Theresa May dem Untergang nah
Hintergrund Spielt sie beim Brexit nur auf Zeit, um einen Nachfolger Johnson zu verhindern?
London Als Theresa May am Mittwoch an das Pult im Parlament trat, wirkte auf den ersten Blick vieles wie immer. Und doch war alles ganz anders, wie im Verlauf der nächsten Minuten deutlich wurde. Denn die britische Premierministerin, oft für ihre Widerstandsfähigkeit gepriesen, schien mit den Nerven am Ende. Sollte das ihre letzte Fragestunde werden? Wie lange würde sie sich noch gegen die Kritik der parteiinternen Rebellen wehren können, die lautstark ihren Rücktritt fordern, Plots schmieden und Nachfolger in Stellung bringen?
Erst am Dienstag hatte May ihre Pläne für einen, wie sie ihn nannte, „neuen kühnen Brexit-Deal“konkretisiert und dafür einen Zehnpunkteplan präsentiert, der unter anderem die Möglichkeit zu einem Referendum über das Austrittsabkommen vorsieht. Doch dafür müsste der Vertrag, den May eigentlich in der ersten Juni-Woche zur Abstimmung stellen will, zunächst vom Parlament gebilligt werden. Das ist so gut wie ausgeschlossen. Falls die Regierungschefin die jüngsten Vorschläge als Zugeständnisse an Opposition und BrexitHardliner konzipiert haben mag, sozusagen als Befreiungsschlag, dann ist ihr Versuch vollkommen gescheitert.
Die Reaktionen sowohl in Westminster als auch in der Presse fielen vernichtend aus. „Verzweifelt, verblendet, dem Untergang geweiht“, titelte der Telegraph über einem Foto der Premierministerin. Ein Kabinettsmitglied ätzte, sie habe es immerhin geschafft, „etwas Schlechtes wahrhaftig noch schlimmer zu machen“. Doch nicht nur ihre Kollegen in der konservativen Partei schäumen vor Wut. Auch Labour lehnt Mays Plan ab. „Die Rhetorik mag sich geändert haben, der Deal ist derselbe“, schimpfte Oppositionsführer Jeremy Corbyn, nachdem May in einem Statement abermals Punkt für Punkt das Abkommen verteidigt hatte. Sie habe nur noch Tage im Amt, prophezeite Corbyn – und forderte Neuwahlen.
Der Mittwoch sei der „gefährlichste Tag für Theresa May“gewesen, meinte eine Kommentatorin. Gleichzeitig stellte sich im Königreich aber die Frage: Warum hält die Regierungschefin an ihrem Amt fest, wenn sie ihren Deal doch nicht durch das Parlament bekommen wird? Bereits drei Mal ist der Vertrag von den Abgeordneten abgelehnt worden. Beobachter vermuten, dass die Premierministerin den Weg ebnen will für einen Nachfolger, der – anders als Ex-Außenminister Boris Johnson – eine softere Brexit-Variante bevorzugt.
Aufgrund der Spaltungen und Streitereien innerhalb der Tories ist jedoch in den vergangenen Tagen die Chance eines ungeordneten Austritts ohne Deal wieder gestiegen. Und das erwartete Debakel für die Konservativen bei den Europawahlen – die Briten wählen bereits am heutigen Donnerstag – dürfte kaum für Entspannung sorgen.
Noch am Mittwochabend verkündete Andrea Leadsom, Theresa Mays Ministerin für Parlamentsfragen ihren Rücktritt. Per Twitter.