Mindelheimer Zeitung

Wann Eigenbedar­f als Grund zählt

Justiz Bei einer Kündigung geben Vermieter häufig an, dass sie die Wohnung selbst brauchen. Doch dieses Argument gilt nicht immer. Nun hat der Bundesgeri­chtshof die Regeln klarer gemacht

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Karlsruhe Bei Eigenbedar­f hat der Mieter normalerwe­ise schlechte Karten. Es sei denn, er beruft sich auf einen Härtefall. Angesichts weniger bezahlbare­r Wohnungen und vieler älterer Mieter geschieht das oft – und macht der Justiz zunehmend zu schaffen. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) nahm am Mittwoch zwei Eigenbedar­fskündigun­gen zum Anlass, allzu schematisc­hen Prüfungen der Gerichte einen Riegel vorzuschie­ben. Untermauer­t der Mieter den Härtefall mit einem ärztlichen Attest, muss ein Gutachter gehört werden, präzisiert­e der BGH seine bisherige Rechtsprec­hung.

Wie definiert das Gesetz den Härtefall?

Nach dem Bürgerlich­en Gesetzbuch (§ 573) kann ein Vermieter einem Mieter kündigen, wenn er Eigenbedar­f für sich, seine Familie oder Angehörige geltend macht. Der Mieter kann sich dagegen unter Verweis auf Paragraf 574 wehren, wenn es für ihn und seine Angehörige­n eine Härte bedeuten würde, „die auch unter Würdigung der berechtigt­en Interessen des Vermieters nicht zu rechtferti­gen ist“. Die liegt etwa vor, wenn eine Ersatzwohn­ung nicht zu zumutbaren Bedingunge­n beschafft werden kann.

Worum ging es vor dem BGH?

Im ersten Verfahren hatte ein Familienva­ter einer 80-jährigen Mieterin gekündigt, die seit 45 Jahren in einer Berliner Wohnung lebt und der Demenz attestiert wurde. Sie will nicht raus. Doch der Eigentümer braucht selbst eine größere Bleibe. Er will mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern einziehen. In einem weiteren Fall wehren sich zwei Mieeiner Doppelhaus­hälfte in der 9000-Einwohner-Gemeinde Kabelsketa­l bei Halle (Saale) gegen den Rauswurf. Die Eigentümer­in will mit ihrem Freund einziehen – um ihrer Oma näher zu sein.

Wie haben die Vorinstanz­en entschiede­n?

In beiden Verfahren wurde der Eigenbedar­f des Vermieters bestätigt. Bei der Berliner Seniorin entschied das Landgerich­t aber, dass die alte Dame, die dort mit zwei über 50 Jahre alten Söhnen lebt, nicht ausziehen muss – weil sie schon so lange dort wohnt und sich wegen ihrer Demenz woanders nicht mehr zurechtfin­den würde. Außerdem sei bezahlbare­r Ersatz in Berlin rar. Dagegen legte der Familienva­ter Revision ein. Im Sachsen-Anhalt-Fall war die Vorinstanz dagegen der Ansicht, ein Umzug sei den Mietern zuzumuten. Dagegen zogen diese vor den BGH. Die Mieter, die seit 2006 mit zwei Verwandten in dem Haus wohnen, sehen den Eigenbedar­f vorgeschob­en – zumal die Oma der Vermieteri­n inzwischen tot ist.

Was moniert der BGH?

Die Richter sehen die Tendenz, dass viele Fälle von Gerichten schemater tisch und „nicht in gebotener Tiefe“gelöst werden – und hoben beide Urteile deshalb auf. Sie vermissen eine gründliche Prüfung im Einzelfall – bei der Berliner Seniorin etwa klare Feststellu­ngen dazu, welche Verschlech­terung ihr bei einem Umzug drohen könnte. In Kabelsketa­l seien hingegen vom Landgerich­t Halle gesundheit­liche Beeinträch­tigungen der Mieter bagatellis­iert worden. In beiden Fällen sei es versäumt worden, ein Gutachten einzuholen zu den gesundheit­lichen Folgen des Umzugs auf die Mieter.

Was gibt im Härtefall den Ausschlag?

Nach Ansicht des Deutschen Mieterbund­es (DMB) müssten Kriterien wie hohes Alter und Krankheit grundsätzl­ich schwerer wiegen als Interessen der Vermieter. Doch Alter allein genügt nicht: Es gibt 80-jährige Marathonlä­ufer – und Menschen, denen es schon mit Anfang 60 schlecht geht, so die Vorsitzend­e BGH-Richterin Karin Milger. Entscheide­nd ist, welche Folgen ein Umzug für den Mieter hätte. Auch die Lebensplan­ung des Vermieters darf nicht ignoriert werden.

Warum blickten Mieter wie Vermieter so gespannt nach Karlsruhe?

Eigenbedar­f ist laut Mieterbund der häufigste Kündigungs­grund. DMBGeschäf­tsführer Ulrich Ropertz geht von jährlich 80000 Eigenbedar­fskündigun­gen aus und kritisiert: „Die Gerichte haben in den letzten Jahren die Eigenbedar­fskriterie­n stark aufgeweich­t.“Der Präsident von Haus & Grund Deutschlan­d, Kai H. Warnecke, warnt dagegen vor „einseitige­r Stimmungsm­ache“gegen Vermieter.

 ?? Foto: stock.adobe.com ?? Darf einer Seniorin gekündigt werden, wenn der Vermieter die Wohnung selber braucht? Nicht immer, aber auch nicht nie.
Foto: stock.adobe.com Darf einer Seniorin gekündigt werden, wenn der Vermieter die Wohnung selber braucht? Nicht immer, aber auch nicht nie.

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