Bilder vom Glanz
Was ist nur los in Österreich, in diesem Land, das die Heldengeschichten so sehr liebt, dass es den Schmutz dahinter nicht sehen will? /
and der Berge, Land der Rücktritte. Die Variation der Bundeshymne bietet sich nicht nur aus Pointenlust an. Zwei Bilder, die anders scheinen, als sie sind, deren Rückseiten andere Geschichten erzählen. Vorne unberührte, hinten kontaminierte Landschaft. Vorne: Rücktritt. Hinten: Schattenkanzler.
Dass Sebastian Kurz durch seine Funktion als Parteiobmann weiterhin Einfluss auf Regierung wie Gesetzesbildung ausüben kann, liegt auf der Hand. Was er fortan nicht mehr kann: repräsentative Bilder. Das Geilomobil – die türkise Variante vom Batmobil – holpert traurig in die zugehörige Cave zurück, um vom Kontrollzentrum aus weiterhin zu lenken und zu richten, so, wie sich das in katholischen Länder gehört.
Der repräsentative Rücktritt als Rückschritt aus der Repräsentation scheint hier aus Protagonistenperspektive der einzige Verlust zu sein. Allerdings ein großer, ist es doch der österreichische Verlust der eigenen Heldengeschichte, die man unter vielen Mühen (vor allem anderer) und auf vielen Rücken (ausschließlich anderer) in die Landschaft gestellt hat, damit die
Täter-Opfer-Verdrehung so richtig wummst. Was ist das für ein Land, das die Bilder vom Glanz so liebt, dass es die zugehörigen Geschichten gerne auch mit Gewalt verteidigt?
Schritt zurück: Zum Zeitpunkt der schwarz-blauen Regierung unter Schüssel bin ich 17 Jahre alt. Ich nehme an den Donnerstagsdemonstrationen teil, gegen Sozialabbau, Entdemokratisierung, gegen die Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei. Die Demonstrationen prägen mich, sie politisieren mich. Vor allem erinnere ich ein Bild. Es handelt sich dabei um ein Foto in der Kronen Zeitung, das am Tag nach der Angelobung veröffentlicht wird. Ein vermummter Demonstrant attackiert darauf einen Polizisten mit einem Ast. Bemerkenswert an diesem Bild: Es ist nicht echt. Später wird die Kronen Zeitung vom Presserat dafür verurteilt werden, die Mitteilung umfasst wenige Zeilen und kann weder Bild noch der bildhaften Sprache etwas entgegensetzen.
17 Jahre später reformiert sich der Donnerstag erneut gegen die Regierung aus FPÖ und ÖVP (diesmal unter Sebastian Kurz) und datär
mit gegen bereits Bekanntes: Abbau und Umbau des Sozialstaats durch Maßnahmen wie die Indexierung der Familienbeihilfe, Streichung der Mindestsicherung für subsidiär Schutzberechtigte, aber auch gegen die Verharmlosung rechtsextremer Gewalttaten als Einzelfälle. Hier schreibt nicht nur die FPÖ, sondern auch die ÖVP Geschichte, indem sie es vorzieht, sich nicht gegen ihren Regierungspartner zu positionieren. Bilder von der sogenannten Welt, gegen die Welt, wie sie ist.
So erklärt sich auch das seltsame Gefühl, als wir im Mai 2019 selbst zum Bild werden: Wir tanzen durch Rücktritte und schmeißen Konfetti am Ballhausplatz. Später merken wir: Der Rücktritt scheint zum Signum für den Fortschritt geworden zu sein. Später ist 2021. Wir lesen Chatverläufe und tragen T-Shirts, auf denen steht: I love WKSTA (Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft). Wir wissen jetzt: Wer von Fortschritt spricht, der meint vor allem eines, das eigene Vorankommen. Der Eurodancebeat hämmert, und wie immer, wenn man ziemlich lang getanzt hat, kommt die Müdigkeit. Die Post-Ibiza-, Post-Neuwahl-, Neuregierungsmüdigkeit, die Müdigkeit, weil das beste Bild leider immer knallt, mit einer Gewalt, dass kaum was dagegen ankommt. Das beste Bild: Vervierfachung des Repräsentationsbudgets in Krisenzeiten, Message Control via Inseratepolitik, kontinuierliche Kürzung der Presseförderung. Aber auch das: Bereits nach seiner Angelobung als Integrationsstaatssekrebegann Sebastian Kurz mit der Abhaltung von Abendessen, an denen, so schreiben Nina Horaczek und Barbara Tóth in ihrem 2017 erschienenen Buch zu Sebastian Kurz, nicht nur Personen aus dem Bereich Integration teilnahmen, sondern auch aus Kultur, Wissenschaft, Religion und Wirtschaft.
Wenn Kurz 2017 im TV-Duell mit Heinz Christian Strache auf OE24 behauptet, dass er jahrelang schon ein Thema war für „die Menschen“, dann meint er damit nicht nur gekaufte Umfragen. Vielmehr verweist er auf ein System der glänzenden und mit allen Mitteln aufrechterhaltenen, sehr gut zu Österreich passenden Heldenerzählung, deren Kehrseite in Kauf genommen, wenn nicht sogar forciert wird. Ob du wirklich richtig stehst, siehst du, wenn das Licht ausgeht.
Gerhild Steinbuch, 38, ist Autorin, Dramaturgin und Übersetzerin. Sie leitet das Institut für Sprach kunst der Universität für an gewandte Kunst Wien. Im November hat „In letzter Zeit Wut“am Schauspiel Frankfurt Premiere.