Firmen beteiligt, die weltweit 819 000 Angestellte zählen. Henry Kravis lebt laut Berichten noch heute in New York und spendet als Wohltäter Millionenbeträge zum Beispiel an Krankenhäuser.
In Deutschland ist KKR seit 1999 vertreten. Dem Investor gehört zum Beispiel das Marktforschungsunternehmen GfK oder der Flugzeugelektronikspezialist Hensoldt. In der deutschen Medienlandschaft mischt KKR aktiv mit. Von 2006 bis Januar 2014 besaß KKR den Sender Pro7Sat1. In München schmiedet KKR mit dem Medienmanager Kogel den TV-Dienstleister Leonine, in dem auch die Produktionsgesellschaft I&U von Günther Jauch aufgegangen ist. Im Jahr 2020 stieg KKR bei Springer ein und ließ die Aktie von der Börse nehmen.
Dass eine Gesellschaft wie KKR ein genaues Auge auf ihre Beteiligungen hat, ist für Professor Lutz Frühbrodt sehr wahrscheinlich. KKR sei einst unter den Beteiligungsgesellschaften eine der radikalsten ihrer Art gewesen, sagt der Professor für Fachjournalismus an der Hochschule Würzburgmert. Schweinfurt. „Es ist klar, dass ein Investor wie KKR im Vergleich zu anderen Finanzinvestoren, die es früher gab, stärker Einfluss auf ein Unternehmen wie Springer nimmt.“
Die Enthüllungen deutscher und US-Journalisten rund um Affären zwischen Reichelt und Bild-Mitarbeiterinnen dürften KKR nicht mit Begeisterung erfüllt haben.
Die Recherchen in Deutschland, vor allem aber der Bericht in der
New York Times am Sonntag über Julian Reichelt, kamen zur Unzeit. Der Springer-Konzern war nämlich gerade dabei, die Übernahme der US-Nachrichtenplattform Politico für 630 Millionen Euro unter Dach und Fach zu bringen. Politico zählt allein in Nordamerika rund 700 Beschäftigte.
Dass die Politico-Übernahme den Sturz Reichelts beschleunigt haben könnte, davon geht auch Leonard Novy aus, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin und Köln. „Zum einen hätte es die Berichterstattung der
New York Times ohne den Kauf des US-Politikportals kaum gegeben. Zweitens hat auch Springer nur wegen der Bedeutung dieses PrestigeDeals und des US-amerikanischen Marktes insgesamt so schnell reaFred giert“, vermutet Novy. In den vergangenen Wochen hätten sich nicht nur US-Branchenexperten, sondern auch Teile der Politico-Belegschaft erstmals ernsthaft und kritisch mit der Frage beschäftigt, wer ihr neuer Eigentümer eigentlich ist. In Verdacht zu geraten, im Hause Springer die Vorwürfe nicht ernst zu nehmen, sei KKR nicht vermittelbar. Und ohne KKR seien Döpfners Wachstumspläne nicht denkbar. „Der US-Markt, auf dem andere Regeln gelten, ist schlichtweg wichtiger, als Reichelt weiter Deckung zu gewähren“, sagt Novy.
In den USA haben Vorwürfe rund um Sexismus und Belästigung seit der #MeToo-Debatte eine eigene Bedeutung. Zwar mag es das Ziel von Fonds wie KKR sein, in erster Linie Geld zu verdienen. Aber es geht heute nicht nur um Rendite allein, Unternehmen legen Wert auf Faktoren wie Umweltschutz oder Arbeitssicherheit. Ein Chefredakteur, der seine Stellung nutzt, um Mitarbeiterinnen näherzukommen, passt nicht mehr ins Bild. „KKR ist US-amerikanischer Provenienz und global aufgestellt. Solch ein Unternehmen kann Themen wie die Einhaltung der Regeln guter Unternehmensführung gegenüber Mitarbeiterinnen nicht außer Acht lassen“, sagt Medien-Forscher Frühbrodt. Die Bild-Unternehmenskultur wirkt da nicht mehr zeitgemäß. „In der Bild-Führungsetage herrschte offenbar ein Stil wie in den 50er und 60er Jahren – eine Macho-Haltung, die heute extrem anachronistisch wirkt“, sagt Frühbrodt.
Medienhäusern fällt es teilweise schwer, aus dem Sexismus-Problem wirksame Konsequenzen zu ziehen, hat Medien-Experte Novy beobachtet. „Lange galt ein Gebaren wie das von Reichelt als Ausweis von journalistisch-kreativer Genialität – oder zumindest als hinzunehmender Kollateralschaden“, erklärt er. „Dass Springer nun auf den TimesArtikel so schnell reagiert und Reichelt von seinen Aufgaben entbunden hat, zeugt denn auch weniger von einem Umdenken in der Sache als davon, dass der externe Druck absehbar schlicht zu groß geworden wäre.“Entschuldigt habe man sich offenbar bei den betroffenen Frauen bis heute nicht.
Lange soll Springer-Chef Döpfner seine Hand über Reichelt gehalten haben, mittlerweile gerät er aber angesichts Berichten über frühere Partys, seine Akt-Sammlung und einen Vergleich der deutschen Corona-Politik als neuen „DDR Obrigkeits-Staat“selbst unter Druck.