Die Leiden der Helden
Wer sich noch an den Fußballer Dieter Hoeneß erinnert, denkt in erster Linie an diesen blutverschmierten Kopfverband. Möglicherweise ist irgendwo auch noch gespeichert, dass Hoeneß mit dem FC Bayern deutscher Meister war und sogar Nationalspieler. Über allem aber sitzt dieser rotgefärbte Turban als notdürftige Erstversorgung eines Frontalzusammenstoßes zweier Fußballer-Schädel. Zur Halbzeit wurde genäht. Hoeneß sah furchterregend aus. Ein Krieger, der dem Lazarett entflohen ist, zurück in der Schlacht. Turban voraus wirft er sich in die Bälle und trifft – mit dem Kopf natürlich. Ehrensache. Je mehr Blut und Verbandszeug im Spiel sind, umso größer der Held.
Andere erinnern sich noch an Franz Beckenbauer, der 1970 im WM-Halbfinale gegen Italien im Schulterverband die Tiefe der Räume durchschritt, und Ältere an Hans Georg Winkler, der sich mit gebrochenen Rippen von Halla zum Olympiasieg tragen ließ. Nicht jedem ist solches Glück vergönnt. Andere müssen ein Leben lang Medaillen sammeln, um nur halb so nachdrücklich in Erinnerung zu bleiben. Am Beklagenswertesten aber sind diejenigen, die vor der Chance zur Unsterblichkeit stehen – und furchtbar vergeigen. Jüngstes Beispiel: Hyeon Chung.
Der 21-jährige Südkoreaner, der aus dem Nichts in Australien aufgeschlagen ist und dort dem großen Roger Federer gegenüberstand, war auf dem Weg zum Nationalhelden. Eine Blase am Fuß hatte die Vorarbeit geleistet. Wenn sich auch kein Turban herumwickeln ließ, so weiß doch jeder, wie schmerzhaft offene Sohlen sind. Gerne hätte Chung jetzt eine Halla gehabt, die ihn ins Finale trägt. Aber Pferde sind auf Tennisplätzen nicht vorgesehen. Er musste es selbst schaffen. Sich wie Hoeneß in die Bälle werfen, sich durch die Tiefen des Courts schleppen. Stattdessen legte Chung das Bein hoch und gab auf. Dafür gibt es keinen Orden.
Dass Chung unter einer starken Hornhautkrümmung leidet, bringt keine Heldenpunkte. Dafür trägt er eine schicke Brille. Für Blasen halten Apotheken Pflaster bereit. Wichtig: Vor dem ersten Ballwechsel auftragen.