Adieu eines ungleichen Duos
Wie die Franzosen Angela Merkels Abschied verfolgen
Paris Angela Merkel muss bei Emmanuel Macrons Antrittsbesuch als frisch gewählter Präsident gewusst haben, dass der neue Gast ein glühender Anhänger von Literatur und Poesie ist. Denn sie wählte ein Zitat von Hermann Hesse. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, sagte die Bundeskanzlerin bei diesem ersten offiziellen Auftritt mit Macron, dem viele weitere folgen sollten. Am Donnerstag kommt sie für ein Arbeitsabendessen in den Élysée-Palast – das vielleicht letzte in Paris, je nach Dauer der Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl.
In den gut vier Jahren ihrer Zusammenarbeit folgten Merkel und Macron insofern einer deutschfranzösischen Tradition, als diese in einer oft mühseligen Suche nach Kompromissen bestand, ob beim Umgang mit Schuldenregeln oder bei Fragen der Energieversorgung. Zwar verfügen die beiden über ein sehr unterschiedliches Temperament. Hier der ambitionierte Präsident mit der ausufernden Rhetorik, dort die sachlich-kühle Kanzlerin mit dem Hang zum Abwarten. Doch hielten sie an dem Grundsatz fest, dass vor internationalen Gipfeln eine gemeinsame Position festgelegt wird. Dies wurde 2019 sogar im Aachener Vertrag festgeschrieben, einem von Macron forcierten Zusatz zum Élysée-Freundschaftsvertrag zwischen beiden Ländern.
In der französischen Bevölkerung genießt Merkel, die mit vier Präsidenten
In Umfragen wird die Kanzlerin geschätzt
zusammengearbeitet hat, hohes Ansehen. 49 Prozent der Menschen haben laut einer Umfrage eine positive Meinung von der Kanzlerin, die sich so lange an der Macht halten konnte.
Die Historikerin und Professorin an der Sorbonne-Universität Hélène Miard-Delacroix sagt zu Merkels Bilanz hinsichtlich der deutschfranzösischen Beziehungen, die Kanzlerin sei erst nach und nach von der Wichtigkeit der Achse Paris– Berlin überzeugt gewesen. „Am Anfang hat sie sie praktiziert, weil es den Gegebenheiten entsprach und im Laufe der Zeit, auch infolge des Brexits und der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA, wurde die deutsch-französische Zusammenarbeit zunehmend zum Fixpunkt, natürlich neben den transatlantischen Beziehungen.“
Auf die anstehenden Veränderungen an der Regierungsspitze blickt man in Frankreich mit Interesse. In der vergangenen Woche besuchten nacheinander die Kanzlerkandidaten der SPD und der Union, Olaf Scholz und Armin Laschet, Macron in Paris. Miard-Delacroix zufolge ist für die französische Regierung der wichtigste Punkt die Frage, ob die nächste deutsche Koalition zurück zur schwarzen Null will oder den 2020 eingeschlagenen Kurs weitergeht, als sich Berlin auf Macrons Drängen hin auf einen europäischen Wiederaufbaufonds einließ, für dessen Schulden der EUHaushalt garantiert. „In Paris erhofft man sich, dass man wie in Pandemie-Zeiten den Weg einer Währungsunion weiterverfolgt, die nach sich zieht, dass man mit einem gemeinsamen Budget Investitionen fördert, ob bei der Digitalisierung oder der Energiewende“, sagt die Spezialistin für die deutsch-französischen Beziehungen.
Unmittelbar nach der letzten Bundestagswahl 2017 hatte Macron seine feurige Europa-Rede an der Sorbonne mit etlichen Vorschlägen gehalten. Von deutscher Seite folgte eisernes Schweigen – vielen in Berlin ging Macron zu weit. Diesmal wartet der Franzose lieber ab.